Kommunalpolitik kann ein lukratives Geschäft sein, wie die Enthüllung der Abrechnungsaffäre im Kreistag Unna zeigt.

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Politik statt Stütze: Rein in den Kreistag, raus aus Hartz IV

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Die Abrechnungsaffäre im Kreistag dreht sich vor allem um Bündnis 90/Die Grünen. Fraktionschef Lütschen ist die Hauptfigur, aber kein Einzelspieler. Es steht ein Bereicherungsverdacht im Raum.

von Alexander Heine

Kreis Unna

, 08.12.2021, 05:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Dass Kommunalpolitik ein lukratives Geschäft sein kann, hat die Enthüllung der Abrechnungsaffäre im Kreistag Unna gezeigt. Offenbar kann das Ehrenamt auch helfen, sich von Sozialleistungen zu befreien. Politik statt Stütze: Ein Kreistagsmitglied scheint es möglich gemacht zu haben.

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„Das Wichtigste ist für mich absolute Transparenz.“ Ein Satz, ausgesprochen von Marion Küpper als Teilnehmerin einer Podiumsdiskussion in Selm. Da war sie Bürgermeisterkandidatin ihrer Partei.

Diese Abrechnungspraxis nährt Bereicherungsverdacht

Als Kreistagsmitglied und Co-Vorsitzende der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen scheint ihr Transparenz nicht ganz so wichtig. Wie Timon Lütschen beantwortet auch sie keinerlei Fragen dieser Redaktion zur Abrechnungsaffäre im Kreistag, in die sie nach Erkenntnissen dieser Redaktion ebenfalls verwickelt ist. Mit Blick auf ihre augenscheinliche Abrechnungspraxis steht sogar ein möglicher Bereicherungsverdacht im Raum.

Im Rahmen besagter Podiumsdiskussion hat Küpper nämlich auch eingeräumt, Leistungen des Jobcenters zu beziehen. „Ich bin im Prinzip Hartz IV als Aufstockerin – und zwar Aufstockerin mit Nachhilfe“, sagte sie auf eine Frage nach ihrer beruflichen Situation. Und das heißt nichts anderes, als dass ihre Selbstständigkeit bis dato nicht ausreichte, ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu finanzieren.

Mitte August 2020 war das. Binnen weniger Wochen hat sich ihre wirtschaftliche Situation offenbar signifikant verbessert. Denn schon im November rechnete sie nach Recherchen dieser Redaktion gegenüber dem Kreis Unna 1151,60 Euro an Verdienstausfall ab. Wohlgemerkt: Nur für die Zeit, in der ihre politische Tätigkeit ihrer beruflichen entgegenstand und sie deshalb keine Einnahmen erzielen konnte.

Verdienstausfälle über 7.700 Euro binnen zwölf Monaten

Davon ausgehend, dass sie den Rest ihrer Kernarbeitszeit auch tatsächlich gearbeitet hat, müsste ihr Einkommen folglich ungleich höher gewesen sein. Nach Erkenntnissen dieser Redaktion hat Marion Küpper gegenüber der Kreisverwaltung montags bis freitags von 10 bis 18 Uhr und samstags von 10 bis 16 Uhr als Kernarbeitszeit angegeben.

Über alle Sitzungen von Gremien und Fraktion rechtfertigte das nach Erkenntnissen dieser Redaktion einen Verdienstausfall in Höhe von über 7.700 Euro binnen zwölf Monaten. In der Rangliste der selbstständigen Kreistagsmitglieder mit den höchsten Verdienstausfällen belegt Küpper damit Platz 3.

Zur Einordnung: Alleinstehende erhalten vom Jobcenter einen Regelsatz in Höhe von 446 Euro monatlich, dazu Leistungen für die Kosten der Unterkunft. In Summe für gewöhnlich zwischen 800 und 900 Euro. Das Jobcenter berücksichtigt für den sogenannten Ergänzungsbetrag das Netto-Einkommen und einen individuellen Freibetrag, dessen Höhe unter anderem vom Bruttoverdienst und von Sozialversicherungsbeiträgen abhängig ist. Solange sie Leistungen vom Jobcenter bezogen hat, muss ihr Netto-Einkommen also unter besagten 800 bis 900 Euro gelegen haben.

Reicht Nachhilfeunterricht für solche Summen?

Es stehen aber noch mehr Fragen zu Marion Küppers Ansprüchen auf Verdienstausfall im Raum. Im Podium erläuterte sie nämlich auch, mal ein Yogastudio betrieben zu haben – „damit habe ich aufgehört“, sagte sie. Ihren Angaben gemäß Korruptionsbekämpfungsgesetz zufolge ist sie dagegen selbstständig in den Bereichen Mathematikunterricht und Yogaunterricht. Ob sie gegenüber dem Kreis Unna im Zeitraum von November 2020 bis Oktober 2021 Verdienstausfälle als Yogatrainerin abgerechnet hat? Und wie ist eigentlich eine Kernarbeitszeit vormittags und mittags zu erklären, wo Schüler doch in der Regel noch in der Schule sind? Fragen, die Marion Küpper zunächst unbeantwortet ließ.

Marion Küpper (Bündnis 90/Die Grünen)

Marion Küpper (Bündnis 90/Die Grünen) äußert sich ebenfalls nicht zur Abrechnungsaffäre im Kreistag. © Alexander Heine

„Ihre Fragen betreffen meine persönliche Situation, daher werde ich ihre Fragen vorerst nicht beantworten“, teilte sie auf eine schriftliche Anfrage dieser Redaktion mit Verweis auf einen internen Mailverkehr mit. Für sie stelle es sich so dar, dass „eine interne E-Mail, die an unseren Vorstand der Partei gerichtet war, direkt an Sie weitergeleitet wurde.“

Jobcenter: Kein überbehördlicher Austausch

Das Jobcenter Kreis Unna erteilte mit Verweis auf den Sozialdatenschutz keinerlei Auskünfte zur Kundenbeziehung zu Marion Küpper. Geschäftsführer Uwe Ringelsiep erläuterte lediglich, dass jeder Kunde eine Mitwirkungspflicht hat. „Ändern sich Verhältnisse, muss das angezeigt werden.“

Einen überbehördlichen Austausch gebe es nicht – auch nicht zwischen Jobcenter und Kreisverwaltung. „Wir unterliegen dem Sozialdatenschutz und das ist ein sehr hohes Gut“, betonte Ringelsiep. „Von mir erfährt niemand, ob jemand bei uns Kunde ist oder nicht.“

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Als Kreistagsmitglied erhält Marion Küpper monatlich 412,30 Euro, in ihrer Funktion als Ausschussvorsitzende zusätzlich 476,80 Euro monatlich. Ferner ist sie Ratsmitglied in Selm und erhält dort 313 Euro. Macht summa summarum mindestens 1202,10 Euro monatlich über Aufwandsentschädigungen in der Kommunalpolitik – vor Steuern. Hinzu kommen noch die abgerechneten Verdienstausfälle.

Nach Angaben von Jobcenter-Chef Ringelsiep werden Aufwandsentschädigungen für Ehrenämter unter Berücksichtigung eines Freibetrags in Höhe von 200 Euro grundsätzlich angerechnet. Küpper dürfte sich also spätestens nach der Kommunalwahl im September 2020 von Hartz IV befreit haben.

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Wenn sich in dieser Abrechnungsaffäre der Bereicherungsverdacht bestätigt, ist ohnehin nicht davon auszugehen, dass es das Jobcenter das Nachsehen hatte – schon weil die Aufwandsentschädigung für Marion Küpper gemessen am Hartz IV-Regelsatz verhältnismäßig üppig ist und das den Sachbearbeitern wohl über kurz oder lang aufgefallen wäre. Nein, vielmehr stellt sich die Frage, ob die gegenüber der Kreisverwaltung geltend gemachten Ansprüche an Verdienstausfällen in dieser Höhe wirklich gerechtfertigt sind.

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Möglich, dass Nachhilfeunterricht so ertragreich ist. Marion Küpper äußert sich aber auch nicht zur Zahl ihrer Nachhilfeschüler oder zur Höhe ihres Stundensatzes. Dabei könnte sie mit der von ihr selbst gemahnten „absoluten Transparenz“ jeden Verdacht ausräumen.