Die Polizei Dortmund spricht von einer Zerschlagung der rechten Szene in Dortmund in ihrer organisierten Form und führt das auch auf den erheblichen Druck zurück, den die Behörde auf die Szene ausübt. Über den aktuellen Zustand der rechtsextremen Szene haben wir mit Dierk Borstel gesprochen.
Er ist Professor für Politikwissenschaften an der FH Dortmund und beschäftigt sich seit Jahren mit Rechtsextremismus in der Stadt. Er sieht deutliche Probleme in der Szene, die auch auf die AfD zurückzuführen seien.
Die organisierte rechte Szene in Dortmund ist zerschlagen, schreibt die Dortmunder Polizei in einer Pressemitteilung zum NRW-Verfassungsschutzbericht. Es handle sich nur noch „um einzelne, nicht organisierte Rechtsextremisten“. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ich finde, das ist eine sehr mutige Einschätzung, an der einiges dran ist, die mir aber ein Stück weit zu optimistisch ist. Richtig ist, die Gruppenstruktur, wie wir sie viele Jahre lang in Dortmund hatten, ist nicht mehr funktionstüchtig. Führende Mitglieder sind weggezogen, haben juristische Probleme oder haben sich zurückgezogen. Die Kerngruppe, die uns viele Probleme bereitet hatte, ist in der Form tatsächlich nicht mehr existent.
Aber wir haben in Dortmund immer noch führende Rechtsextremisten mit nationalen und internationalen Kontakten, die auch als Dortmunder Gruppe auftreten und agieren. Es ist richtig, dass die frühere Gruppe so nicht mehr existiert und Rechtsextremismus heute viel auf lose Netzwerke zurückgreift. Trotzdem reden wir weiter über organisiertes Handeln. Das Problem ist in Dortmund nicht gelöst.
Die Dortmunder Polizei hat eine Sonderkommission Rechts eingerichtet. Es gab und gibt harte Auflagen bei Demonstrationen und einige Festnahmen. Welchen Einfluss hat die Arbeit der Polizei auf die Veränderung der Szene?
Aus meiner Sicht hat die Arbeit der Polizei wesentlich dazu beigetragen. Der starke Druck hat die rechtsextreme Szene genervt und sie gehindert, sich zu entfalten. Er ist entscheidend dafür, dass diese Gruppe heute nicht mehr so existiert, wie sie jahrelang existiert hat.

Ein führender Kopf, der weggezogen ist, ist Michael Brück. Warum ging er?
Mit seinem Wegzug nach Chemnitz wollte er sicherlich auch dem polizeilichen Druck aus dem Weg gehen. Aber ein weiterer Faktor ist, dass es der Dorstfelder Kerngruppe nicht gelungen ist, Anbindung an die Zivilgesellschaft im Stadtteil zu finden. Das ist dank der Bürgerinnen und Bürger vor Ort gescheitert.
Es hängt aber auch mit der Bevölkerungsstruktur Dortmunds zusammen, die stark von Einwanderung geprägt ist. Diese Zusammensetzung ist für überzeugte Rassisten, die von weißer Dominanz und der Herrschaft „biologischer Deutscher“ träumen, ein Albtraum.
In den vergangenen Jahren ist die Zahl der rechtsextremen Demonstrationen in Dortmund, die teils viele Teilnehmer hatten, deutlich zurückgegangen. Ist das eine Folge der Strukturveränderung?
Die rechtsextreme Szene hatte vor vielen Jahren die innovative Idee der sogenannten autonomen Nationalisten mit mehr jugendkulturellen Aktionsformen. Teil davon waren die großen Demonstrationen. Die Dortmunder Szene hatte national und international den Ruf, etwas Neues und etwas Besonderes zu sein. Diesen Ruf hat die Szene schon vor Jahren verloren.
Es ist heute eine Szene von vielen und keine, die in den letzten Jahren irgendeine besondere innovative Idee hervorgebracht hätte. Die regionale Szene hat keine Strategie und auch keine politische Vision, wie sie es schaffen soll, über ihre kleine Kernklientel hinaus neben der AfD zu bestehen.
Polizeipräsident Gregor Lange warnt in einer Mitteilung zum Verfassungsschutzbericht vor „einer rechtspopulistischen, beziehungsweise rechtsextremistischen Partei“, die versuche, Hass zu schüren und den Staat und seine Einrichtungen zu delegitimieren. In ihr sehe er derzeit die größte Gefahr.
Dass er die AfD meint, ist eindeutig. Sie ist eine Partei am rechten Rand. Führende Köpfe wie der Dortmunder Matthias Helferich beziehen sich vor allem auf Vordenker der neuen Rechten. Sie hat Helferich auch immer wieder als Gäste eingeladen. Der neuen Rechte wird in der Wissenschaft eine Scharnierfunktion zugemessen. Das heißt, sie versucht Brücken zu schlagen zwischen einem legitimen rechten Rand der Demokratie auf der einen und rechtsradikalen und rechtsextremen Strömungen auf der anderen Seite.
Wenn Sie sich ein Scharnier an einer Tür vorstellen, stellt sich die Frage: Gehört das Scharnier zum Rahmen oder gehört es zur Tür? Deswegen wird die genaue Einstufung der AfD als rechtsextrem oder nicht rechtsextrem zumindest in den Kategorien des Verfassungsschutzes schwierig.
Welche Bedeutung hat das Erstarken der AfD insgesamt für die Akteure und Parteien des klassischen Neonazismus?
Der klassische Neonazismus hat daneben keine Luft. Die AfD lässt rechts von sich sehr wenig Platz zur Entfaltung.
Gibt es in Dortmund Kontakt und Austausch zwischen der AfD und der neonazistischen Szene?
Ich kann keine persönlichen Kontakte nachweisen. Ich denke auch, dass sich die AfD diesbezüglich sehr zurückhalten würde, da sie weiß, dass sie mit dieser Truppe nichts gewinnen wird und es ihren Erfolg gefährdet.
Der AfD ist es gelungen, eine Organisation zu schaffen, in der man fast dasselbe sagen kann wie früher in der NPD oder in der Partei „Die Rechte“, ohne gesellschaftlich komplett außen vor zu sein. Man kann in der AfD rassistische, sexistische und völkische Positionen äußern und trotzdem Karriere machen. Das hat der alte Rechtsextremismus nicht geboten.
Wenn man davon ausgeht, dass die Szene weniger organisiert ist, kann das auch ihre Kontrolle erschweren. Muss man sich auf mehr Einzelaktionen und Gewalt einstellen?
Das ist möglich. Feste Strukturen führen eher zu gezielter Gewalt. Manchmal sogar zu einem Rückgang von Gewalt, wenn sie für den Moment als strategisch unpassend eingeschätzt wird. Wenn eine Struktur ausfranst, ist es möglich, dass diese Steuerung von Gewalt entfällt und Täter eigenmächtig handeln.
Mit Steven F. wird ein Dortmunder Rechtsextremist und Gewalttäter mit Haftbefehl gesucht, der in sozialen Netzwerken durchaus Reichweite erzielt. Er wird als Posterboy der Szene inszeniert. Ist das eine gezielte Strategie, um Nachwuchs anzuwerben?
Das sind Versuche, neue Wege zu gehen. Aber der ganz große Durchbruch scheint mir da bisher nicht gelungen zu sein. Reichweite ist das eine, Menschen für die Ideologie zu erreichen, aber noch etwas anderes. Es heißt längst nicht, dass Jugendliche dadurch zu Rechtsextremen werden. Aber das Netz spielt in der Strategie eine viel größere Rolle. Dort hat man sich professionalisiert. Informationsmöglichkeiten über Telegram und ähnliche Kanäle haben sich enorm weiterentwickelt.
Zuletzt hat man in der Szene neue und jüngere Gesichter gesehen. Es scheint so, als würde es bei manchen verfangen.
Um sagen zu können, was dort verfängt, müsste man sich diese jungen Leute etwas genauer anschauen. Für eine Zuwendung zur rechtsextremen Szene können verschiedene Facetten eine Rolle spielen, wie etwa Familienverhältnisse oder Bekanntschaften. Wir haben in verschiedenen jugendkulturellen Szenen rechtsextreme Erscheinungen. Da wächst immer wieder etwas Neues nach. Die Frage ist aber, ob das ein konstanter Trend ist und sich daraus neue Organisationsformen entwickeln. In Dortmund sieht es danach derzeit nicht aus.
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