„Hast Du Lust auf Dirty Talk?“ – Ein Tinder-Selbsttest als Frau

Online-Dating

Sie ist gut aussehend, beruflich eingespannt und war lange auf der Suche nach einem Partner. Bei Tinder traf unsere Autorin auf Männer, die nur Sex wollten. Am Ende folgte ein Happy End.

Dortmund

01.04.2021, 14:00 Uhr / Lesedauer: 7 min
Bei Tinder sucht wahrlich nicht jeder die große Liebe. Unsere Autorin hat ihren festen Freund dennoch über die App gefunden – nach unzähligen Sex-Date-Angeboten von anderen Männern.

Bei Tinder sucht wahrlich nicht jeder die große Liebe. Unsere Autorin hat ihren festen Freund dennoch über die App gefunden – nach unzähligen Sex-Date-Angeboten von anderen Männern. © Ruhr Nachrichten (Montage)

Dieser Artikel ist bereits am 7. August 2018 bei uns erschienen. Im Zuge unserer neuen Themen-Reihe „Leben und lieben“ lassen wir die Erfahrungen unserer Autorin wieder aufleben.

Tinder hat seinen Ruf als schnelle Sex-Date-App weg. Doch findet man hier wirklich nur unverbindlichen Spaß oder auch die große Liebe? Das wollte ich in einem Selbsttest herausfinden. Wie ich versuchte, „DEN Richtigen“ zu finden, Promis und verkorksten Männern begegnete und feststellte, dass unsere Generation beziehungsunfähig ist. Da es sich hier um sehr private Eindrücke handelt, wurden die personenbezogenen Daten geändert und der Artikel anonym verfasst.

Swipen, matchen, chatten – das ist der Slogan und die Idee von der Dating-App Tinder. Rund 3,5 Millionen Menschen weltweit sind hier derzeit angemeldet, darunter rund 7000 Dortmunder, wie eine übergreifende Singlebörsen-Plattform kürzlich erhoben hat.

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In meiner Umgebung hörte ich von Freunden eigentlich nur Schlechtes: „Bei Tinder geht’s den Männern nur um das eine“; „Nur wer ein schnelles Sex-Date sucht, der wird dort fündig“ oder „Tinder ist einfach nur oberflächlich“. Meine Erwartungen waren dementsprechend gering, dennoch meldete ich mich an.

Einfaches Prinzip: Ich gab meinen Namen (nennen wir mich Jasmin) an, mein Alter (30 Jahre), mein Geschlecht (weiblich) und lud ein paar Bilder hoch. Dabei achtete ich sehr darauf, dass es vernünftige, schöne Bilder von mir waren. Bikinifotos oder andere freizügige Bilder würden nur falsche Signale senden, dachte ich mir. Denn mein Ziel lautete: DEN Richtigen für eine Beziehung zu finden. Statt Hauspartys, großen Geburtstagsfeiern oder Verkupplungsaktionen, wie man vielleicht früher jemand kennen gelernt hat, gab es nun meinen Job und wenig Freizeit – wo sollte ich also bitte einen Mann kennenlernen? Die Dating-App schien eine Option zu sein.

Nun legte ich die Parameter dafür fest. Ein Mann zwischen 29 und 36 Jahren in einem Radius von maximal 50 Kilometern Entfernung von Dortmund - da sollte sich doch jemand finden lassen, oder etwa nicht?

„Wisch und Weg“ statt „Hin und Weg“

Ich legte los. Mir wurde das erste Bild von einem möglichen Kandidaten angezeigt und nun galt das eiskalte „Wisch-und-Weg-Prinzip“. Gefällt er mir, dann wische ich nach rechts, ist es das Gegenteil, dann nach links. Am Anfang fand ich das ganz amüsant, ich wischte hin und her und dann dachte ich mir: „Moment mal – die Kerle machen das mit deinem Bild ja jetzt genauso“.

Tinder ist also wirklich oberflächlich. Ein Blick entscheidet, ob man sich kennenlernt oder nicht. Erst störte mich dieser Gedanke massiv, aber dann änderte ich meine Meinung. Wenn wir in der Stadt oder in der Disco unterwegs sind, dann schauen wir uns auch genau um. Wenn uns dort jemand auf den ersten Blick gefällt, dann lächeln wir die Person an und halten Augenkontakt, finden wir ihn optisch uninteressant, drehen wir uns um und gehen weiter. Eine menschliche Reaktion, die vergleichbar mit dem Prinzip von Tinder ist. Ich gab dem Ganzen also eine Chance.

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Innerhalb eines Tages hatte ich meine ersten Matches, heißt also: Ich fand seine Bilder gut und ihm gefielen meine - oder wie Tinder es sagen würde „Ihr steht aufeinander“. Durch ein Match waren wir in der Lage zu schreiben. Kurze Zeit später kam auch schon die erste Nachricht: „Hey wie geht’s?“. Nach diesem einfallslosen Start folgte ein netter Dialog. Wir unterhielten uns über den Beruf, Hobbys - und dann kam die, wie ich heute weiß, typische Tinder-Frage: „Was suchst du hier?“

Generation Beziehungsunfähig

Im ersten Moment dachte ich mir: „Ich habe hier irgendwie gar nichts verloren, also suche ich nichts! Doch in Wahrheit war ich auf der Suche nach der Liebe und antwortete folgendes:

  • Er: Was suchst du hier?

  • Ich: Da ich mir eine Beziehung wünsche, möchte ich hier gerne ernsthaft jemanden kennenlernen.

  • Er: Da bist du bei Tinder definitiv falsch. Hier geht’s doch nur ums Vergnügen. Auch ich habe keinen Bock auf eine stressige Beziehung. Unverbindlicher Spaß ist doch viel reizvoller.

  • Ich: Dann hat sich das mit unserem Kennenlernen wohl schon wieder erledigt.

  • Er: Warum? Deine Bilder gefallen mir. Es muss ja nicht bei einem One-Night-Stand bleiben. Eine Affäre ist auch durchaus vorstellbar. Man trifft sich, hat Spaß und keiner macht dem anderen irgendwelche Vorschriften, was er zu tun oder zu lassen hat. Klingt doch perfekt oder?

  • Ich: Und diese Abmachung triffst du dann aber mit mehreren Frauen gleichzeitig?

  • Er: Kein Kommentar, aber Exklusivität gibt es ja nur in einer Beziehung.

  • Ich: Ja und genau das ist das, was ich suche.

Und da hatte ich es also - mein erstes Sex-Date-Angebot. Zwar nett verpackt, aber im Grunde ging es nur um das eine. Ich war enttäuscht, und das setzte sich auch so fort, als ich einen 34-jährigen Mann sah, der anscheinend ganz in meiner Nähe wohnte:

  • Er: Heyyyy Schöne, nur 3 Kilometer Entfernung trennen uns?

  • Ich: Hey, ja das ist allerdings echt nah. Ich glaube wir sind uns aber noch nie begegnet.

  • Er: Das können wir ganz schnell ändern. Zu mir oder zu Dir?

  • Ich: Weder noch. Du bist aber ganz eilig unterwegs, ne?

  • Er: Klar, ich hab bock, also wie sieht’s aus? Lust mit mir den Abend/Nacht zu verbringen?

  • Ich: Nein, danke!

Ich löste das Match auf. Auf einmal sah ich einen jungen Mann, dessen Gesicht mir sehr bekannt vorkam. Er war der Freund von einer Bekannten. Auf Ihrem Instagram-Account hatte ich zahlreiche Urlaubsbilder von ihm und ihr als Paar gesehen. Ich wunderte mich. Was macht der denn hier?

Ich checkte das Profil der Bekannten und sah, dass beide erst frisch zusammen gezogen waren. Trotzdem schrieb er mir eindeutig:

  • Er: Hey ;-) ich bin ehrlich und suche hier eher nicht die große Liebe – geht’s dir ähnlich?

  • Ich: Weil du sie schon gefunden hast oder warum nicht? Was suchst du denn? (Keine Antwort. Kurz darauf schrieb ich:) Kein Interesse an etwas lockerem!!!

Ich gewann die traurige Erkenntnis: Tinder ist nicht nur eine Börse für Singles, sondern auch eine Möglichkeit, fremdzugehen. Ich wunderte mich auch über die plumpe Art. Warum fallen die Männer immer so mit der Tür ins Haus? Zieht das bei anderen Frauen? Ich bin selbst nicht prüde, aber diese Dialoge waren mir echt zu plump. Ob sich aus solchen Gesprächen jemals eine Beziehung entwickeln kann? Sicher nicht. Und schon gar nicht mit einem Fremdgeher. Ich setzte meine Suche fort.

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Auch Promis auf Tinder unterwegs

Irgendwann sah ich einen jungen Mann, dessen Gesicht mir sehr bekannt vorkam. Schnell erkannte ich: Das ist das Profil eines Nachrichten-Moderators. Im Fernsehen (ein großer nationaler Sender) wirkte er seriös und etwas schüchtern. Bei Tinder jedoch zeigte er sich von einer ganz anderen Seite:

  • Er: Hey schöne Frau ;-) Woher kommst du?

  • Ich: Aus Dortmund und du?

  • Er: Aus Köln. Was machst du gerade?

  • Ich: Ich chille auf der Couch – typischer Sonntag halt.

  • Er: Alleine?

  • Ich: Ja, alleine – Warum die Frage?

  • Er: Alleine ist doch doof. Man könnte den Sonntag doch noch viel besser nutzen. Ich könnte in gut einer Stunde bei dir sein und wir vergnügen uns, na wie klingt das?

  • Ich: Ich bin nicht der Typ für sowas. Du bist also nur auf Spaß aus hier? Ich hingegen möchte jemand ernsthaft kennenlernen.

  • Er: Schade. Haste dann wenigstens Lust auf Dirty Talk?

Es reichte mir. Schlagartig war mir der Fernsehmoderator unsympathisch. Was stimmt denn mit den ganzen Männern auf Tinder nicht? Als ich dachte, schlimmer geht’s nicht mehr, kam der nächste Kandidat.

Es war ein gut aussehender 33-jähriger Mann, er hatte meeresblaue Augen, ein strahlendes Lächeln, eine sportliche Figur und war nach eigenen Angaben 1,90 Meter groß – optisch ein toller Typ. Auf manchem Bildern zeigte er sich im Arztkittel, wo das Stethoskop um seinen Hals hing. Mir wurde direkt klar, dass er versucht, das Klischee vom „Gott im weißen Kittel“ auszunutzen.

Alles dreht sich nur um Sex

Unser Gespräch verlief erst normal und wirklich nett. Doch kurz drauf folgte die überraschende Wende mit einem speziellen Fragenkatalog:

  • Er: Auf was stehst du so? Eher auf Blümchensex oder darfs wild zur Sache gehen? Was sind deine Tabus? SM? Dreier?

  • Ich: Für mich ist es ein Tabu, mit einem wildfremden Mann über so etwas zu reden.

  • Er: Schade, aber dann nenn mir wenigstens deine BH-Größe

Ich war schockiert. Kopfschüttelnd und sauer saß ich vor meinem Handy.

In was für einer Welt leben wir heute, dass es sich nur noch um Sex dreht? Sind Charaktereigenschaften, wie Humor, Intelligenz, Ehrlichkeit und Treue nichts mehr wert? Das Stichwort „Generation Beziehungsunfähig“ kreiste in meinem Kopf, und beim Durchstöbern nach weiteren Kandidaten manifestierte sich dieser negative Gedanke.

Ich sah Bilder von einem Pärchen. Ein Bild von ihm, ein Bild von ihr und Bilder von beiden zusammen. Ich war verwirrt – das kann doch nur ein Fehler sein? War es aber nicht, denn im Profil stand:

  • „Wir suchen als Paar ein bisschen Abwechslung. Wir sind seit einem Jahr glücklich vergeben, aber suchen jemand drittes für Spaß und Abenteuer“

Das Paar suchte über Tinder also die passende Frau für einen flotten Dreier und damit waren sie nicht das einzige Pärchen, wie sich mit der Zeit herausstellte. Ich fragte mich ernsthaft: War bei Tinder wirklich niemand, der ernsthafte Absichten hat?

Ich suche hier nach dem Abmeldegrund

Manche Aussagen unter Profilen von anderen Männern, ließen mir noch etwas Hoffnung. So stand da:

  • Kein Interesse an belanglosen One-Night-Stands

  • Ich suche hier nach dem Abmeldegrund

  • Wenn uns jemand fragt, wie wir uns kennengelernt haben, dann sagen wir einfach: Wir haben im Supermarkt nach der selben Milch gegriffen.

Letzteres fand ich sehr sympathisch. Die Supermarkt-Situation ist die Idealvorstellung – doch mal ehrlich: Wer ist so mutig und tauscht direkt die Handynummern aus? Ich jedenfalls nicht. Also muss so eine Dating-App wie Tinder her. Ein halbes Jahr war ich dort angemeldet. Ich hatte zahlreiche Matches, darunter waren allerdings auch viele „Tinder Leichen“. Das bedeutet, dass mir die Männer mit ihrem Bild angezeigt wurden, aber wir nie geschrieben haben, was mich wunderte. Warum liked er mich, wenn er mich dann nicht kennenlernen will?

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In einem Gespräch mit einem Freund, der auch die App nutzte, erfuhr ich dann, dass manche Männer mit der Anzahl ihrer Matches angeben. Nach dem Motto: 20 Frauen finden mich toll – und wie viele hast Du?

Damit wurde mein Bild von der App immer negativer. Nach vielen gelöschten Matches habe ich mich schlussendlich mit drei Männern persönlich in einem Café in Dortmund getroffen. Die Dates liefen nett und seriös ab, wie es sich gehört, doch leider funkte es nicht.

Liebesglück über Tinder ist möglich

Zum Ende meiner Nutzerzeit traf ich dann auf das Bild von einem Mann, den ich bereits aus dem wahren Leben vom Sehen her kannte. Er gab mir ein „Superlike“. Eine Funktion, die dafür sorgt, dass er mir schneller angezeigt wird, als es sonst der Fall wäre. Ich wischte nach rechts, wir hatten ein Match und schrieben. Wir führten lange Gespräche, erst über Tinder, dann über WhatsApp, dann telefonierten wir und hatten mehrere Dates. Und was soll ich sagen? Der Funke sprang über und so führte mich Tinder tatsächlich zu meinem neuen Freund.

Mein Fazit: Wer nur Sex-Dates will, wird auf Tinder schnell fündig. Dabei gilt: Bilder sagen mehr als tausend Worte. Männer, die sich oberkörperfrei dort präsentieren oder sich nur in Unterhose auf der Matratze zeigen, wollen auch wirklich nur jemanden fürs Bett. Die meisten Nutzer sind definitiv nur auf Spaß aus. Sein Liebesglück auf Tinder zu finden, ist selten, aber nicht ausgeschlossen.

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