Wer wusste wann was beim Smart-Rhino-Debakel? Das Scheitern war lange absehbar - und alle haben geschwiegen

Chronik des Smart-Rhino-Debakels: Mega-Projekt hing schon früh nur noch am seidenen Faden
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Es ist ein visionärer Plan und Dortmunds größtes Projekt seit dem Phoenixsee: Im April 2019 stellen der damalige OB Ullich Sierau, Wirtschaftsförderer Thomas Westphal, FH-Rektor Wilhelm Schwick und weitere Akteure das „Zukunftsprojekt Smart Rhino“ für die frühere Industriefläche von Hoesch Spundwand und Profile (HSP) vor.

Kerngedanke ist die Entwicklung eines hochmodernen Stadtquartiers mit Wohnungen, Gewerbe, Grünflächen und einem Berufskolleg. Herzstück soll der Neubau der Fachhochschule (FH) werden.

Eigentümer des 52 Hektar großen Geländes entlang der Rheinischen Straße ist die Essener Thelen-Gruppe. Sie hat die Fläche 2016 von ThyssenKrupp übernommen – und stellt von Beginn an ausdrücklich klar: Sie sei Bestandshalter und werde das Grundstück nicht verkaufen. Und ab hier nimmt das Scheitern seinen Lauf...

April 2020: Die „Machbarkeitsstudie“

Einen Schub bekommt das Projekt ein Jahr später im April 2020 zunächst durch eine von Thelen beauftragte „Machbarkeitsstudie“. Ergebnis: Ja, das rund 1,8 Milliarden schwere Städtebauprojekt ist inhaltlich und technisch (auch mit Blick auf die Verkehrsanbindung) umsetzbar. Die finanzielle Frage wird dabei noch ausgeklammert. Die Vorstellungen der Thelen-Gruppe allerdings sind klar: Es soll ein „Investorenmodell“ werden.

Heißt: Thelen baut, und der Bau und Liegenschaftsbetrieb (BLB) des Landes NRW mietet die FH an. Das wiederum wäre ein glatter Systembruch: In aller Regel zieht der BLB seine Immobilien selbst hoch und nimmt sie in seinen Bestand.

Nächtlicher Blick aus der Skybar im Smart Rhino Tower.
Noch so eine schöne Vision: Nächtlicher Blick aus der Skybar im Smart Rhino Tower © Thelen-Gruppe

April 2020 bis Januar 2022: Die „Wirtschaftlichkeitsbetrachtung“

In der Folge wird in Düsseldorf eine „Wirtschaftlichkeitsbetrachtung“ für ein mögliches Mietmodell erstellt. Es wird ernst.

Ende Januar 2022 - NRW steht wenige Monate vor der Landtagswahl im Mai - liegt der Schlussbericht vor. Er fällt ernüchternd aus.

Das von Thelen gewünschte Mietmodell scheint fürs Land nicht wirtschaftlich zu sein. Die beteiligten Ressorts kommen „bis zum Ende der Legislaturperiode im Juni 2022 zu keinem abschließenden Ergebnis“, wie es heißt.

Februar bis Mai 2022: Der Landtagswahlkampf

Das politische heikle Wackelprojekt Smart Rhino ist für die CDU/FDP-geführte Landesregierung während des Landtagswahlkampfes kein Thema: Eine Kabinettsbefassung, heißt es, „hat nicht stattgefunden.“ Das Projekt hängt am seidenen Faden.

Aus Düsseldorf kommen keine Informationen, in welch kritischer Lage sich Smart Rhino befindet. Auch OB Thomas Westphal schweigt – und hofft weiter. Der Argwohn in der Dortmunder Politik hingegen steigt: Sollte die Entscheidung der NRW-Landesregierung nicht längst da sein?

Die Dortmunder CDU-Politikerin Ina Brandes ist als NRW-Wissenschaftsministerin zuständig für die Hochschulen.
Die Dortmunder CDU-Politikerin Ina Brandes ist als NRW-Wissenschaftsministerin zuständig für die Hochschulen. © picture alliance/dpa

Ab Juni 2022: Es tut sich was

Nach der NRW-Wahl, aus der CDU und Grüne als Koalitionspartner hervorgehen, nehmen die Bemühungen der neuen NRW-Regierung um Smart Rhino Fahrt auf. Weil das von Thelen gewünschte Mietmodell nicht zum Tragen kommt, werden „bis in den Dezember 2022 hinein“ Gespräche geführt, um Lösungen „jenseits des angestrebten Investorenmodells“ zu finden, ist zu erfahren.

Das Ergebnis ist ein neuerlicher Rückschlag: Alle alternativen Modelle werden vom Land im Laufe der Prüfung verworfen. Aus „haushaltsrechtlichen Gründen“.

November 2022: Die Kleine Anfrage der Dortmunder Abgeordneten

In die Vorgänge platzt im November 2022 eine Kleine Anfrage der vier Dortmunder SPD-Landtagsabgeordneten: Sie wollen von der Landesregierung wissen, ob Dortmunds Mega-Projekt „durch die Verzögerung der Entscheidung“ gefährdet sei?

Die Antwort folgt im Dezember 2022: „Die Landesregierung sieht keine Gefährdungen für die Umsetzung des Projektes Smart Rhino.“ Dabei ist das Mega-Stadtentwicklungsprojekt längt auf dem absteigenden Ast.

Eine Hochbahn soll nach den Vorstellungen der Planer über das Gelände schweben. Sie soll mit der Stadtbahn und der S-Bahn verknüpft werden.
Eine Hochbahn sollte nach den Vorstellungen der Planer über das Gelände schweben. Sie sollte mit der Stadtbahn und der S-Bahn verknüpft werden. © Thelen-Gruppe

Anfang 2023: Verhandlungen im Hintergrund

Düsseldorf bemüht sich aber weiter. „Bis ins Frühjahr 2023“ wird mit der Thelen-Gruppe verhandelt, ob sie nicht doch bereit sei, einen Teil ihres Geländes zu verkaufen. Schon zu diesem Zeitpunkt war klar: Das von der FH gewünschte Raumkonzept für den Neubau ist überdimensioniert und muss abgespeckt werden.

Der Flächenbedarf des Landes fällt somit geringer aus. Die Politik in Dortmund tappt zu all dem weiter im Dunkeln – einige haben das Smart Rhino-Projekt bereits abgeschrieben. Nachfragen beantwortet OB Westphal ausweichend: In Düsseldorf werde noch gerechnet.

Eine Animation des Fußgängerbereiches mit einem Mix aus Wohnen, Handel und Gastronomie.
Eine Animation des Fußgängerbereiches mit einem Mix aus Wohnen, Handel und Gastronomie. © Thelen-Gruppe

April 2023: Die DSW-Initiative

Im April 2023, offiziell gibt es noch immer kein Ergebnis, soll der damalige DSW21-Chef Guntram Pehlke auf OB Westphal zu gegangen sein und gefragt haben, ob DSW21 in Sachen Flächenkauf bei Thelen aktiv werden solle. Der OB soll abgeraten haben mit dem Hinweis, man werde eine Lösung finden.

Mai 2023: Vorstoß bei der Thelen-Gruppe

Die Zweifel in Dortmund werden immer größer. Im Mai 2023 gibt es unter den Dortmunder SPD-Landtagsabgeordneten die Überlegung, eine weitere „Kleine Anfrage“ an die Adresse der Landesregierung zu richten. Auch diesmal soll der OB abgewunken haben: Er fürchtete, ein solcher Schritt könne wie ein Störfeuer auf die ohnehin sensiblen Gespräche wirken, heißt es im Nachhinein. Die SPD-Abgeordneten sehen von ihrem Vorhaben ab.

Ob Westphal das Projekt Smart Rhino zu dem Zeitpunkt gedanklich begraben hatte, bleibt unklar. Er soll jedoch gewusst haben, dass die Gespräche mit der Thelen-Gruppe über einen Grundstücksverkauf nicht das gewünschte Ergebnis geliefert haben.

In der Folge werden Westphal und Planungsdezernent Stefan Szuggat selbst bei der Thelen-Gruppe in Essen vorstellig. Dort müssen auch sie zur Kenntnis nehmen: Nein, der Eigentümer möchte weiterhin an seinem Grundstück festhalten.

Es ist der endgültige Todesstoß für Smart Rhino auf der früheren HSP-Fläche. Auch davon erfahren der Rat der Stadt und die Öffentlichkeit nichts.

Die Animation des Stadtviertels aus der Vogelperspektive, wie die Thelen-Gruppe es geplant hatte.
So sollte es aussehen: Die Animation des Stadtviertels aus der Vogelperspektive, wie die Thelen-Gruppe es geplant hatte © Thelen Gruppe

Juni 2023: Die Andeutung

Am 15. Juni eröffnet Westphal führenden Ratsvertretern quasi zwischen Tür und Angel am Rande der letzten Ratssitzung vor der Sommerpause: Es sei möglich, dass Smart Rhino in der ursprünglich geplanten Form platzen werde. Als mögliche Alternative für den FH-Neubau komme die nördliche Speicherstraße am Hafen in Betracht. Zeit für Nachfragen bleibt den Ratsvertretern nicht: Sie kommen aus dem Hauptauschuss und sind eilig auf dem Sprung in die nächste Sitzung, die des Ältestenrats.

Juli 2023: Das Aus - versteckt in einem Nebensatz

Gut zwei Wochen später, am 3. Juli 2023, lassen OB Westphal (SPD), die neue FH-Rektorin Tamara Appel und Wissenschaftsministerin Ina Brandes (CDU) plötzlich die Katze aus dem Sack: Sie schicken eine abgestimmte Pressemitteilung, in der es nach jahrelangen Bemühungen lapidar heißt: „Die Entwicklung des ehemaligen Hoesch-Geländes („Smart Rhino“) zum FH-Standort hatte sich als unwirtschaftlich erwiesen.“ Nun werde ausgelotet, ob das Gelände am Hafen genutzt werden könne.

Weitere Erklärungen vonseiten des OB gibt es nicht: Er hat sich zu diesem Zeitpunkt bereits in den Urlaub verabschiedet. Alle Nachfragen bleiben unbeantwortet.


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