
© Florian Kopshoff
2011 stürmten Fußballer den Europaplatz mit einer Montagsdemo
Sport-Geschichte
Die Montagsdemonstrationen, die 1989 als Friedliche Revolution in der DDR zum Fall der Mauer geführt hatten, haben sich 2011 Castrop-Rauxeler Fußballer zum Vorbild vorgenommen für ein Anliegen.
Kunstrasen, Naturrasen, Asche: Der Amateurkicker von heute ist viele Bodenbeläge gewohnt. Die Fußballer des SV Yeni Genclik trainierten im Jahr 2011 auf Stein. Vor dem Rathaus der Stadt Castrop-Rauxel. Aus Protest.
Es ging um den Mangel an Trainingszeiten, der die Mitglieder und Freunde des im Jahr 2015 aufgelösten Vereins dazu veranlasste, auf die Barrikaden zu gehen. Zuerst habe die Stadt dem Club vorgeworfen, zu wenig für die Jugend zu tun. Als dann Jugendteams vorhanden waren, konnten diese nicht einmal trainieren.
Yeni-Kicker trainierten in kommerziellen Hallen
So erklärte damals Turhan Ersin vom SV Yeni den Ärger. Wohl wahr: Den Nachwuchsteams (A- und B-Junioren) standen wochentags keine Trainingszeiten zur Verfügung. Einzigen sportlichen Unterschlupf boten kommerzielle Soccer-Hallen.
Auf den Plakaten, die die rund 150 anwesenden Unterstützer des Klubs mitgebracht haben, stehen die Slogans: „Integration geht durch Sport“, „Mehr Trainingszeiten, mehr Mannschaften, mehr Jugendliche von der Straße“ und viele mehr.
Die Hauptforderung des SV Yeni stand nirgendwo. Zur Ickerner Uferstraße wollte der Klub. Dorthin, wo seine Spieler zum größten Teil herkommen. Dorthin, wo der Club schon einmal war. Der SV Yeni wollte weg vom Merklinder Fuchsweg, wo dem gesamten Verein pro Woche gerade einmal drei Übungsstunden zur Verfügung stehen.

Trainierten 2011 demonstrativ auf dem Europaplatz warm: die Nachwuchskicker des SV Yeni Genclik. © Florian Kopshoff
Nach einer kurzen, demonstrativen Trainingseinheit vor dem Rathaus riefen die Spieler und Sympathisanten des Clubs Fangesänge in die Kamera eines türkischen Fernsehteams. Yeni wollte mit aller Macht Aufmerksamkeit erregen. „Wenn es sein muss, kommen wir jetzt jede Woche“, sagte Ersin. Wenngleich er meinte: Es muss kurzfristig etwas passieren.
Am Demo-Tag blieb der SV Yeni Genclik ungehört. Zumindest für den Moment. Städtische Bedienstete wurden auf dem Rathausvorplatz nicht gesichtet. Ersin meinte: „Sie haben ja auch Logenplätze.“
Die Vereinsvertreter hatten sich vier Monate zuvor an den damaligen Bürgermeister Johannes Beisenherz (SPD) gewandt. „Er hat uns versprochen, alle Hebel in Bewegung zu setzen“, berichtete Ersin. Danach habe der Verein nur eine Bestätigung von Wilfried Heyden, dem einstigen städtischen Bereichsleiter Sport und Bäder, bekommen, dass er sich der Sache angenommen habe.

Liefen sich 2011 für ihr demonstratives Training auf dem Europaplatz warm: die Nachwuchskicker des SV Yeni Genclik. © Florian Kopshoff
Die neu gegründeten B-Junioren-Mannschaft, damals Spitzenreiter der Kreisliga A, hatte bis zu diesem Zeitpunkt beim VfR Rauxel auf dem Rasenplatz an der Vördestraße Unterschlupf gefunden, stand aber in den Wintermonaten dann ohne Trainingsmöglichkeit da. Das Sportamt habe keine Alternativen an geboten, berichtete Ersin: „Ein Unding.“
Er würde den Yeni-Nachwuchs am liebsten in Ickern, wo die meisten seiner Spieler wohnen, üben lassen. Am liebsten an der Uferstraße. Eintracht Ickern hatte zwar zehn Mannschaften gemeldet, sagt er, aber nur sieben würden dort tatsächlich trainieren. Ersin: „Eine Juniorenmannschaft erfüllt eine soziale Funktion und holt die Jungen von der Straße.“
Im Jahr 2011 war Cemal Cicibas als Trainer und Jugendleiter des SV Yeni aktiv. Rückblickend sagte er ein Jahrzehnt danach: „Leider hat sich für uns nichts verändert. Wir haben keine Trainingszeiten bekommen.“ Aus diesem Grund gründete Cicibas ein Jahr später eine Jugendspielgemeinschaft (JSG) mit TSK Herne - und fuhr die Spieler mit einem eigens gekauften Bulli über die Stadtgrenze nach Herne-Holthausen.
Die JSG hielt allerdings nur ein Jahr. Cemal Cicibas: „Auf Pendeln hatte am Ende auch keiner Lust.“ Am Ende bestand die Yeni-Jugendabteilung nur drei Jahre. Cicibas ist sich sicher: „Dabei hätte das Projekt wirklich etwas Großes und Gutes werden können.“

Feierten 2011 ihren Sieg im Kreisliga-Spitzenspiel gegen die SG Castrop beinahe wie einen Aufstieg: Die A-Junioren des SV Yeni Genclik. Mittendrin: Marlon Klawitter, der heutige Kapitän von Eintracht Ickern. © Jens Lukas
Fruchtbar war die Arbeit wirklich. Denn 70 Prozent der damaligen Nachwuchsspieler ging später mit zur SG Eintracht/Yeni, die 2017 komplett im Verein Eintracht Ickern aufgegangen ist. Bestes Beispiel: Der damaligen A-Junioren-Spielführer Marlon Klawitter ist jetzt Eintracht-Kapitän.
Ein Journalist macht sich aus Prinzip keine Sache zu eigen, nicht einmal eine gute (dieses Prinzip ist auch das Motto des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises).
