Timon Lütschen, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, ist das Kreistagsmitglied mit den höchsten Ansprüchen an Verdienstausfallleistungen.

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Abrechnungsaffäre: Kommunalpolitiker jetzt offenbar zurückhaltender

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Die Enthüllung der Abrechnungsaffäre scheint Auswirkungen auf das Abrechnungsverhalten von Kreistagsmitgliedern zu haben. Derweil hat sich der Landrat zum weiteren Vorgehen geäußert.

von Alexander Heine

Kreis Unna

, 03.02.2022, 17:55 Uhr / Lesedauer: 3 min

Wer mit der Kreisverwaltung eine (Ab-)Rechnung offen hat, muss damit rechnen, dass diese einen Strich durch dieselbige macht. Jedenfalls, wenn es um Verdienstausfälle in Verbindung mit einem Kreistagsmandat geht. Was nicht plausibel erscheint, wird abgelehnt: Das Büro des Landrats strebt eine strengere Regelauslegung an.

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Landrat Mario Löhr (SPD) sieht sich und seine Mitarbeiter in der Pflicht. Aus der Antwort der Bezirksregierung Arnsberg als Obere Kommunalaufsicht auf Fragen zur Abrechnungsaffäre interpretiert er: „Wir müssen den Einzelfall betrachten und entsprechend entscheiden – und das werden wir auch machen.“ Wie berichtet, ist die Bezirksregierung der Auffassung, dass der Kreis Unna die aufgeworfenen Fragen selbst prüfen muss, um dann die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen.

Spielräume für Abrechnung von Verdienstausfällen

Ihren Ursprung nahm die Abrechnungsaffäre mit dem Prüfungsbericht zum Jahresabschluss 2020. Darin hatte das Rechnungsprüfungsamt des Kreises Unna angeregt, „dass bei Selbstständigen der Verdienstausfall durch einen qualifizierten Nachweis geltend gemacht werden sollte“. Recherchen dieser Redaktion hatten daraufhin offengelegt, dass einzelne Kreistagsmitglieder sich allem Anschein nach Spielräume für die Abrechnung von Verdienstausfällen zu Nutze machen – möglicherweise, um ihr Einkommen über das Ehrenamt Kommunalpolitik in nicht unerheblichem Maße aufzubessern.

Landrat Mario Löhr (SPD) hatte zur Prüfung der Abrechnungsaffäre die Bezirksregierung Arnsberg als Obere Kommunalaufsicht eingeschaltet.

Landrat Mario Löhr (SPD) hatte zur Prüfung der Abrechnungsaffäre die Bezirksregierung Arnsberg als Obere Kommunalaufsicht eingeschaltet. © Alexander Heine / Archiv

Insbesondere die Abrechnungen der beiden Co-Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Timon Lütschen und Marion Küpper, haben in diesem Punkt Fragen aufgeworfen – zu denen sich beide nach wie vor nicht öffentlich äußern. Lütschen hat dafür am Mittwochabend die Quittung von seinen Parteifreunden bekommen: Er wurde mit sofortiger Wirkung aus der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Stadtrat von Kamen ausgeschlossen.

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Auf Platz zwei und somit mit im Bunde der drei Kreistagsmitglieder mit den höchsten Ansprüchen auf Verdienstausfälle: Dr. Hubert Seier (UWG), der seine Abrechnungen im Gespräch mit dieser Redaktion aber entschieden rechtfertigte und beteuerte, „nichts Illegales gemacht“ zu haben.

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Der Kreistag sah sich jedenfalls veranlasst, etwaige Spielräume zu schließen und folgte im Dezember einem SPD-Antrag, wonach ab sofort ein qualifizierter Nachweis für die Abrechnung von Verdienstausfällen vorzulegen ist.

Ein Schritt, den man im Kreishaus ausdrücklich begrüßt – der dort aber auch neue Fragen aufwirft. Was gilt als qualifizierter Nachweis? Und wie ist zu verfahren, wenn ein solcher Nachweis offenlegt, dass ein geltend gemachter Anspruch auf Verdienstausfall zu hoch war?

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Allerdings scheint im Kreistag infolge der Enthüllung der Abrechnungsaffäre ohnehin eine neue Zeit(ab)rechnung begonnen zu haben. Besonders deutlich wird das mit Blick auf die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, die in Verdacht geraten war, mehr Geschäft als Politik zu machen: Als eine der kleinsten Fraktionen tagte sie in den ersten zwölf Monaten nach der Wahl mit über 136 Gesamtstunden am längsten – noch dazu auffallend häufig auffallend früh am Tag.

Im Dezember 2021 saß die Fraktion nur anderthalb Stunden zusammen; und damit fast 17 Stunden weniger als im Dezember 2020. Obwohl im letzten Quartal 2021 wieder wie üblich aufwändige Haushaltsberatungen anstanden – ein Jahr zuvor waren sie infolge der Kommunalwahl und mit Blick auf die Corona-Pandemie auf Januar und Februar verschoben worden.

Gut möglich, dass sich das Quartett seitdem einfach besser eingespielt hat. Vielleicht spiegelt sich aber auch Lütschens Reaktion auf die Enthüllung der Abrechnungsaffäre wider: Im Rahmen einer digitalen Mitgliederversammlung des Kreisverbandes von Bündnis 90/Die Grünen hatte er angekündigt, künftig einfach weniger abrechnen zu wollen. Seinen Parteifreunden war das offenkundig nicht genug. Weil er nicht zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen wolle, sei das Vertrauensverhältnis „nachhaltig gestört“, hatte die Fraktionsspitze um Anke Dörlemann am Mittwochabend nach dem Votum mit sieben Ja-Stimmen und einer Nein-Stimme mitgeteilt.

Stadt Selm verweigert Auskunft zu Abrechnungen

Übrigens: Als Mitglied des Kamener Stadtrats hat Timon Lütschen nach Informationen dieser Redaktion keine Verdienstausfälle geltend gemacht. Offen ist die Frage, ob und in welchem Umfang Dr. Hubert Seier und Marion Küpper als Ratsmitglieder in Selm Ansprüche geltend machen. Die dortige Stadtverwaltung verweigert bislang beharrlich jede Auskunft zum Thema.