Gefährliches Granulat? Kunstrasenplätze in der Kritik

Diskussion nach TV-Bericht

Die seit Jahren geführte Diskussion über potenziell krebserregendes Gummigranulat auf Kunstrasenplätzen geht nach einem TV-Bericht aus den Niederlanden in die nächste Runde. Im Nachbarland wurden deswegen Spiele abgesagt. Wie gefährlich ist das Granulat - und auf welchen Kunstrasenplätzen der Region liegt es? Ein Überblick.

NRW

, 13.10.2016, 11:52 Uhr / Lesedauer: 4 min
Die Diskussion über das Gummigranulat auf Kunstrasenplätzen ist erneut entfacht.

Die Diskussion über das Gummigranulat auf Kunstrasenplätzen ist erneut entfacht.

Immer mehr Fußballvereine in Deutschland setzen auf Kunstrasenplätze, die mit Gummigranulaten befüllt werden. Doch nicht alle können dem Boom nur Gutes abgewinnen. Die Frage, ob das Granulat krebserregend ist, beschäftigt schon seit Längerem nicht nur die Vereine: Auch Eltern, deren Kinder auf Kunstrasenplätzen trainieren, und Zuschauer machen sich Sorgen.

Das berichten die Niederländischen Medien:

Einem TV-Bericht zufolge, der am 5. Oktober auf dem Niederländischen Sender „VARA“ ausgestrahlt wurde, sind 90 Prozent der 3000 Kunstrasenplätze des Landes mit einer Gummigranulat-Verfüllung ausgestattet, die aus alten Autoreifen hergestellt wird, die Weichmacher-Öle enthalten. Diese Öle beinhalten sogenannte polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), von denen einige krebserregend sein sollen. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten, wie der menschliche Körper PAK aufnehmen kann: Auf der einen Seite können kleinste Teilchen eingeatmet werden, auf der anderen Seite könnten sie bei einer Wunde über die Haut aufgenommen werden.

Nach der erneuten Berichterstattung aus den Niederlanden wird auch in Deutschland wieder über Gummigranulat auf Kunstrasenplätzen diskutiert. Wie sieht die Lage in der Region aus? Besteht durch das Granulat auf Kunstrasenplätzen wirklich eine Gesundheitsgefahr? Wir haben nachgefragt und einen Überblick erstellt. 

So ist die Situation in Dortmund:

Nach Auskunft von Stadtsprecherin Anke Widow gibt es an die 50 Kunstrasenplätze im Stadtgebiet, weitere 10 bis 15 sollen noch gebaut werden. Auf den Plätzen liegen, so ist ihrer schriftlichen Mitteilung zu entnehmen, Neu-Gummi-Granulate, bestehend aus Ethylen-Propylen-Dien-Kautschuk (EPDM), aber auch aus dem umstrittenen Recycling-Granulat, Styrol-Butadien-Kautschuk (SBR). Dieser Stoff wird hergestellt aus alten Autoreifen und ist potenziell PAK-belastet.

Laut Stadtsprecher Maximilian Löchter wurden 26 der 50 Plätze von der Stadt gebaut. Diese seien nicht mit dem strittigen SBR-Granulat verfüllt worden. Zu den anderen Plätzen sagt er: „Beim Bau eines Kunstrasenspielfeldes durch Vereine wird diesen auferlegt, einen von der Stadt vorgegebenen Qualitätsstandard einzuhalten.“ Angaben, auf wie vielen Plätzen nun das recycelte Material liegt, liefern weder Widow noch Löchter. 

Wie die Stadt Dortmund am Freitag mitteilte, sollen die Kunstrasenplätze jetzt überprüft werden. "Um möglichen Sorgen der Dortmunder vorzubeugen, wird die Stadt von den Kunstrasenherstellern deren Analyseergebnisse einfordern und durch das Gesundheitsamt prüfen lassen. Das betrifft sowohl die Firmen der in Eigenregie erstellten Plätze, als auch jene, die im Auftrag der Vereine tätig waren", heißt es in einer Pressemitteilung. Die Prüfungsergebnisse werden anschließend veröffentlicht, so die Stadt.

So ist die Situation in Dorsten: 

„Es scheint, dass das in Dorsten verwendete Granulat nicht die gleichen gefahrvollen Eigenschaften aufweist wie das in den Niederlanden üblicherweise verwandte“, heißt es aus der Dorstener Pressestelle. Im Gegensatz zu Holland gäbe es in Deutschland sogenannte Umwelt- und Humanverträglichkeitsanforderungen.

Die auch in Dorsten ansässige und international renommierte Firma für Altreifenrecycling „Genan“ (Stammsitz in Dänemark), die das Granulat für die beiden Kunstrasenplätze beim SV Dorsten-Hardt und SV Lembeck geliefert habe, verwende ausschließlich zertifizierte Materialien.

Jens Christian Henneberg, Verkaufs- und Marketingdirektor von Genan, bestätigt: „Wir liegen 100-fach unter den erlaubten Maximalwerten.“ Anzeichen auf eventuelle Gesundheitsgefährdung seien weder bei den Lembecker noch den Hardter Fußballspielern aufgetreten. Trotz diverser Zertifikate hat die Stadt angekündigt, das Thema weiter zu verfolgen.

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So ist die Situation in Werne und Herbern:

Auch die Plätze des SV Herbern und des Werner SC sind mit Granulat bestreut, allerdings nur einer mit dem unter Krebsverdacht stehenden schwarzem. Das Granulat-Problem war dem SV Herbern bekannt, als der betreffende Platz, der erst im Juni eingeweiht wurde, erneuert wurde. Das Granulat liege auf diesem Platz deutlich tiefer als zuvor, es wurde außerdem weniger schwarzes Granulat verwendet, sagt Jürgen Steffen, Vorsitzender des SV Herbern.

"Bei uns war die Diskussion noch nie ein Thema", sagt Thomas Overmann, Vorsitzender des Werner SC. Denn auf dem städtischen Platz, der 2009 gebaut wurde, liegt EPDM-Granulat, "das wird auf Kreidebasis hergestellt“, sagt Norbert Hölscher vom Sportamt der Stadt Werne. Man habe damals bewusst das grüne und nicht das schwarze, potenziell gefährliche Granulat gewählt - auch wenn dieses etwas teurer ist als die Körner aus Altreifen.

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So ist die Situation in Castrop-Rauxel:

Laut Michael Werner ist Granulat aus Altreifen weder auf dem neuen Kunstrasenplatz in Merklinde, noch bei allen weiteren Kunstrasen-Renovierungen und -Neuverlegungen seit 2010 verwendet worden. Der EUV-Chef berichtete: „Wir hatten auch Angebote, bei denen mit Altreifen-Granulat gearbeitet worden wäre, haben uns aber dagegen entschieden.“

So ist die Situation im Raum Haltern:

In Hullern, Sythen und Flaesheim sind die Kunstrasenplätze mit Sand aufgefüllt. Beim ETuS Haltern und dem SV Bossendorf wurde nach Angaben von Ralf Lütkenhaus vom städtischen Baubetrieb ein Gummigranulat verfüllt, das gesundheitlich unbedenklich ist. Und auch beim TuS Haltern soll nach Angaben des Herstellers „Polytan“ beim Bau des Kunstrasenplatzes im Jahr 2009 ein unbedenkliches Material eingesetzt worden sein.

Der TuS Haltern ist jedenfalls froh, dass er für seine Sportanlage Entwarnung geben kann: „Es braucht sich niemand Sorgen zu machen. Auch Eltern können ihre Kinder bedenkenlos zum Training und zu den Spielen schicken“, so TuS-Pressesprecher Daniel Winkelkotte.

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Der Verband hat keinen Überblick

Bottrop, Düsseldorf, Essen, Mühlheim und Oberhausen erklärten Medien gegenüber, dass auf ihren Plätzen kein Granulat aus krebserregenden Altreifen verwendet wurde. Andere Kommunen konnten diese Frage Medienberichten zufolge kurzfristig nicht beantworten. Auch der Westdeutsche Fußballverband hat demnach keinen Überblick über die Situation.

Das Schweizer Bundesamt für Umwelt gibt Entwarnung

In einer Studie des Schweizer Bundesamts für Umwelt heißt es, „dass Kunstrasen mit Gummigranulat aus Altreifen kein spezielles Gesundheitsrisiko darstellen, das vom Feinstaub oder den PAK ausgehen würde.“ Der Grund: Die Menge der Stoffe, die ein Spieler während seiner Aktivität auf einem Kunstrasenplatz mit Gummigranulat aufnehmen würde, sei deutlich unter den Maximalwerten, die die WHO vorgibt. Dennoch, so das Bundesamt, könnten die Schadstoffe in die Umwelt gelangen, etwa wenn sie über Regenwasser oder durch Bewässerungsanlagen ausgewaschen würden.

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Jürgen Thier-Kundke vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) verweist unterdessen auf die EU-Verordnung REACH, die im Juni 2007 inkrafttrat. So werden in einem REACH-Dossier die toxikologischen Effekte wesentlich kritischer bewertet als in dem Papier des Schweizer Bundesamts für Gesundheit von 2006. „Aktuellere Werte liegen dem BfR jedoch nicht vor“, sagt Thier-Kundke.

Welches Risiko vom Gummigranulat aktuell für Sportler ausgeht, kann er nicht sagen. Auch im REACH-Dossier werden keine endgültigen Schlüsse darüber gezogen, wie gefährlich die krebserregenden Stoffe für Sportler sein können, die auf Kunstrasenplätzen mit Gummigranulat spielen.