„Es wird ein mühseliger Weg“ Wie die Crack-Krise 2023 in Dortmund die Debatte um die Innenstadt prägte

Ringen nach dem richtigen Weg: Rückblick auf die Crack-Debatte in Dortmund
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Die Mitarbeitenden der Drogenhilfe haben die Welle schon länger heranrollen sehen. Bereits im Jahresbericht der Drogenkonsumräume in NRW für das Jahr 2021 schrieb Jan Sosna, Leiter des Café Kick, von einem Crack-Tsunami, der in Dortmund angekommen sei. Die Drogenproblematik ist seitdem immer sichtbarer in der City geworden. Sie ist regelmäßig thematisiert worden. Aber noch nie so intensiv wie im Jahr 2023.

Im August ließ Thier-Galerie-Chef Torben Seifert Absperrungen in den Nischen des Einkaufszentrums an der Martinsstraße aufstellen. Dort habe man immer wieder Spritzen, Blut und Urin gefunden, sagte er damals. Andere Cityhändler beschweren sich ebenfalls öffentlich. Eine Debatte wird losgetreten.

In die zieht ein neues Schlagwort ein: Crack. Das ist mit Backpulver aufgekochtes Kokain, das in Pfeifen geraucht wird. Es macht Menschen besonders schnell abhängig, kann sie aggressiv machen und lässt sie verwahrlosen.

Schnell dreht sich die Diskussion auch um den Standort des Drogenkonsumraums, der seit Januar 2020 am neuen Gesundheitsamt und damit in unmittelbarer Nachbarschaft der Thier-Galerie angesiedelt ist. Auch Oberbürgermeister Thomas Westphal stellt infrage, ob es der richtige Ort für das Café Kick ist und formuliert im August einen Satz, den er in den darauffolgenden Monaten häufiger wiederholen wird: „Crack ändert alles.“

Absperrgitter wurden im August an der Thier-Galerie gegen Drogenkonsumierende aufgestellt.
Absperrgitter wurden im August an der Thier-Galerie gegen Drogenkonsumierende aufgestellt. © Anne Schiebener

17.707 Kokain-Konsumvorgänge

Willehad Rensmann, Geschäftsführer der Aidshilfe, die Trägerin des Drogenkonsumraums ist, hat den OB für die Standortfrage kritisiert und stimmt ihm auch bei diesem Satz nur teilweise zu: „Crack ändert so einiges, auch massiv die Szenestruktur, aber Crack ändert nicht alles. Wir sollten nicht den Fehler machen, die fachliche Debatte nur darauf zu fokussieren.“

Man dürfe auch die Heroin-Abhängigen nicht aus dem Blick verlieren. Denn Crack-Konsumierende würden extrem viel Raum und Zeit der Mitarbeitenden im Café Kick einnehmen, sagt Rensmann.

Willehad Rensmann ist Geschäftsführer der Aidshilfe, die Trägerin des Drogenkonsumraums ist.
Willehad Rensmann ist Geschäftsführer der Aidshilfe, die Trägerin des Drogenkonsumraums ist. © Monika Wendt

Wie die Aidshilfe mitteilt, habe man im Café Kick in den ersten drei Quartalen des Jahres insgesamt 17.707 Kokain-Konsumvorgänge registriert. Dabei sei das Kokain fast ausschließlich inhalativ als Crack konsumiert worden. Im Jahr 2015 war in der Einrichtung noch 61 Mal Crack inhaliert worden, 2021 waren es schon 7.316 Konsumvorgänge.

Die Droge, die in diesem Jahr mit Abstand am häufigsten im Drogenkonsumraum konsumiert wurde, ist nach wie vor Heroin. 41.580 Heroin-Konsumvorgänge sind im Café Kick in den ersten drei Quartalen gezählt worden. Im Verhältnis zu Crack nahm der Konsum von Heroin im Laufe des Jahres sogar leicht zu.

Im ersten Quartal hatte Heroin einen Anteil von 67,5 Prozent an den Konsumvorgängen, der von Kokain lag bei 32,5 Prozent. Im dritten Quartal entfielen 70,1 Prozent auf Heroin und 29,5 Prozent auf Crack.

„Ein wachsendes Problem“

Crack werde undifferenziert für verschiedene Probleme in der City verantwortlich gemacht, sagt Rensmann. Er sagt gleichzeitig auch: „Ich will das nicht kleinreden, auch die Bedürfnisse der Händler nicht. Es ist ein großes und wachsendes Problem.“

Als eine prominente Stimme aus der Händlerschaft am oberen Westenhellweg trat etwa im September der Weinhändler Matthias Hilgering in Erscheinung. Die Dramatik schilderte er öffentlich in einer Brandmail unter anderem an Oberbürgermeister Thomas Westphal, an den Ordnungsdezernenten Norbert Dahmen, die Polizei und an die Fraktionsspitzen des Rates. So habe sich erneut ein Suchtkranker am Eingang des Gebäudes niedergelassen, um sein Crack für den Konsum aufzukochen. „Meine Frau bat ihn tatsächlich sehr höflich mit den Worten, ‚gehen Sie bitte woanders hin‘, unsere Passage mit seinen Drogen zu verlassen. Daraufhin schrie er sie an und bedrohte sie ‚halt deine Fresse, sonst steche ich dich ab wie ein Schwein‘.“ Auch die Sorge um seine Angestellten und seine Kinder treibe ihn um, schilderte er damals.

Rensmann betont, Crack sei ein Teil des Gesamtproblems, das aus verschiedenen Aspekten wie Obdachlosigkeit, psychischen Erkrankungen und Drogenkonsum bestehe. Eine Szeneevaluation soll nun zeigen, womit man es genau zu tun hat.

Ein „mühseliger Weg“

Klar ist: Das Problem ist keins, das so einfach zu lösen sein wird. Es werde ein „mühseliger Weg“, dämpfte Sozialdezernentin Birgit Zoerner Ende Oktober zu große Hoffnungen: „Patenrezepte sehe ich nicht“, sagte sie bei einer Mammut-Sitzung von Bürgerdienste- und Sozialausschuss Ende Oktober.

Sozialdezernentin Birgit Zoerner sieht die Stadt Dortmund auf einem "mühseligen Weg".
Sozialdezernentin Birgit Zoerner war Leiterin des Corona-Krisenstabs der Stadt Dortmund. Jetzt hat er sich offiziell aufgelöst. © Stephan Schuetze

Bei diesem hatten sich die Dortmunder Parteien nach vertagten Beschlüssen auf gemeinsame Maßnahmen geeinigt. Unter anderem will man sich mit anderen Städten vernetzen. Der Name einer Stadt, der in der Diskussion immer wieder fällt, ist Zürich. Sie gilt vielen als Vorbild im Kampf gegen grassierenden Drogenkonsum.

Viele Vorschläge des Maßnahmen-Pakets, die im November im Rat beschlossen wurden (null Toleranz gegen öffentlichen Drogenkonsum, Ausbau der aufsuchenden Sozialarbeit, weitere Vernetzung sozialer, medizinischer und ordnender Maßnahmen), atmen den Geist des Züricher Modells.

Sonderstab wurde eingerichtet

Um die Vernetzung zwischen den unterschiedlichen Hebeln zu gewährleisten, ist bereits Anfang September der wöchentlich tagende Sonderstab „Ordnung und Stadtleben“ eingerichtet worden. Er wird von OB Westphal und Polizeipräsident Gregor Lange geleitet und hat sich fünf Punkte zur Aufgabe gemacht:

  • Stadtraum verschönern
  • Campieren reduzieren
  • Belästigung bekämpfen
  • Sucht vermeiden und
  • Suchthilfe weiterentwickeln

Auch der Polizeipräsident hat Crack kürzlich noch als „Gamechanger“ bezeichnet, er sieht also einen Paradigmenwechsel, den die Droge eingeleitet hat. Seit Mitte des Jahres sind mehr Polizeibeamte im Zuge des Präsenzkonzeptes „Fokus“ in der Innen- und Nordstadt unterwegs.

Polizeipräsident Gregor Lange sagt, man bekomme viele positive Rückmeldungen von Bürgerinnen und Bürgern wegen der erhöhten Polizeipräsenz in der Innenstadt.
Polizeipräsident Gregor Lange sagt, man bekomme viele positive Rückmeldungen von Bürgerinnen und Bürgern wegen der erhöhten Polizeipräsenz in der Innenstadt. © Kevin Kindel (Archiv)

„Grund dafür waren nicht nur eigene Feststellungen über die Situation an bestimmten Örtlichkeiten in der Innenstadt und der Nordstadt, sondern auch eine zunehmende Beschwerdelage seitens Besucherinnen und Besuchern der Innenstadt, aber auch seitens des hier ansässigen Einzelhandels“, sagt der Polizeipräsident. Und zieht am Ende des Jahres noch einmal Bilanz: Von Anfang Juli bis Anfang Dezember habe es mehr als 130 Schwerpunkteinsätze, auch in Zusammenarbeit mit der Stadt Dortmund, gegeben.

Fast 2.500 Platzverweise

Dabei seien knapp 2.500 Platzverweise erteilt und mehr als 1.000 Straf- und Ordnungswidrigkeitenanzeigen gefertigt worden. Insgesamt gab es dabei 43 Ingewahrsamnahmen, 120 vorläufige Festnahmen und 84 vollstreckte Haftbefehle. Mehr als 50 Mal stellten die Beamten Messer, Schusswaffen oder waffenähnliche Gegenstände sicher. Lange kündigte an, dass man die Situation weiter beobachten und auch Verdrängungseffekte im Blick behalten werde, die durch den Kontrolldruck entstünden.

Crack stellt das Drogenhilfesystem vor neue Herausforderungen. Für die Mitarbeitenden sei es ein hartes Jahr gewesen, sagt Rensmann. Die ganze Debatte habe es nicht erleichtert, neue Mitarbeitende zu finden. „Am Anfang drehte sie sich nur um den Standort unserer Einrichtung und repressive Maßnahmen. Unsere Einrichtung war in der Debatte die Mutter aller Probleme. Wir sind fast schon als Sündenbock hingestellt worden“, sagt Rensmann.

Hinzu kommt die Arbeitsbelastung: „Es gibt eine extreme Hektik in der Einrichtung. Der Zugang zu den Menschen wird immer schwieriger. Der Umgang mit einer immer schwierigeren Klientel, die uns die Bude einrennt, sorgt auch für Frust bei den Mitarbeitenden.“

Ausgeweitete Öffnungszeiten

Zeitgleich habe man die Öffnungszeiten ausgebaut. Die Einrichtung hat seit dem 1. November 71 Stunden in der Woche geöffnet. „Damit haben wir auch dafür gesorgt, dass zumindest ein Teil des Drucks aus der Öffentlichkeit genommen wird“, sagt Rensmann.

Die Öffnungszeiten des Drogenkonsumraums waren bereits am 1. August von 38 auf 51 Stunden verlängert worden. Am 1. November gab es eine weitere Ausweitung der Öffnungszeiten. In der ersten ganzen Woche nach der Ausweitung der Öffnungszeiten vom 6. bis 12. November sind insgesamt rund 333 Konsumvorgänge am Tag registriert worden. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr hatte es durchschnittlich etwa 197 Konsumvorgänge am Tag gegeben.

Die Erweiterung um 20 Stunden sei zügig und sehr gut angenommen worden, sagt der aktuelle Einrichtungsleiter Olaf Schmitz. So habe die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer über den Tag im Mittel um 19,5 Prozent zugenommen. Die Zahl der Konsumvorgänge habe sich um 47,3 Prozent gesteigert. Die Nachfrage in Dortmund ist also groß.

Was bleibt aber nach der Debatte über Crack in diesem Jahr? Eine schnelle Lösung für die Drogenproblematik wird es nicht geben. Das ist die ernüchternde Antwort. Aber die Stadt hat sich auf den Weg gemacht, das Problem anzugehen. Die richtige Balance aus Repression, Hilfe, Prävention und Akzeptanz muss sie dabei noch auspendeln.

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