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Abrechnungsaffäre: Jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft
Kommunalpolitik
In der Abrechnungsaffäre gibt es offenbar genügend Anhaltspunkte für eine mögliche Straftat: Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Es geht um Betrug und Untreue.
Die Abrechnungsaffäre im Kreistag Unna kannte bislang vor allem eine politische Dimension. Es ging mehr um moralische, weniger um rechtliche (Un-)Schuld. Die drei Hauptfiguren waren sich so oder so keiner Schuld bewusst. Aber jetzt geht es eben auch um die strafrechtliche Relevanz: Mit der Abrechnung ihrer Verdienstausfälle haben sich die Beteiligten wohl mindestens am Rande der Legalität bewegt – die Staatsanwaltschaft Dortmund hat offenbar ausreichend Anhaltspunkte für eine mögliche Straftat.
Abrechnungsaffäre: Ermittlungsverfahren eingeleitet
Und deshalb hat sie ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Einerseits gegen Dr. Hubert Seier (UWG) aus Selm, der in nicht unerheblichem Umfang Fraktionsstunden doppelt abgerechnet haben soll; als Ratsmitglied in Selm und als Mitglied des Kreistags in Unna. Der Staatsanwaltschaft liegen „diverse Schriftstücke“ vor, die einen Anfangsverdacht des Betrugs rechtfertigen, hieß es auf Anfrage dieser Redaktion.

Die Staatsanwaltschaft Dortmund ermittelt gegen Dr. Hubert Seier (UWG) aus Selm wegen Betrugsverdacht. © Alexander Heine
Aber auch gegen Timon Lütschen aus Kamen und Marion Küpper aus Selm wird jetzt ermittelt: Das sogenannte Vorermittlungsverfahren gegen die beiden Co-Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen im Kreistag hat einen Anfangsverdacht ergeben; wie berichtet, liegt zudem gegen beide eine Strafanzeige wegen Betruges und Untreue vor.
Die Staatsanwaltschaft machte keine Angaben zu möglichen Schadenssummen. Lütschen, Seier und Küpper führen in eben dieser Reihenfolge das Ranking der Kreistagsmitglieder mit den höchsten Ansprüchen auf Verdienstausfallzahlungen an – bei allen gibt es Zweifel an der Plausibilität ihrer Abrechnungen.
Bei Timon Lütschen, weil er als Geschäftsführer eines erst wenige Monate alten Unternehmens im ersten Jahr seines Kreistagsmandats mit Abstand die höchsten Verdienstausfälle abgerechnet hat; nach zunächst beharrlichem Schweigen ist er etwaigen Verdächtigungen im Interview mit dieser Redaktion entgegengetreten. Bei Marion Küpper, weil sie mindestens bis zur Kommunalwahl im September 2020 ergänzende Hartz IV-Leistungen bezogen hat, ihre selbstständigen Einkünfte also nicht für ihren Lebensunterhalt reichten; sie hat zu den Vorwürfen öffentlich bislang keinerlei Stellung bezogen.

Auch gegen die beiden Co-Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen im Kreistag, Timon Lütschen und Marion Küpper, hat die Staatsanwaltschaft Dortmund in Sachen Abrechnungsaffäre ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. © Drawe / Heine
Und Dr. Hubert Seier hat mit Bekanntwerden der Vorwürfe gegen ihn eingeräumt, dass er es für völlig in Ordnung gehalten habe, Fraktionsstunden doppelt abzurechnen, wenn sie thematisch die Rats- wie auch die Kreistagsarbeit tangierten.
Der Redaktion liegen allerdings Hinweise vor, dass Seier mit seinem Doppelmandat in Stadtrat und Kreistag weit mehr als die von ihm eingeräumten Stunden doppelt abgerechnet hat.
Er ist eigenen Eingaben zufolge seit Oktober 2004 Ratsmitglied in Selm und seit Januar 2017 Mitglied des Kreistags in Unna. Mit seinen schriftlichen Einlassungen gegenüber dieser Redaktion bezifferte er die zeitlichen Überschneidungen mit rund zehn Stunden, bezog sich aber ausdrücklich nur auf die laufende Wahlperiode. Informierte Kreise berichten von einer nachträglichen Prüfung vergangener Jahre, die zahlreiche fehlerhafte Abrechnungen offenbart hätte.
Die Staatsanwaltschaft machte dazu auf Nachfrage keine Angaben. „Es wird Gegenstand unserer Ermittlungen sein, in welchen Umfängen gegebenenfalls doppelt oder zu Unrecht abgerechnet worden sind“, so Staatsanwalt Börge Klepping zum Ermittlungsverfahren, an dessen Ende die Einstellung des Verfahrens oder eine Anklageerhebung stehen kann. Mit der bloßen Einleitung des Verfahrens ist die Schuldfrage also noch lange nicht geklärt.