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Abrechnungsaffäre: Kommunalaufsicht gibt Verantwortung zurück nach Unna
Kreistag
Der Gang zur Oberen Kommunalaufsicht hat wenig Aufklärung in die Abrechnungsaffäre gebracht: Die Verantwortung liegt wieder beim Kreis Unna, Antworten auf entscheidende Fragen bleiben aus.
Die Prüfung durch die Obere Kommunalaufsicht sollte Rechtssicherheit geben. „Um jedem Zweifel entgegenzutreten“, hatte Landrat Mario Löhr (SPD) seine Beweggründe dafür erläutert, die Bezirksregierung Arnsberg in die Aufklärung der Abrechnungsaffäre einzubeziehen. Anlass für derlei Zweifel gibt es freilich genug: Allein der Verdacht, dass Kommunalpolitiker mit ihrem Mandat mehr Geschäft als Politik machen, macht eine Untersuchung eigentlich unumgänglich. Die Antwort aus Arnsberg aber lässt mehr Fragen offen als sie beantwortet.
Die Bezirksregierung ist nämlich der Auffassung, dass der Kreis Unna die aufgeworfenen Fragen selbst prüfen muss, um dann die entsprechenden Schlussfolgerungen zu ziehen. Immerhin gibt sie mit rechtlichen Hintergründen eine Art Entscheidungshilfe, verweist unter anderem auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster. Dort werde ausführlich erläutert, welche Kriterien bei der Bestimmung der Arbeitszeit von Selbstständigen heranzuziehen sind, so eine Sprecherin der Bezirksregierung auf Nachfrage dieser Redaktion.
Verwaltungsgericht: Nacharbeit muss zumutbar sein
In dem Urteil wird Arbeitszeit als die Zeit definiert, während der der Mandatsträger unter normalen Umständen seiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen wäre – wenn er nicht sein Mandat ausgeübt hätte. Dabei seien „allein die individuellen Verhältnisse des Mandatsträgers ausschlaggebend“. Allerdings sind die Richter auch zu dem Schluss gekommen, dass eine Mandatsausübung während der Arbeitszeit nur erforderlich sei, „wenn die Arbeit nicht – etwa aufgrund flexibler Arbeitszeitregelungen – nachgeholt werden kann“. Wenn auch keine grenzenlose Verpflichtung zur Nacharbeit bestehe, so die Richter. „Die Nachholung der Arbeit muss dem Mandatsträger vielmehr zumutbar sein.“
Das Urteil hat freilich nur für einen Teilaspekt der Abrechnungsaffäre eine Relevanz: Nämlich für die Kernarbeitszeiten, die die Mandatsträger als Basis für die Abrechnung ihrer Verdienstausfälle bei der Kreisverwaltung angegeben haben. Die Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts Münster klingt nach einer Art Persilschein.
Fast 80 Stunden Kernarbeitszeit pro Woche
Politisch aber stellt sich nach wie vor die Frage, ob man ein Mandat überhaupt mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit ausfüllen kann, wenn man als Selbstständiger angibt, in der Tat selbst und ständig zu arbeiten. Schließlich hat es sogar den Versuch gegeben, eine Kernarbeitszeit von 24 Stunden an sieben Tagen die Woche durchzusetzen. „Das haben wir genauso abgelehnt wie andere Zeiten, die für uns nicht nachvollziehbar waren“, hatte Landrat Löhr dazu gesagt. Trotzdem gibt es üppige Stundenpläne: Viele selbstständige Mandatsträger reklamieren über 60 Arbeitsstunden pro Woche für sich, Spitzenreiter ist nach Recherchen dieser Redaktion mit fast 80 Stunden Kernarbeitszeit pro Woche Andreas Dahlke (GfL), der Geschäftsführer eines Gartencenters mit angeschlossenem Gartenlandschaftsbau ist.
In der Abrechnungsaffäre geht es um mehr als um Arbeitszeit – nämlich insbesondere um die Höhe der geltend gemachten Ansprüche in Relation zum tatsächlichen Einkommen. Darf ein selbstständiges Kreistagsmitglied als Berechnungsgröße heranziehen, was er tatsächlich hätte umsetzen können – oder müssen nicht doch die tatsächlichen Einkommensverhältnisse maßgeblich sein? Besonders deutlich war das an den Abrechnungen der beiden Co-Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Timon Lütschen und Marion Küpper, geworden.
Lütschen hat in der Zeit von November 2020 bis Oktober 2021 fast 15.000 Euro an Verdienstausfällen und damit deutlich mehr als jedes andere Kreistagsmitglied geltend gemacht, obwohl sein Unternehmen erst Ende Juli 2020 und somit kurz vor der Kommunalwahl am 13. September in das Handelsregister eingetragen worden ist.
Küpper hat mindestens bis kurz vor der Wahl Ergänzungsleistungen des Jobcenters bezogen: Reichte ihr Einkommen da also noch nicht aus, ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, reichte es nach der Wahl, um in Verbindung mit ihrem Kreistagsmandat Verdienstausfälle in nicht unerheblicher Höhe geltend zu machen. Küpper belegt mit über 7.700 Euro Rang drei im Ranking.
Abrechnungsaffäre: Bereicherungsverdacht steht im Raum
Es steht ein Bereicherungsverdacht im Raum. Die Frage ist, wie die Kreisverwaltung damit nun umgeht. Die Bezirksregierung Arnsberg hat dem Kreis Unna die Entscheidung nicht abgenommen. Jetzt ist der Landrat wieder am Zug.