
© Manuela Hollstegge
Dorstener Nachhilfelehrer schlagen Alarm: „Lücken sind gravierend!“
Nachhilfe
Die Nachhilfeinstitute in Dorsten bekommen jetzt die Folgen von Distanzunterricht und Homeschooling zu spüren. Mit großen Sorgen blicken sie auf das kommende Schuljahr.
Christiane Rütter arbeitet seit 30 Jahren beim Studienkreis Dorsten. In dieser Zeit hat sie schon viel erlebt, doch die vergangenen beiden Schuljahre übersteigen alles bisher Dagewesene. „So eine chaotische Zeit, in der die Schüler sich so hilflos fühlten und ich ihnen nicht so gewohnt helfen konnte, habe ich noch nicht erlebt und will es auch nicht noch einmal“, sagt sie.
Noch ist es relativ ruhig in den Räumlichkeiten des Nachhilfeinstituts an der Kappusstiege. Doch das wird sich in den nächsten Wochen ändern: „Viele sind jetzt erst einmal im Urlaub und das ist auch richtig so. In den letzten zwei Wochen vor Schulstart wird es dann lebendiger bei uns“, erzählt Rütter. Auch für das neue Schuljahr habe sie schon zahlreiche Anmeldungen. Viele Eltern würden direkt mit Unterstützung starten wollen, bevor die durch Corona entstandenen Wissenslücken noch größer würden.
Dorstener Nachhilfeschüler wünschen sich Präsenzunterricht
Während die Leiterin erzählt, pauken Marie, Philipp, Emilio und Yannik im Nebenraum Englisch. Sie berichten von technischen Problemen im Homeschooling und davon, wie schwierig es manchmal war, ohne Mitschüler und Lehrer zu Hause zu lernen. Auf die Frage, was sie sich am meisten für das neue Schuljahr wünschen, antworten alle mit „Präsenzunterricht“.
„Dann kann ich nachfragen und bekomme direkt eine Antwort und nicht wie im Homeschooling drei Tage später“, sagt Yannik. Genau da sieht Studienkreis-Leiterin Rütter eines der größten Probleme des Online-Unterrichts. „Es gab oft nur wenig bis kein Feedback für die Schüler beziehungsweise wenig Kontrolle. Das verleitet natürlich dazu, nichts zu tun“, sagt sie. So habe vor allem die Arbeitshaltung der Kinder und Jugendlichen in der Zeit des Lockdowns gelitten.

Christiane Rütter leitet den Studienkreis Dorsten. Seit 30 Jahren arbeitet sie dort, doch so etwas wie in den vergangenen zwei Schuljahren hat sie noch nie erlebt. © Manuela Hollstegge
Aber auch der fehlende soziale Kontakt sei problematisch gewesen: „Unterricht - egal, ob in der Schule, oder bei uns - lebt von Gruppenarbeit und von Impulsen der Mitschüler.“ So sei auch der Online-Unterricht des Studienkreises in Dorsten in der Zeit der Schließung nicht von allen gut angenommen worden. Online-Nachhilfe zusätzlich zum täglichen Online-Unterricht - das wollten viele Familien nicht.
Die Leiterin des Dorstener Studienkreises (www.studienkreis.de) vermutet, dass vor allem viele Grundschüler eine Klasse werden wiederholen müssen. Außerdem glaubt sie, dass in vielen Familien die Bindung zwischen Kindern und Eltern extrem durch den Stress im Homeschooling gelitten habe. „Da ist viel passiert. Ich hoffe, dass Schule und wir als Nachhilfeinstitut jetzt wieder etwas Spannung rausnehmen und als Pufferzone fungieren können“, sagt Christiane Rütter.
Kinder, die vor Corona gute Schüler waren, hätten laut Rütter kaum Lücken, oder könnten diese schnell schließen. „Wen es wirklich trifft, sind die eh schon schwachen Schüler und an erster Stelle Kinder mit Migrationshintergrund“, sagt sie. Denn diese hätten alleine zu Hause oft noch nicht einmal die Aufgabenstellung verstanden, geschweige denn dass sie Eltern gehabt hätten, die sie ihnen hätten erklären können.
Wie groß die Lücken bei jedem einzelnen seien, hänge jedoch auch extrem von der Qualität der Betreuung durch die Schule in Zeiten des Distanzunterrichts ab. Für das kommende Schuljahr wünscht sich Christiane Rütter nicht nur Präsenzunterricht in der Schule und beim Studienkreis, sondern auch, dass Schüler Unterstützung von Land und Bund bekommen. Hier hofft sie vor allem auf das NRW-Programm „Extra-Zeit zum Lernen“, das außerschulische Bildungsangebote in Kooperation mit den Schulen ermöglichen soll.
Online-Nachhilfe kam bei Dorstener Familien nicht gut an
Auch Olga Schieffer von der Wulfener Nachhilfeagentur „Schüler kann!“ (www.schueler-kann.de) fand die Zeit, die hinter ihr liegt, „zum abgewöhnen“. Sie hat während des Lockdowns viele Kunden verloren, da sie keine langfristigen Verträge mit den Eltern schließt und die Familien keine Online-Nachhilfe wollten. Die Agentur sei erst seit etwa vier Jahren auf dem Markt und habe jetzt wieder so viele Kunden wie im ersten Jahr. Dabei sei der beste Kunde mittlerweile die Stadt Dorsten, die über das Bildungs- und Teilhabe-Paket Kinder an ihre Agentur vermittele.
Auch für die Schüler blickt Schieffer sorgenvoll auf das neue Schuljahr: „Die entstandenen Lücken sind teilweise gravierend. Viele werden ein Jahr wiederholen müssen“, sagt sie. Problematisch sei die Situation besonders bei den Kinder der Klassen 7 und 8, denn diese hätten oft den Ernst der Lage während des Homeschoolings nicht verstanden und aufgrund fehlender Kontrolle kaum etwas gemacht. Auch bei den Zentralen Abschlussprüfungen der Zehntklässler seien viele Schüler durchgefallen, beziehungsweise ihre Zulassung für das Gymnasium stehe auf der Kippe.
„Auch für die, die jetzt in die zehnte Klasse kommen, wird es schwer. Die müssen vor den Prüfungen noch so viel vom letzten Schuljahr aufholen und gleichzeitig wartet jede Menge neuer Stoff auf sie“, sagt Olga Schieffer. Mitbekommen habe sie von ihren Schülern auch, dass es extreme Probleme gegeben habe, einen Praktikums- oder Ausbildungsplatz zu finden.
Ich bin gebürtige Dorstenerin, lebe und arbeite hier. Dorsten und vor allem die Menschen der Stadt liegen mir sehr am Herzen. Wichtig sind mir jedoch auch die Kirchhellener. Seit mehreren Jahren darf ich über den kleinen Ort berichten und fühle mich daher sehr mit dem Dorf verbunden. Menschen und ihre Geschichten, Bildung und Erziehung – das sind Themen, die mir wichtig sind. Und das liegt nicht nur daran, dass ich zweifache Mutter bin.
