
© Tobias Weckenbrock
Tinder als dummer Newbie: Wo Partnersuche sich wie ein Spiel anfühlt
Partnerbörse
Wie ist es, Tinder als absoluter Newbie zu nutzen? Auf was, aber auch auf wen stößt man? Was versteht man anfangs überhaupt nicht? Unser Autor hat es getan und erzählt, wie es ihm damit ging.
Ich soll mich über Facebook oder Apple mit Tinder verbinden. Ich soll meine Handynummer eingeben, damit ich einen SMS-Code erhalte. Gut, zweistufige Authentifizierung. Aber meine anderen Nutzerkonten? Nein, gerade nicht.
Ups, Moment, ich muss mich erst vorstellen: Ich bin Tobias Weckenbrock, Redakteur aus Castrop-Rauxel, verheiratet, zwei Kinder. Ich mag Perspektivwechsel. Bei uns Journalisten eine fast notwendige Fähigkeit, um sich einfühlen zu können in die Themen, über die wir berichten. Hier lautet die Perspektive: Wie ist es, wenn ich, 41 Jahre alt, Single im Ruhrgebiet wäre? Ich könnte ja Tinder ausprobieren. Das habe ich eine Woche lang getan und mich dabei mal ganz doof gestellt. Was ist das? Wie fühlt es sich an, diese App zu nutzen?
Folgen Sie mir in eine Woche Tinder als Newbie. Brauchen Sie nur ein kurzes Fazit, lesen Sie ganz unten weiter.

So sieht mein Profil aus meiner Sicht aus. Eine Uniform hab ich nicht. Aber ich sehe, dass vieles in dieser App Geld kostet. © Tobias Weckenbrock
Auf meinem Display erscheint eine „Hausordnung“: „Bitte halte dich dran!“ Vier Punkte, ganz knapp. „Sei du selbst: Bleib bei deinen Fotos, deinem Alter und deiner Bio bei der Wahrheit über dich. Bleib auf der sicheren Seite: Teile nicht zu schnell persönliche Informationen über dich. Bleib locker: Respektiere andere und behandele sie so, wie du auch behandelt werden möchtest. Sei proaktiv: Melde schlechtes Verhalten immer.“ Ich stimme zu, denn ich habe keine andere Option. Und ja: Ich will ja ehrlich testen. Danke für das ersparte Kleingedruckte!
„Wie ist dein Vorname?“, fragt es mich. Ich finde das sympathisch, denn es wirkt persönlich. Mein Name werde so bei Tinder angezeigt und könne nicht mehr verändert werden, heißt es. Na gut. Mein Geburtsdatum ist das nächste, das von mir verlangt wird. „Dein Alter wird öffentlich sichtbar sein“, heißt es.
Jetzt wird’s ernst: Ich bin ein… Mann! Aber ich muss anmarkern, dass mein Geschlecht nicht in meinem Profil angezeigt werden soll. Warum sollte ich mein Geschlecht nicht angeben? Man kann sogar auf „Mehr“ tippen und dann ein Freifeld mit Text füllen. Es ist also alles möglich. M/W/D olé!
Man darf verschiedentlich orientiert sein
Bei der „sexuellen Orientierung“ darf man bis zu drei Punkte auswählen – ich wähle allerdings nur „heterosexuell“. Bei meinen Interessen bin ich etwas überfordert: Trivia? Voguing? Kenn ich gar nicht. Ich frage mich auch, wer wohl „Self Care“ angibt. „Brunch“ finde ich wohl ganz gemütlich, aber ich gebe Fußball und Reisen und Fotografie und Radfahren und Gartenarbeit an. Das muss reichen.
Dann sollen es noch zwei Fotos sein. Zwei? Ich denke kurz nach und nehme dann einfach schnell zwei Fotos auf. Keine Knaller. Aber warum auch? Als ich sie hochgeladen habe, kommt eine Mail: Ich möge meinen Tinder-Account verifizieren. Das finde ich gut, denn so bin ich sicher, dass niemand meine Mailadresse missbraucht.

Das Foto von Ina macht Lust auf mehr. Aber ist Ina (36) echt? Man kommt nicht so recht dahinter. © Tobias Weckenbrock
Um Tinder nutzen zu können, muss man den Standortzugriff erlauben. Das ist die Info im nächsten, hoffentlich letzten Schritt, die mich etwas schockt: Klar, Tinder funktioniert ja so, aber will ich das wirklich? Ich lese die Infos. Dort heißt es: „Triff Menschen in deiner Nähe! Dein Standort wird verwendet, um potenzielle Matches in deine Nähe anzuzeigen.“
„Let‘s give it a try“
Na gut. Ich bin drin. Muss noch einen Sicherheitscode eingeben, dann geht es los. Am Rechner. Am Smartphone. Willkommen in der Tinder-Welt mit … Ina (36), die auf ihrem Bild „Let’s give it a try“ sagt. Hübsches Kleid, Foto vorm Spiegel, tiefes Dekolleté, schicke Frau. Auf dem Smartphone wird mir als erstes Liv angezeigt, die angeblich 37 ist und sich 74 Kilometer entfernt aufhält. Irgendwie bin ich misstrauisch, ob die Frauen echt sind. Sie sehen eigentlich zu gut aus. Naja.

Die Bilder derer, die mich geliket haben, sind unkenntlich gemacht. „Sieh, wem du gefällst“ kostet Geld. © Tobias Weckenbrock
Ich swipe mal nach rechts, mal nach links und sehe viele Gesichter um die Mitte 30. Einen Mann auch, aber sonst recht attraktive Frauen. Dann fällt mir erst ein: Da war doch was mit rechts und links – das hat doch eine Bedeutung. Mir als jemand, der ungern Anleitungen liest, ist bei der Anmeldung nicht unter gekommen, dass es einen Unterschied macht, in welche Richtung man die Bilder vom Screen schiebt. Aber die fünf Icons unter den Bildern, die haben ja auch Wert: Stern, Herz, Blitz, X und Pfeil…
Dann nehme ich Kontakt zu „Happy“ auf
Ich tippe auf den Blitz, als ich Happy (40) aus Münster sehe. Sportbegeistert, Nichtraucherin, keine Kinder – „und ja, mir geht es gut“. Als ich sie blitze, sehe ich: Ach, das ist ein Match. Denn sofort schlägt mir die App vor „Mehr Matches? Hol dir einen Boost und werde für 30 Minuten bis zu 10 Mal mehr gesehen.“ Tinder Plus. 1 Boost 6,99 Euro. 5 Boosts für 5,60 Euro je Boost. Die wollen mein Geld! „Nein, danke.“

Immer, wenn man tiefer einsteigt, stößt man auf solche Dialogfelder. Das bedeutet meist, dass man ein kostenpflichtiges Angebot unterbreitet bekommt. © Tobias Weckenbrock
Oben in der Menüleiste hat sich was getan: Ich klicke auf das Karo und erkenne eine kleine 4. Vier Likes sind das. Ich tippe drauf, sehe aber nur verschwommene Fotos und den Button „Sieh, wem du gefällst“. Zack: „Hol dir Tinder Gold“. 12 Monate 129,99 Euro. 6 Monate 98,99 Euro. 1 Monat 32,99 Euro. Damit bekomme ich 5 Gratis-Super-Likes und eine unbegrenzte Rücknahme von Swipes. Und das: „Finde heraus, wer dich mag. Für sofortige Matches.“ Heißt für mich: Hier komme ich ohne Geld nicht weiter.
Gleich nebenan stehen 10 „Top-Picks“. LaBella (45), Dori (37), Sabrina (42) und Neja (46). Sie sehen alle überdurchschnittlich gut aus. Ich like „Dori“, damit hab ich meinen Top-Pick getätigt und 0 verbleiben. Schade. Was auch immer das bewirkt.
Und immer wieder derselbe Hinweis
Ich tippe auf die Sprechblase daneben und stelle fest: Ich hab eine Nachricht von Larisa. „Mag dich“ , steht daneben. Will ich aber die Nachricht öffnen, kommt wieder der Hinweis, ich müsse mir Tinder Gold holen. Unter 32,99 Euro geht das nicht. Tinder Platin. Tinder Plus. Ich sehe schon: Wer kein Geld ausgeben möchte, ist hier falsch.
Ich gehe zurück auf die Startseite. Da steht noch immer Happy aus Münster. Ich swipe sie zur Seite und es blitzt auf: „It’s a match! Sag was Nettes!“ Ich darf ihr nun also eine Nachricht schreiben? Ich schreibe: „Hej, hab ne Weile in MS studiert und gewohnt, lebe aber inzwischen im Ruhrgebiet.“ Das sende ich.
Die gesendete Nachricht finde ich nach kurzer Suche im Postfach wieder. Ich habe Happy ein „Super-Like“ gegeben. Ich kann ihr dort nun offenbar noch mehr schreiben. Ich schaue noch mal in ihr Profil. Ich sollte Single sein und aktuelle Fotos haben, steht da. Raucher seien raus. Sie wolle sich lieber treffen als lange zu texten. One-Night-Stand (dort steht: ONS) sei raus. „Was normales wäre toll.“ Ich kann zwei weitere Fotos von ihr sehen. Eines beim Segeln. Ein Porträt. Ich sehe, dass ich sie zum Video-Chat treffen könnte. Aber das lass ich sein. Ich warte mal ab, ob sie mir auf die Nachricht antwortet.
Es dauert zwei Stunden, dann hab ich ein „Hey…“ im Posteingang. Ich freue mich kurz. Danke, Happy! Aber was schreib ich ihr nun zurück? Ich lasse diese Frage ein bisschen offen. Am Tag danach schaue ich noch mal rein – und finde ihre Nachricht und die Kontaktoption nicht wieder.
Nach einer Woche, in der ich ganz oft gesehen habe, dass ich Gold, Platin und Premium buchen soll – an allen Ecken und Enden –, bin ich genervt. Ich lasse es sein! Ich verstehe, dass ein Anbieter für seine Leistung Geld möchte. Das möchte ich als Journalist für meine Geschichten auch. Aber ich bin nicht bereit, hier als Tester zu bezahlen. Und fest steht: Die kostenfreie Variante, bei der man an allen Ecken und Enden zum Zahlen aufgefordert wird, macht keinen allzu großen Spaß.
Fazit (tl;dr): Tinder ist fancy, weil die App die Partnersuche zu einem Spiel macht. Gamification at its best. Keine langen Profile lesen, keine Suchmaske wie in einer Partnerbörse – man kann nach dem Motto „lass mal kommen“ munter hin und her swipen und findet – gerade zu Anfang – manch eine attraktive „Option“. Wenn man sich darauf verlassen kann, dass die Menschen echte Bilder von sich einstellen. Aber: Wer ernsthaft sucht, muss wohl Geld ausgeben. Ich sehe ein: Jedes gute App- und Web-Spiel kostet auf Dauer ein paar Euro. Und wer es wirklich will, ist bereit, zu zahlen. Dass Tinder süchtig machen kann: Ich ahne es.
Gebürtiger Münsterländer, Jahrgang 1979. Redakteur bei Lensing Media seit 2007. Fußballfreund und fasziniert von den Entwicklungen in der Medienwelt seit dem Jahrtausendwechsel.
