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Mit Rädern um die Welt: Marielle und Henning können endlich starten (mit Video)
Glücks-Umfrage
Mit dem Rad um die Welt: Das war der Plan von Marielle und Henning. Sie verkauften alles. Dann kam Corona. Und der Umzug in Hennings Kinderzimmer. Doch jetzt geht es endlich los.
Der Schermbecker Henning Vengels (31) und Marielle Oberkandler (28) waren 2018 vier Wochen mit Rädern und Zelt durch Osteuropa gefahren. „Wir waren geknickt, als wir zu Hause waren“, sagt Marielle. Henning: „Ich habe gesagt: Ich möchte das nochmal machen. Ohne Zeitdruck, ohne Verpflichtungen, ohne dass die Kosten zu Hause laufen. Nicht als Urlaub, sondern als Reise.“
Regelrecht melancholisch seien beiden geworden, sagt Marielle, wenn sie die Wand in ihrer Wohnung mit Fotos von diesem Urlaub gesehen hätten. Dann fassten die Maschinenbauingenieurin und der Maschinenbautechniker einen Plan: Nach Ausbildung und Studium wollten sie ein Jahr arbeiten, Geld auf die Seite schaffen und dann ihren Traum einer Weltreise leben: ab April 2020. Alle Möbel wurden verkauft, die Wohnung gekündigt. „Wir hatten nur noch eine Matratze“, sagt Marielle.

Ihre Wohnung haben Marielle und Henning bereits gekündigt. Anfang März wollen sie mit Rädern um die Welt reisen. © Berthold Fehmer
Dann hätten sie im Radio von Corona gehört. In China. „Da haben wir nichts mit zu tun“, dachte Henning. Doch das Virus kam immer näher. An eine Reise war nicht mehr zu denken. „Da sind wir in mein altes Kinderzimmer in Schermbeck gezogen“, sagt Henning. In zehn Quadratmeter. „Unser Glück war, dass wir die Jobs noch nicht gekündigt hatten.“
Wohnungssuche war „eine Katastrophe“
Eine neue Wohnung zu finden, war schwer. „Eine Katastrophe. Keiner wollte jemanden reinlassen“, sagt Henning. In Dinslaken wurde das Paar fündig. Doch ihr Traum ließ die beiden nicht los. „Wir haben überlegt, was schaffen wir eigentlich noch an? Vielleicht können wir doch in ein paar Monaten los“, sagt Marielle. „Es hat ein Jahr gedauert, bis wir das erste Bild aufgehängt haben.“

Auf auf einer Brücke in Norwegen hat das Paar schon gezeltet. © privat
Die Zeit nutzte das Paar, um am Plan zu arbeiten. „Wir haben das Zelt getauscht“, sagt Henning - das alte habe man auf hartem Untergrund nicht abspannen können. Online beschäftigte sich das Paar mit Plattformen und Communitys, die etwa Couch Surfing anbieten. Und das Paar ließ sich impfen.

Das Übernachten im Zelt bei Kälte haben Marielle und Henning bereits in Norwegen ausprobiert. © privat
Jetzt soll es am 6. März 2022 tatsächlich losgehen. „Dann sind wir obdachlos“, sagt Marielle und lacht. Die Ziele: erst Osteuropa. Griechenland, Türkei, Iran, die alte Seidenstraße, Pamir Highway, Asien - „worauf wir Lust und Laune haben“, sagt Henning. Marielle träumt von der Mongolei und Neuseeland, weil sie dort Freunde hat. Südamerika steht auch auf der Liste.
Drei Jahre Reisezeit - vielleicht auch mehr
Rund drei Jahre Reisezeit peilt das Paar an. „Das sagen wir einfach, um irgendwas zu sagen“, so Marielle. Es könnten auch fünf Jahre werden. Ziel sei, möglichst lange mit wenig Budget unterwegs zu sein.

Mit 5 bis 7 Euro wollen Marielle und Henning auskommen. Minimalismus ist dann angesagt, wie hier beim Abendessen in Italien. © privat
Was heißt das? „5 bis 7 Euro pro Tag pro Nase“, sagt Marielle. Was nimmt man dann mit? „Von Hose, T-Shirt, Pulli jeweils zwei Sätze. Was am wenigsten mufft, zieht man an“, sagt Marielle und grinst. Werkzeug, Kocher, Zelt, Isomatten und Schlafsäcke kommen hinzu. „Kleidung, Schlafsäcke, Zelt - da sparen wir nicht dran“, so Henning. Mit „wildem Zelten“ habe man gute Erfahrungen gemacht.
Marielle will in einem Blog (www.unterwegs-daheim.blog) von der Reise berichten, Henning über YouTube („unterwegs daheim“).
Aber woher bekommen ihre Smartphones Strom? Henning: „Wir haben kleine Solarpanels zum Aufklappen. Die kommen bei der Fahrt hinten über den Gepäckträger und laden die Powerbanks auf.“ Und wenn die Sonne nicht scheint? „Wir haben auch einen Wandler, der Strom vom Fahrrad-Dynamo in die Powerbank lädt.“
Räder müssen reparierbar sein
Was für ein Rad braucht man auf so einer Reise? „Kein Baumarkt-Fahrrad, aber auch kein High End“, sagt Henning. Eine Hydraulikbremse könne man etwa nicht unterwegs reparieren. In Norwegen sei ihr letztes Jahr eine Kette gerissen, „die war nagelneu“, sagt Marielle. Beim Schermbecker „Bike Shop“ von Dominik Spahn hätten sie die Räder durchchecken lassen, sagt Henning. „Er hat sich alle Bauteile aufgeschrieben und bei Problemen angeboten: Ruft mich über Video an!“

Außenspiegel haben sich beide an ihre Räder gebaut. Wenn Lkw oder Busse von hinten anrauschen, könne das bei vollen Satteltaschen gefährlich werden, sagt Henning, © privat
Spiegel haben sich beide an ihre Räder gebaut. Henning: „Mit den Satteltaschen ist man windanfällig. Wenn ein Lkw oder Bus an dir vorbeidonnert, saugt der natürlich, da bietet man viel Angriffsfläche.“ Marielle: „Wir fahren natürlich mit Helm!“
Es sei eine „exotische Art des Reisens“. „Man ist auf Leute angewiesen, man ist auf Hilfe angewiesen“, sagt Henning: „Die Begegnungen bleiben einem in Erinnerung.“ Auch zwischendurch ein bisschen zu arbeiten, um die Reisekasse aufzufüllen, kann sich das Paar gut vorstellen.

„Wir sind voll die Flachland-Eier", sagt Marielle. In der Hochebene von Norwegen hat das Paar bereits einen Urlaub verbracht. © privat
Wie trainiert man für so eine Reise? Aus den Erfahrungen ihrer Urlaube sagt Marielle: „Wir machen jedes Jahr den gleichen Fehler. Wir sind Läufer. Reine Läufer.“ Eine gewisse Grundfitness hätten beide, aber der siebte, achte Tag jeder Reise sei konditionell „eine Vollkatastrophe“, sagt Henning. „Dann wird es besser.“ Marielle lächelnd: „Wir sind natürlich auch voll die Flachland-Eier. Wenn man keinen Stress hat, ist es am Ende auch egal, wenn man nur 20 Kilometer am Tag geschafft hat, weil ein Berg im Weg war.“
„Ich war schon immer anders“
Wie reagiert ihr Umfeld auf die Pläne? Viele im Freundeskreis heiraten gerade und bekommen Nachwuchs. Henning: „Wir sind noch nicht so weit.“ Viele fänden ihren Plan „cool“, in der Familie gebe es aber eine gewisse Sorge, dass unterwegs was passiert. Marielle: „Mama sagt: Ich war schon immer anders.“
Haben die beiden Angst, dass Corona ihnen noch mal einen Strich durch die Rechnung machen könnte? „Dafür haben wir zu lange gewartet. Das ist für uns keine Option mehr. Wenn alle Grenzen zu sind, fahren wir eben durch Deutschland“, sagt Henning. Es komme dann eben im Zweifel darauf an, welche Grenzen offen sind. „Corona wird uns die Richtung zeigen.“
Die Grafik in dieser Geschichte beruht auf unserer Umfrage „Zwei Jahre mit Corona – Mensch, wie glücklich bist Du?“ Insgesamt 4.574 Leserinnen und Leser haben im Dezember und Januar mitgemacht. Anspruch auf Repräsentativität erhebt die Befragung nicht, alle Fragebögen flossen in die Auswertung ein.
Berthold Fehmer (Jahrgang 1974) stammt aus Kirchhellen (damals noch ohne Bottrop) und wohnt in Dorsten. Seit 2009 ist der dreifache Familienvater Redakteur in der Lokalredaktion Dorsten und dort vor allem mit Themen beschäftigt, die Schermbeck, Raesfeld und Erle bewegen.
