Mammut-Sitzung zur Dortmunder Crack-Krise Politik beschließt mobile Wachen und Null-Toleranz-Strategie

Politik trifft Entscheidungen zu Crack-Problem in der City
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Das ganz große Besteck hatte die Dortmunder Politik am Dienstag (31.10.) ausgepackt. Es ging um die Drogenszene in der Innenstadt und ihre Begleiterscheinungen wie aggressives Betteln, illegaler Drogenkonsum im öffentlichen Raum und wildes Campieren – Anlass für eine gemeinsame, fast vierstündige Sitzung von Bürgerdienste- und Sozialausschuss. Alle Seiten kamen zu Wort: City-Händler, die Drogenhilfe und ein Experte.

Das Hauptproblem heißt Crack. Eine harte Droge auf Kokainbasis. Schätzungsweise 300 bis 500 Suchtkranke zählt die offene Drogenszene in Dortmund. Die Hälfte davon konsumiere Crack, meist als Mischkonsum mit anderen Drogen, berichtete Willehad Rensmann, Geschäftsführer der Aidshilfe Dortmund, die den Drogenkonsumraum betreibt.

Dortmund verfügt über ein sehr differenziertes und gut ausgebautes Drogenhilfesystem, in dem der Drogenkonsumraum eine wichtige Rolle spielt. Das Umfeldmanagement war bereits im Aufbau mit längeren Öffnungszeiten des Konsumraums und Zugangsberechtigung auch für Auswärtige – und dann kam Crack. Die Droge stellt alle vor neue Herausforderungen.

Nicht alle nutzen Konsumraum

Das bisherige Drogenhilfesystem in Dortmund hat vor allem Heroinabhängige im Blick. Doch sie konsumieren anders, sind weniger aggressiv, ihre Therapie geht andere Wege, weil Heroin etwa durch Methadon substituiert werden kann. Das ist keine Lösung für das Crack-Problem und die Verbesserung der aktuellen Zustände.

Der Drogenkonsumraum werde zu 70 Prozent von Heroin- und zu 30 Prozent von Crack-Abhängigen aufgesucht, so Rensmann. Die überwiegende Mehrheit der Crack-Abhängigen nutze den Drogenkonsumraum. Aber eben nicht alle.

Eine Cracksüchtige zündet sich mit Hilfe eines Gasbrenners einen "Crackstein" auf ihrer Crackpfeife an. (Symbolbild)
Eine Cracksüchtige zündet sich mit Hilfe eines Gasbrenners einen "Crackstein" auf ihrer Crackpfeife an. (Symbolbild) © dpa

Crack-Süchtige rauchen die kleinen hellen Steine in kurzen Pfeifen. Dafür brauchen sie nur wenige Sekunden. Sie rauchen in Hauseingängen oder im öffentlichen Raum. Doch der Rausch hält nur kurz an. Crack macht die Süchtigen schnell nervös und aggressiv. Dauernd müssen sie sich um Nachschub kümmern.

Fertige Pfeifen von Dealern

„Die Dealer kommen mit fertigen Pfeifen. Es geht um die Ecke, während es im Drogenkonsumraum Warte- und Öffnungszeiten gibt“, so Rensmann. Zudem hätten 20 bis 30 Abhängige Hausverbot und hielten sich im Umfeld des Drogenkonsumraums auf.

Eindrucksvoll schilderten Lena Dümer für die Händlervertretungen „Cityring“ und „Qualitätsroute Dortmund“ sowie Torben Seifert für die Thier-Galerie die Auswirkungen des Crack-Konsums für Händler und Anwohner. „In unseren Hauseingängen, Geschäften, Umkleidekabinen wird konsumiert und die Notdurft verrichtet“, so Dümer.

„Da verdienen nur Dealer“

Torben Seifert, Center-Manager der Thier-Galerie, formulierte es noch drastischer: „Es geht um Spritzen, Blut, Urin und alles, was es an Körperflüssigkeiten gibt, was wir saubermachen.“ Händler gäben viel Geld für Sicherheit und Reinigung aus. Die verstärkten Kontrollen von Ordnungsamt und Polizei hätten die Situation zwar punktuell deutlich verbessert, „aber die Situation ist weiter schwierig“.

Das gelte angesichts der Schlagzeilen auch für Verhandlungsgespräche mit potenziellen Mietern, so Seifert, der schon vor einem Jahr seinen Sicherheitsdienst verstärkt hat. Der Einzelhandel googele Dortmund. „Händler in der Thier-Galerie wollen ein monatliches Update haben, was in der Innenstadt passiert.“

„Man möchte ja gern helfen, aber uns laufen die Kunden und die Gäste weg. Die eigenen Existenzen sind gefährdet und auch die Existenzen unserer Mitarbeiter“, sagte Lena Dümer. Sie rechnete die Kosten für die Konsumvorgänge hoch. Bei nur 100 Crack-Abhängigen kam sie auf 10 Millionen Euro jährlich, die in der Stadt durch Beschaffungskriminalität generiert werden müssten. „Da verdienen nur Dealer.“

Pragmatische Drogenpolitik

Seifert forderte eine Null-Toleranz-Strategie und mehr Fokussierung auf das Züricher Modell. Das beinhaltet mehr Prävention und Therapie, aber auch mehr Repression. Suchtforscher Prof. Dr. Heino Stöver von der staatlichen Fachhochschule Frankfurt UAS stellte es per – akustisch schlecht verständlicher – Video-Übertragung vor.

Ein Ordnungsamtsmitarbeiter und ein Polizist beobachten das Umfeld des Drogenkonsumraums am Grafenhof.
Polizei und Ordnungsamt zeigen unter anderem rund um den Drogenkonsumraum am Grafenhof verstärkte Präsenz. © Felix Guth (Archivbild)

Die pragmatische Drogenpolitik des Züricher Modells orientiert sich sowohl an den Bedürfnissen der Allgemeinheit als auch an den Menschen, die Suchtmittel konsumieren. Letztere erhalten verschiedene Versuchsangebote, wie beispielsweise mehrere Kontakt- und Anlaufstellen, eine Notschlafstelle und eine Arbeitsintegration für Suchtkranke.

Erweiterte Öffnungszeiten

Viele der Maßnahmen in Zürich fanden sich auch in den Anträgen der politischen Fraktionen wieder oder sind in Dortmund bereits umgesetzt wie die Notschlafstelle und die erweiterten Öffnungszeiten des Drogenkonsumraums, die ab Donnerstag (2.11.) auf 72 Stunden pro Woche ausgedehnt werden.

Aidshilfe-Geschäftsführer Willehad Rensmann warb bei den Ausschüssen eindringlich „für eine gute Balance zwischen Repression und Hilfe“ mit aufsuchender Sozialarbeit, erweiterten Konsumkapazitäten wie Expressplätzen, mobilen Angeboten und Containerlösungen sowie ausgewiesenen Aufenthaltsmöglichkeiten.

Auch Rechtsdezernent Norbert Dahmen, der mit repressivem Blickwinkel und Zahlen erste Erfolge des erhöhten Kontrolldrucks untermauerte, erklärte: „Wir hoffen, dass durch erweiterte Öffnungszeiten des Drogenkonsumraums der Konsum im öffentlichen Raum zurückgeht.“

Szeneerhebung im November

„Wir brauchen mehr Information, um passgenaue Angebote zu entwickeln. Wir stochern als Hilfesystem im Nebel“, betonte Rensmann. Das soll sich ändern, wenn die Verwaltung vom 6. bis 19. November eine sogenannte Szeneerhebung machen lässt. Ziel ist unter anderem, herauszufinden, in welchen Wohn- und Lebensverhältnissen sich die Drogenkranken befinden, was sie konsumieren, welche Staatsangehörigkeit und welchen Krankenversicherungsstatus sie haben.

Suchtkranke Menschen vor dem Drogenkonsumraum in der Dortmunder City
Suchtkranke Menschen vor dem Drogenkonsumraum in der Dortmunder City © privat

Außerdem werde sich die Verwaltung mit Frankfurt, Hannover und Düsseldorf austauschen, Städten, in denen das Crack-Problem schon länger grassiert, kündigte Sozialdezernentin Birgit Zoerner an und dämpfte gleich allzu große Hoffnungen: „Patentrezepte sehe ich nicht. Das wird ein mühseliger Weg, auf den man sich begeben muss.“

Die Maßnahmen im Überblick

Darüber waren sich alle Ausschussmitglieder einig und verabschiedeten nach sachlicher Diskussion genau die Maßnahmen, die die Experten vorgeschlagen und die die Fraktionen bereits teilweise in ihren Anträgen gefordert hatten. Dazu zählen unter anderem:

  • die Weiterentwicklung des Drogenhilfesystems
  • die Prüfung weiterer dezentraler Drogenkonsumräume
  • der Ausbau der Straßensozialarbeit
  • eine konsequent durchzusetzende Null-Toleranz-Strategie gegen Drogenhandel und illegalen Drogenkonsum im öffentlichen Raum mit hohem Kontrolldruck und noch mehr Streifen von Polizei und Kommunalem Ordnungsdienst, insbesondere im Bereich des Stadtgartens, im Umfeld des Drogenkonsumraums, in der Fußgängerzone, der Katharinenstraße und am Hauptbahnhof
  • die räumliche Ausweitung und Stärkung des Umfeldmanagements
  • die Vernetzung sozialer, medizinischer und ordnender Maßnahmen
  • die Einbeziehung, Information und Sensibilisierung der Öffentlichkeit und des Handels
  • mobile Wachen von Polizei und Ordnungsamt während der Weihnachtszeit an den bekannten Brennpunkten.

Kein Persilschein

Nicht ganz einig waren sich die Fraktionen über die Zukunft des derzeitigen Standortes des Drogenkonsumraums am Grafenhof. Die Grünen fanden keine Mehrheit für ihre Sichtweise, dass der aktuelle Standort alternativlos ist. Die Ausschüsse forderten von der Verwaltung „eine ergebnisoffene Prüfung“.

Dirk Goosmann (SPD) ermunterte dazu, „kreative Lösungen“ im Kampf gegen Crack auszuprobieren nach dem Motto „Trial and error“ (Versuch und Irrtum“).

Dem wollte Thomas Bahr (CDU) nicht uneingeschränkt zustimmen: „Drogenhilfemaßnahmen müssen konkret und wirksam sein. Experimenten möchten wir keinen Persilschein ausstellen. Wir haben nur sehr begrenzte Mittel in der Sozialpolitik.“

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