Tierquälerei und Raffgier: Die größten Skandale des Jahres im Kreis Unna
Ein Rückblick
Zwei Tierschutz-Skandale, Briefkopf- und Abrechnungsaffäre: Das Jahr im Kreis Unna war reich an Skandalen, an deren Aufklärung unsere Redaktion intensiv mitgewirkt hat. Ein Rückblick.

Ein Mann sticht mit einer Mistgabel in der Viehsammelstelle Werne auf eine Kuh ein. © Soko Tierschutz
Den Mächtigen auf die Finger zu schauen und Missstände aufzudecken sind Bestandteil der Kritik- und Kontrollfunktion, die Medien in einer funktionierenden Demokratie für die Gesellschaft übernehmen. An die größten Affären und Skandale, über die Redaktionen der Ruhr Nachrichten und des Hellweger Anzeigers in diesem Jahr berichtet haben, erinnern wir hier in chronologischer Reihenfolge.
Der Schächtskandal um den Schlachtbetrieb Prott in Selm
Mitte März 2021 schließt das Kreisveterinäramt den Schlachtbetrieb Prott aus Selm. Tierschützer hatten über einen Zeitraum von drei Wochen verdeckte Kameraaufnahmen in dem Schlachthof gemacht und dabei dokumentiert, wie mehr als 180 Schafe und Rinder geschächtet wurden. Sie wurden also ohne Betäubung getötet. Eine Praxis, die illegal ist. Zwar gibt es Ausnahmeregelungen aus religiösen Gründen, doch diese wurden in NRW schon seit Jahren nicht mehr erteilt.

Tierschützer hatten nach der Schließung des Schlachthofes Prott in Selm dieses Schild vor dem Gelände angebracht. © Jura Weitzel
Die Tierschutzorganisation Soko Tierschutz machte die Aufnahmen Mitte März publik und erstattete Strafanzeige gegen den Schlachthof Prott. Noch am gleichen Tag schloss das Veterinäramt den Betrieb. Später erstattete die Tierschutzorganisation auch Anzeige gegen den Kreis Unna.
Es kam heraus: Schon Anfang der 2000er-Jahre hatte es den Verdacht auf Schächtungen beim Hof Prott gegeben. Der Kreis hatte weitere Ermittlungen angestellt, ein Verfahren war aber mit einem Vergleich ohne Zustimmung des Kreises – so sagt der Kreis – eingestellt worden.
Die Tierschutzorgansisation wirft dem Kreis und seinem Veterinär indes vor, nicht richtig kontrolliert zu haben. Der Schlachthof galt nicht einmal als Risikobetrieb. Die Videoaufnahmen würden zeigen, dass es in dem Betrieb niemals einen regulären Schlachtbetrieb gegeben habe. Der Kreis bestreitet das. Lange Fragenkataloge beantwortet er mit Verweis auf das offene Verfahren nicht. Die Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft dauern aktuell an.
Die Briefkopf-Affäre um Rüdiger Weiß in Bergkamen
Rüdiger Weiß war in der ehemals größten Bergbaustadt Europas ein wichtiger und angesehener Mann. Der Bergkamener führte nicht nur den größten SPD-Ortsverband und die größte Fraktion im Stadtrat, sondern saß für den Wahlkreis Unna III – Hamm II auch seit über zehn Jahren im Düsseldorfer Landtag. Zuletzt holte er bei der Wahl 2017 in dem traditionell „roten“ Wahlkreis 48,7 Prozent der Erststimmen und wurde zum Sprecher seiner Fraktion für Europa und Internationales gewählt.

Rüdiger Weiß war seit 2010 direkt gewählter Landtagsabgeordneter für Bergkamen, Kamen und Bönen. Im Mai 2021 stürzte er über die Briefkopf-Affäre. © Stefan Milk
Doch im Mai 2021 fand die politische Karriere des Rüdiger Weiß ein jähes Ende. Im Zuge der Briefkopf-Affäre trat er schließlich von all seinen Ämtern zurück. Weiß hatte versucht, mithilfe eines Schreibens unter Verwendung seines offiziellen Briefkopfes als Landtagsabgeordneter von einer Reisevermittlerin Geld für eine stornierte, private Urlaubsreise zurückzubekommen.
Die Rheinische Post, mit der unsere Redaktion kooperiert, berichtete zuerst über den Vorfall. Die Lokalredaktion des Hellweger Anzeigers, zu deren Verbreitungsgebiet Weiß‘ Heimatstadt Bergkamen und der genannte Wahlkreis zählen, griff das Thema auf und recherchierte weiter. Rüdiger Weiß selbst gab gegenüber unserer Redaktion an, sich von der Reisevermittlerin ungerecht behandelt gefühlt zu haben.
Die Reisevermittlerin schilderte indes in einem Video-Interview, wie sehr sie sich unter Druck gesetzt fühlte. Außerdem sprachen wir mit zahlreichen Parteigenossen und politischen Weggefährten Weiß‘. Unser Reporter Michael Dörlemann, der Weiß‘ Werdegang selbst seit den frühen 1980er-Jahren verfolgt hatte, zeichnete das Porträt eines Mannes, „der auszog, erfolgreich zu werden“.
Binnen einer Woche vollzog sich ein politischer Skandal in Reinkultur. Die Skandalierung eines offenkundigen Fehlverhaltens sorgte für öffentliche Empörung und der Druck auf den Skandalierten wurde von Tag zu Tag größer. Auch innerhalb seiner Partei, der SPD, wurden die Rücktrittsforderungen immer lauter. Obwohl er es zunächst bei einer Entschuldigung belassen wollte, konnte sich Weiß dem Druck schließlich nicht mehr entziehen und zog sich von all seinen Ämtern zurück.
Von der Postenjagd zum „Keuchel-Chaos“ in Unna
Die Wahl eines neuen Bürgermeisters in Unna wird zu einem Kopf-an-Kopf-an-Kopf-Rennen. Claudia Keuchel von den Bündnisgrünen belegt nach dem ersten Wahlgang einen achtbaren dritten Platz und überrascht danach, in dem sie ihre Wähler bittet, in der Stichwahl nicht für SPD-Frau Katja Schuon zu stimmen, sondern für den CDU-Kandidaten Dirk Wigant, der dann tatsächlich Bürgermeister von Unna wird. Als der neue Verwaltungschef ganz dringend zwei vakante Beigeordnetenstellen besetzen will, bewirbt sich: Claudia Keuchel.

Als Bürgermeisterkandidatin auf Platz 3 gelandet, aus der Beigeordnetensuche ausgestiegen – so bleibt Claudia Keuchel zumindest Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen in Unna. © Marcel Drawe
Ob es im Vorfeld Vereinbarungen gegeben hat, bleibt das Geheimnis aller Beteiligten. Klar ist, dass die Bewerbung der unterlegenen Bürgermeisterkandidatin und Fraktionsvorsitzenden maximal unglücklich ist. Vor allem die SPD macht Stimmung gegen Keuchel, die Öffentlichkeit fühlt Filz und als ein Anonymus aufdeckt, dass Keuchels Bewerbung objektiv nicht die stärkste im Feld war, wirft diese das Handtuch.
Eine Strafanzeige gegen Unbekannt, der umstrittene Abbruch von sogar zwei Bewerbungsverfahren und Beschwerden über Bürgermeister Dirk Wigant bei der Kommunalaufsicht sind die Nachbeben eines rumpeligen Besetzungsverfahrens. Ende 2021 sind die Beigeordnetenstellen für die Dezernate 2 und 4 immer noch vakant. Dabei war doch ihre Neubesetzung mal so dringend nötig!
Der Tierquäler-Skandal um Mecke in Werne
Am 28. Juli 2021 berichten wir erstmals von einem Tierquäler-Skandal. Der Verein Soko-Tierschutz veröffentlichte Videoaufnahmen, auf denen zu sehen ist, wie Mitarbeiter einer sogenannten Viehsammelstelle in Werne Schweine, Pferde und Rinder auf brutalste Weise quälen. Zu dem Zeitpunkt ist der Name Mecke, eine alteingessene Fleischerei-Firma in Werne, noch nicht gefallen.
Die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelt wegen des Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz. Mehrere Privathäuser und Firmenräume werden durchsucht. Anwälte versuchen, den Namen Mecke aus der Berichterstattung herauszuhalten. Vergeblich.

Mit ungezügelter Brutalität schlägt ein Mecke-Mitarbeiter in der Viehsammelstelle in Werne auf ein am Boden liegendes Rind ein. © Soko Tierschutz (A)
Nachdem der Skandal, auch durch immer neue, verstörend-schockierende Bilder, Fahrt aufgenommen hat, gibt uns Firmenchef Marko Mecke ein Exklusiv-Interview – und beteuert, von all dem nichts gewusst zu haben. Später wird jedoch klar: Auch der Firmenchef selbst ist auf den verdeckt aufgenommenen Videos zu sehen. Er ist unter anderem vor einem Stall zu sehen, in dem ein völlig abgemagertes Rind steht. Allein das ist schon ein illegaler Vorgang, denn die Viehsammelstelle war nur für Pferde zugelassen.
Zudem kommen immer mehr Details ans Tageslicht. Zum Beispiel, dass es sich bei einem der Täter um den Tierschutzbeauftragten des Unternehmens handelt. Auf den Videoaufnahmen ist außerdem zu sehen, wie kleine Kinder dazu animiert werden, die Tiere ebenfalls zu malträtieren.
Der Kreis Unna, der selbst wegen lascher Kontrollen in der Kritik steht, verhängt eine Art Berufsverbot für Marko Mecke. Die Folge: Das Fleischerei-Geschäft und weitere Firmenbereiche schließen.
Die Abrechnungsaffäre im Kreistag
Zum Jahresende wurde mit der Enthüllung der Abrechnungsaffäre dann noch aufgedeckt, dass Kommunalpolitik ein lukratives Geschäft sein kann – jedenfalls für diejenigen, die die Spielräume kennen und nutzen. Nachdem sich das Rechnungsprüfungsamt des Kreises Unna veranlasst sah, qualifizierte Nachweise für den Verdienstausfall von Selbstständigen einzufordern, hat diese Redaktion intensiv recherchiert, woraufhin die beiden Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Timon Lütschen und Marion Küpper, zu den vorläufigen Hauptfiguren der Abrechnungsaffäre wurden.
Er rechnet mit Abstand am meisten Verdienstausfälle ab, obwohl er sein Unternehmen erst kurz vor der Kommunalwahl gegründet hat. Sie bezog zumindest bis kurz vor der Kommunalwahl noch Leistungen des Jobcenters, belegt gleichwohl den dritten Platz im Ranking der Kreistagsmitglieder mit den höchsten Ansprüchen. Zwischen ihnen auf Platz zwei: Dr. Hubert Seier, Fraktionsvorsitzender von Linke/UWG.
Es ist noch nicht klar, ob wirklich alles rechtens war, was abgerechnet wurde. Das wird das Jahr 2022 zeigen, zumal Landrat Mario Löhr (SPD) infolge der Berichterstattung dieser Redaktion die Obere Kommunalaufsicht eingeschaltet hat. Auserzählt ist die Abrechnungsaffäre augenscheinlich noch nicht.