Folter am Kanal: Von der Tat bis zum Urteil

Chronologie

Ein grausamer Racheakt wegen einer angeblichen Vergewaltigung: Ein 18-Jähriger aus Nordkirchen hat gestanden, einen 18-Jährigen aus Münster gefoltert und mit einem Cuttermesser lebensgefährlich verletzt zu haben. Lesen Sie hier die Chronologie einer unfassbaren Tat.

Münster

, 30.11.2016, 05:01 Uhr / Lesedauer: 3 min

28. Mai 2016

Angler machen am Samstag (28. Mai) kurz nach Mitternacht am Dortmund-Ems-Kanal einen entsetzlichen Fund: Ein 18-Jähriger aus Münster ist mit Schnittwunden übersät und lebensbedrohlich verletzt. Die Angler leisten Erste Hilfe und alarmieren Polizei und Rettungskräfte.

Wenig später nimmt die Polizei in der Nähe des Kanals drei Verdächtige fest, die in einem parkenden Auto sitzen. Angeblich aus Rache für eine Vergewaltigung soll das Trio - ein (damals) 17-Jähriger, eine 17-Jährige und ein 19-Jähriger - versucht haben, den 18-Jährigen zu ermorden. Ein Haftrichter ordnet Untersuchungshaft an.

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30. Mai - Schwer Verletzter ist vernehmungsfähig

Während einer Notoperation musste der schwer verletzte 18-Jährige von Ärzten wiederbelebt werden. Erst nach zwei Tagen ist er vernehmungsfähig. Der Münsteraner weist die Anschuldigungen einer Vergewaltigung von sich. Eine Mordkommission nimmt die Ermittlungen auf und gleicht die Aussagen der Beteiligten untereinander ab.

Die drei Verdächtigen geben an, der Angriff auf den 18-Jährigen sei eine "Bestrafung" gewesen, weil er die 17-Jährige aus Ascheberg eine Woche zuvor vergewaltigt haben soll.

9. Juni - So arbeitete die Schule der Verdächtigen die Rache-Tat auf

Zwei der tatverdächtigen Jugendlichen sind Schüler des Antonius-Gymnasiums in Lüdinghausen. Elisabeth Hüttenschmidt, Leiterin des Gymnasiums, berichtet Anfang Juni erstmals, wie die Schule das Geschehen aufarbeitet. Mithilfe der Kriminalpolizei wird ein Elternbrief verfasst, die Schüler haben Gelegenheit für ausführliche Gespräche mit den Beratungslehrern.

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23. November - Die 17-Jährige gesteht die Tat

Beim Prozessauftakt vor dem Landgericht Münster legt die 17-jährige Verdächtige ein Geständnis ab: Sie und zwei Freunde aus Lünen und Nordkirchen hätten den jungen Münsteraner misshandelt Außerdem gibt sie zu, dass es die Vergewaltigung in der Form nicht gab. Sie und das spätere Opfer hätten sich über eine Flirt-App kennengelernt und direkt beim ersten Treffen Sex gehabt.

Ihrem Ex-Freund gegenüber habe sie die Geschichte von der Vergewaltigung erzählt. Daraufhin hätten die Beiden Rachepläne geschmiedet. "Wir haben versucht ihn zu töten", sagt die 17-Jährige.

29. November - 18-Jähriger gibt Tat zu und entschuldigt sich

Am zweiten Prozesstag gesteht der mitangeklagte Ex-Freund der 17-Jährigen die Tat. Zusammen mit seiner Ex-Freundin und einem Freund aus Lünen (19) habe er den Azubi aus Münster in eine Falle gelockt und  gefoltert. Vor Gericht sagt er in Richtung seines Opfers: "Ich kann nicht verstehen, wie so etwas passieren konnte."

Auch die 17-Jährige entschuldigt sich bei ihrem Opfer: "Es tut mir sehr leid, was wir dir angetan haben. Ich kann kaum glauben, dass es so weit gekommen ist. Ich bereue zutiefst. Mir ist bewusst, dass eine so unmenschliche Tat unverzeihlich ist." 

1. Dezember - Das Opfer sagt im Prozess aus

Das Opfer schildert am dritten Prozesstag die Geschichte aus seiner Sicht. Er bestätigt das Kennenlernen mit der 17-Jährigen über eine Flirt-App. Es sei zum Sex gekommen. "Sie wollte das", sagte er gleich mehrfach. Man habe sich geküsst, alles sei völlig einvernehmlich passiert.

"Es ging um mein Leben", sagte der 20-jährige Münsteraner den Richtern. "Ich habe sie angefleht, dass sie mich in Ruhe lassen." Noch heute habe er manchmal Taubheitsgefühle in der rechten Hand. Und auch Angst. Vor allem, wenn es dunkel und einsam ist.

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8. Dezember - Eine Zeugin berichtet unter Tränen, wie die Tat vorbereitet wurde

Eine Freundin der 17-jährigen Angeklagten hat vor Gericht ausgesagt, von den Rache-Plänen gewusst zu haben. Die ebenfalls 17-Jährige hatte das aber offenbar nicht ernst genommen.

Ein weiterer Zeuge berichtet, dabei gewesen zu sein, als die Täter in Dortmund einen Totschläger, Sturmhauben und Pfefferspray gekauft zu haben. Auch er hatte nicht gedacht, dass die Pläne wirklich umgesetzt werden.

13. Dezember - Ein Polizist berichtet Details aus der Tatnacht

Zwei Nachtangler hatten nach der Tat Hilfeschreie gehört und die Polizei alarmiert. Die Beamten hätten Probleme gehabt, das Opfer und die beiden Angler überhaupt zu finden, sagte der geladene Polizist vor Gericht. Diese redeten unaufhörlich auf den 20-Jährigen ein, um ihn bei Bewusstsein zu halten. 

Wenig später traf auch das Notarzt ein Vom Opfer selbst hatte der Notarzt vor allem noch diese Sätze in Erinnerung: "Gut, dass ihr hier seid. Ich will nicht sterben!" Das Opfer hatte aufgrund der großen Schnittwunden an Hals und Bauch drei Liter Blut verloren. Ein Klinikarzt sprach von Lebensgefahr.

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15. Dezember - Der Staatsanwalt fordert lange Gefängnisstrafen

Vor dem Landgericht forderte der Staatsanwalt lange Haftstrafen für die angeklagten Teenager. Die härteste Strafe von siebeneinhalb Jahren soll nach Ansicht der Staatsanwaltschaft gegen die 17-jährige Schülerin aus Ascheberg verhängt werden.

Der Jüngere der beiden weiteren Täter soll sechs Jahre Jugendhaft bekommen, weil er dem bereits schwer verletzten Opfer die lebensgefährlichen Schnitte an Hals, Bauch und Arm versetzt, die fast zum Tod geführt hätten, zugefügt haben soll. Der 19-Jährige, der nach Ansicht des Staatsanwalts mit einem Jahr weniger davon kommen soll, habe zwar die Folterwerkzeuge (u.a. einen Totschläger) gekauft, aber nach seiner Festnahme als erster sofort ein umfassendes Geständnis abgelegt und große Reue gezeigt.

Der Staatsanwalt, Ralf Tyborczyk bezeichnete die Tat als menschenverachtend. 

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20. Dezember - Mehrere Jahre Haft für die Täter

Knapp einen Monat nach dem Prozessauftakt steht das Urteil fest. Die angeklagte 17-jährige Aschebergerin muss sechs Jahre in Haft. Ihr Ex-Freund (18) aus Nordkirchen für fünf Jahre und drei Monate, der dritte Angklagte aus Lünen (19) für vier Jahre und neun Monate.

Alle drei Verurteilten zeigten vor Gericht Reue und baten um Vergebung.

23. Dezember - Die Verteidigung geht in Revision

Drei Tage nach der Urteilsverkündung geht die Verteidigung der Angeklagten geht in Revision. Die Richter sind überzeugt, dass die Angeklagten sich entschlossen hatten, ihr Opfer umzubringen. Das Urteil latete demnach versuchter Totschlag. 

Die Verteidigung argumentiert anders: „Der Plan war, dem Opfer eine Abreibung zu verpassen“, hatte Verteidiger Stephan Kreuels, der den Lüner vertritt, im Prozess erklärt. „Es gab keinen Plan, den 20-Jährigen umzubringen.“

Der Bundesgerichtshof wird sich um den Fall kümmern.

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