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Nachhilfe: Christiane Rütter kritisiert Chaos bei Bildungsgutscheinen
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Chaotisch sei die Organisation rund um die Bildungsgutscheine für Nachhilfe, sagt die Dorstener Studienkreis-Leiterin Christiane Rütter. Ihren Schülern wünscht sie den Spaß am Lernen zurück.
Ständig klingelt das Telefon, auf dem Schreibtisch stapeln sich Anträge. Oft sitzt Christiane Rütter, Leiterin des Studienkreises Dorsten, aktuell bis spät am Abend in ihrem Büro an der Kapusstiege. Hauptgrund für die Mehrarbeit sind die Bildungsgutscheine und das bürokratische Drumherum. Ruhige Gespräche mit Eltern oder Schülern bleiben dabei momentan oft auf der Strecke.
„Die Idee hinter diesen Bildungsgutscheinen ist wirklich gut, die Umsetzung momentan aber katastrophal“, sagt Christiane Rütter. Pünktlich zum Start in das neue Halbjahr haben auch die Dorstener Schulen solche Gutscheine vom Land NRW erhalten. Die Lehrer verteilen diese an Schüler, die Förderung benötigen. Schulen und Familien suchen dann einen vom Land NRW zugelassenen Bildungsanbieter, um den Gutschein einzulösen.
„Das Problem ist, dass viele Anbieter die Auflagen des Landes nicht erfüllen und daher die, die es tun, eine große Flut an Gutscheinen abarbeiten müssen“, erklärt Sabine Thordsen, Lehrkraft beim Dorstener Studienkreis. Dabei muss der Antrag innerhalb von zwei Monaten eingelöst werden - das heißt, zumindest die erste Unterrichtsstunde muss stattgefunden haben.
Doch für die Nachhilfe-Institute sei das gar nicht so einfach zu bewältigen, sagt Christiane Rütter, denn die Vorgaben, wie die Förderung auszusehen habe, seien sehr exakt. Grundsätzlich gilt ein Gutschein für zehn Lerneinheiten à 90 Minuten. Der Unterricht soll mindestens einmal in der Woche stattfinden.
„Für Grundschüler sind 90 Minuten aber zum Beispiel eigentlich viel zu lang. Außerdem ist es sehr schwer, den Überblick bei den vielen neuen Schülern zu behalten und möglichst homogene Gruppen zusammenzustellen“, so Rütter. Eigentlich dürfe auch nur das Thema im Nachhilfe-Unterricht bearbeitet werden, das auf dem Bildungsgutschein von den Lehrern als Schwerpunkt eingetragen sei.
„Es geht hier einfach drunter und drüber“
Oft fehlten darauf jedoch genaue Angaben dazu, oder diese seien sehr allgemein gehalten. Nach jeder Stunde müsse zudem der Lerninhalt dokumentiert, nach zehn Einheiten ein Abschlussstatement verfasst werden. „Ich habe keinen Überblick, wie viele Schüler über die Gutscheine noch kommen. Es geht hier einfach drunter und drüber, weil viele Fragen - auch zum Beispiel rund um die Abrechnung - noch offen sind“, so Rütter.
Das kontinuierliche, ruhige Arbeiten bleibe so oft auf der Strecke - ebenso auch der Kontakt, das kurze Gespräch auf dem Gang, mit Eltern und Schülern, die schon länger beim Studienkreis sind.

Nachhilfe-Institute, wie der Studienkreis Dorsten, sehen sich nach zwei Jahren Pandemie mit Schülern, die teilweise gravierende Probleme haben, konfrontiert. © picture alliance/dpa
Derweil würden die Lücken, die bei den Dorstener Schülern während der Pandemie entstanden sind, immer größer. Viele von ihnen hätten verlernt, sich richtig zu konzentrieren und kontinuierlich zu arbeiten. Studienkreis-Lehrerin Astrid Vogelmann sieht durch den fehlenden Präsenzunterricht besonders große Lücken in den Fremdsprachen. „Grammatik lässt sich nicht mit zwei Arbeitsblättern erklären“, sagt sie.
Studienkreis-Leiterin Rütter sieht aber auch bei Grundschülern große Lücken - dort fehlten vor allem die Grundlagen, wie Rechnen, Schreiben und Lesen. Auch Schüler, die jetzt auf eine weiterführende Schule gewechselt hätten, hätten oft sehr zu kämpfen.
Leiterin hätte Samstagsunterricht begrüßt
„Viele pubertierenden Schüler haben während des Distanzunterrichts sehr wenig gemacht und stehen jetzt, wo es auf die zentralen Abschlussprüfungen zugeht, vor großen Problemen. An vielen Stellen ist der Druck sehr groß“, erzählt die Dorstener Studienkreis-Leiterin. Sie hätte es begrüßt, wenn es an den Samstagen in den Schulen von den eigenen Lehrern Wiederholungsunterricht für schwache Schüler gegeben hätte.
Zu den ganzen bestehenden Problemen kämen jetzt zudem noch weitere Unterrichtsausfälle durch Quarantäne oder den Ausfall von Lehrern. „Auch bei unseren Lerngruppen hier fehlen oft Schüler, weil sie oder Familienmitglieder in Quarantäne sind“, so Rütter.
Leonie verbringt ihre Freizeit an diesem Freitagnachmittag im Studienkreis mit Mathe-Nachhilfe. Sie steht kurz vor dem Abitur. „Ich habe schon ziemlich viel Respekt vor den Prüfungen und Angst, dass ich während des Distanzunterrichts doch wichtige Inhalte verpasst habe. Unsere Lehrer sagen selbst, dass sie nicht alles an Stoff schaffen werden“, sagt sie. Jannis, der neben ihr sitzt, ergänzt: „Viele Lehrer waren beim Distanzunterricht mit den Medien und der Technik überfordert. Wir mussten uns wirklich viel selbst erarbeiten.“
Für die Zukunft wünscht sich die Dorstener Studienkreis-Leiterin Christiane Rütter vor allem etwas mehr Ruhe und ein entspannteres Arbeiten. Den Schülern wünscht sie, dass der „immense Druck“ von ihnen abfällt, die Freude am Lernen zurückkommt und sie ein Stück Unbeschwertheit zurückbekommen.
Die Grafik in dieser Geschichte beruht auf unserer Umfrage „Zwei Jahre mit Corona – Mensch, wie glücklich bist Du?“ Insgesamt 4.574 Leserinnen und Leser haben im Dezember und Januar mitgemacht. Anspruch auf Repräsentativität erhebt die Befragung nicht, alle Fragebögen flossen in die Auswertung ein.
Ich bin gebürtige Dorstenerin, lebe und arbeite hier. Dorsten und vor allem die Menschen der Stadt liegen mir sehr am Herzen. Wichtig sind mir jedoch auch die Kirchhellener. Seit mehreren Jahren darf ich über den kleinen Ort berichten und fühle mich daher sehr mit dem Dorf verbunden. Menschen und ihre Geschichten, Bildung und Erziehung – das sind Themen, die mir wichtig sind. Und das liegt nicht nur daran, dass ich zweifache Mutter bin.
