Abrechnungsaffäre: Stunden doppelt abgerechnet – Polizei eingeschaltet

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Abrechnungsaffäre: Stunden doppelt abgerechnet – Polizei eingeschaltet

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Er hat seine Hände in Unschuld gewaschen, dabei scheint gerade er sich die Finger schmutzig gemacht zu haben: Neue Erkenntnisse mit einer neuen Hauptfigur der Abrechnungsaffäre im Kreistag.

von Alexander Heine

Kreis Unna

, 14.03.2022, 15:40 Uhr / Lesedauer: 2 min

Die Enthüllung der Abrechnungsaffäre im Kreistag pikierte ihn. Weniger in der Sache, vielmehr der Berichterstattung wegen: Dr. Hubert Seier (UWG) stellte sich vor die Bündnisgrünen Timon Lütschen und Marion Küpper, tat Kritik an der Abrechnungspraxis von Verdienstausfällen als Neiddebatte ab. „Das ist Bashing gegen Kommunalpolitik“, war einer der Sätze in einem bemerkenswerten Gespräch, in dem Seier auch betonte: „Ich habe nichts Illegales gemacht.“ Daran gibt es nun ernsthafte Zweifel.

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Seier ist Mitglied im Kreistag und Mitglied im Rat der Stadt Selm. In beiden Kommunalparlamenten hat er den Vorsitz seiner Fraktion inne, was er sich womöglich zunutze gemacht hat. Informationen dieser Redaktion zufolge soll er für Fraktionssitzungen ganz oder teilweise doppelt Verdienstausfall kassiert haben. Vereinfacht gesagt: eine Stunde Sitzung, zwei Stunden Verdienstausfall – also doppelte Entschädigung.

Abrechnungsaffäre: Polizei und Staatsanwaltschaft eingeschaltet

Offizielle Angaben gibt es nicht darüber, über welchen Zeitraum und in welchem Umfang: Kreis- und Stadtverwaltung verweisen beide auf ein laufendes Verfahren und wollen „deshalb keine detaillierten Auskünfte geben“, wie es in den offenbar abgestimmten Antworten der beiden Verwaltungssprecher heißt. Demnach hat der Kreis Unna die Polizei und die Stadt Selm ihrerseits über einen Rechtsanwalt die Staatsanwaltschaft eingeschaltet.

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Seier selbst räumte gegenüber dieser Redaktion Auffälligkeiten bezüglich seiner Abrechnungen ein. In einer schriftlichen Stellungnahme bezog er sich auf gemeinsame Sitzungen der UWG-Ratsfraktion mit der UWG-Teilfraktion im Kreistag. Zur Erläuterung: Seier ist das einzige Kreistagsmitglied der UWG, hat aber im Zuge der Konstituierung mit zwei Vertretern der Linkspartei eine gemeinsame Fraktion gegründet. In manchen dieser gemeinsamen Sitzungen habe es „zeitliche Überschneidungen“ gegeben. „Es wurde mit dem Kreis Unna und der Stadt Selm für gemeinsame Fraktionssitzungen [...] getrennt abgerechnet“, so Seier, der die zeitlichen Überschneidungen für die laufende Wahlperiode mit rund zehn Stunden beziffert.

„Ich habe das für rechtens gehalten.“
Dr. Hubert Seier (UWG)

„Ich habe das für rechtens gehalten, da ich den Kreis Unna und die Stadt Selm vor dem Hintergrund meiner beruflichen Praxis als zwei getrennte ‚Kunden‘ betrachtet habe“, so Seier, der als selbstständiger Unternehmensberater tätig ist. „Auch im Rahmen meiner hauptberuflichen Tätigkeit arbeite ich häufig für verschiedene Kunden ‚zeitgleich‘ und rechne später jeweils einzeln für meine erbrachten Leistungen ab.“ Er habe die zeitgleiche Abrechnung einiger Sitzungsstunden „offensichtlich anders bewertet und auch nicht als Fehler meinerseits gesehen“.

Keine Angaben zu früheren Jahren

Seiner schriftlichen Einlassung zufolge ist ihm Mitte Januar durch Schreiben von Kreis- beziehungsweise Stadtverwaltung bekannt geworden, dass die Behörden den Sachverhalt anders bewerten als er. Er könne die Auffassung im Nachhinein nachvollziehen und habe „sämtliche erhaltenen Entschädigungen für alle bemängelten Abrechnungen umgehend, einvernehmlich und vollständig [...] zurückgezahlt“. Seier, der seine Antworten ausdrücklich nur auf die aktuelle Wahlperiode seit der Kommunalwahl am 13. September 2020 bezieht, ist nach eigenen Angaben seit Oktober 2004 Ratsmitglied und seit Januar 2017 Kreistagsmitglied; Fragen nach möglichen Doppelabrechnungen seit 2017 beantwortet er nicht.

Doppelabrechnung: Schaden womöglich viel größer

In der Selmer Lokalpolitik ist hinter vorgehaltener Hand von ganz anderen Umfängen die Rede, als Seier sie gegenüber dieser Redaktion mit zehn Stunden nun eingeräumt hat. Es heißt überdies, dass bei einer nachträglichen Prüfung auch Doppelabrechnungen aus früheren Jahren aufgefallen sein sollen. Von einem Schaden in vierstelliger Höhe ist da die Rede – und das wären ganz andere Dimensionen, als Seier sie mit seiner Einlassung suggeriert.

Wie berichtet, hat die Staatsanwaltschaft in Sachen Abrechnungsaffäre ein sogenanntes Vorermittlungsverfahren eingeleitet. Das beschränkte sich zuletzt auf die beiden Co-Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen im Kreistag, Timon Lütschen und Marion Küpper. Gegen beide lag eine Strafanzeige wegen Betrug und Untreue vor. Zum Stand des Vorermittlungsverfahren will sich die Staatsanwaltschaft im Laufe dieser Woche äußern.