Gabriel Feltz erklärt seine Partitur der „Toteninsel“

Rachmaninow-Konzert der Philharmoniker

Vor dem Rachmaninow-Konzert der Philharmoniker am Dienstag und Mittwoch erläutert Generalmusikdirektor Gabriel Feltz seine Partitur und seine Gedanken zu Rachmaninows „Die Toteninsel“.

Dortmund

, 19.02.2018, 21:58 Uhr / Lesedauer: 4 min
Dies ist die dritte Version von Arnold Böcklins „Toteninsel“ bei einer Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin 2015. Dieses Bild inspirierte Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow zu seiner Sinfonischen Dichtung.

Dies ist die dritte Version von Arnold Böcklins „Toteninsel“ bei einer Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin 2015. Dieses Bild inspirierte Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow zu seiner Sinfonischen Dichtung. © picture alliance / dpa

Es gibt Musik, die wir nicht nur hören, nicht nur fühlen, sondern die wir erleben, oder besser: durchleben. Die ihrerseits Bilder und Stimmungen, Situationen und Landschaften in uns aufruft, die wir unsererseits mit unseren eigenen Erinnerungen und Gedanken, Ängsten und Hoffnungen ausmalen und beleben. „Der Betrachter soll sich seine eigenen Gedanken machen“, sagen Bildende Künstler oft. Bei dieser Art von Musik kann der Zuhörer kaum anders.

Die Toteninsel: Ein Bild aus Musik

„Die Toteninsel“ von Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow von 1909 ist so eine Musik. Sie gilt als Sinfonische Dichtung, also ein Orchesterstück, das versucht, mit Musik etwas zu beschreiben, Menschen, Landschaften oder, wie die „Toteninsel“, ein Bild: das gleichnamige Gemälde des Schweizer Malers Arnold Böcklin, der es zwischen 1880 und 1886 in fünf Versionen malte.

Wenn die Philharmoniker „Die Toteninsel“ am Dienstag und Mittwoch (20. und 21. Februar) aufführen, werden die Zuhörer im Konzerthaus die Gelegenheit haben, die letzte Reise des Verstorbenen auf Böcklins Gemälde zu begleiten, alle zusammen, und doch jeder für sich persönlich.

Gabriel Feltz.

Gabriel Feltz. © thomas.m.jauk

Gabriel Feltz, Generalmusikdirektor der Philharmoniker, dirigiert das Konzert. Er hat uns seine persönlichen Gedanken zu Rachmaninows „Toteninsel“ erzählt.

Feltz‘ „Toteninsel“ zum Reinhören

Dies ist eine Aufnahme der „Toteninsel“ von Gabriel Feltz mit den Stuttgarter Philharmonikern aus dem Jahr 2006. Sie gibt einen Eindruck von Feltz‘ Interpretation des Werks.

Das Gemälde als Inspiration

Arnold Böcklin (1827 bis 1901) ist einer der bedeutendsten Maler Europas des 19. Jahrhunderts. Dies ist sein berühmtestes Bild: „Die Toteninsel“, dritte Version von 1883.

Das Bild zeigt eine steil aufragende Insel mit Trauerzypressen in der Mitte und Grabkammern in den Felswänden. Ein Boot fährt darauf zu, darin ein Ruderer, ein Sarg und eine stehende, weiß verhüllte Gestalt. Öl auf Holz, 80 mal 150 Zentimeter.

Feltz: „Eine Atmosphäre, für die einem die Worte fehlen“

Nicht zu schnell beginnen“ hat Gabriel Feltz auf den ersten fünf Takten der ersten Seite notiert. Das ist eine Untertreibung: Bei anderen Dirigenten dauert das Stück 18 bis 22 Minuten. Feltz’ Aufnahme mit den Stuttgarter Philharmonikern (2006) dauert etwas mehr als 25 Minuten.

Feltz: „Ich finde, für die Toteninsel, für so eine Atmosphäre, für die einem eigentlich die Worte fehlen, soll das Tempo wirklich so langsam sein, dass es so gerade noch geht. Extreme Ruhe.“

Gabriel Feltz‘ „Toteninsel“-Partitur, Seite 1.

Gabriel Feltz‘ „Toteninsel“-Partitur, Seite 1. © Tilman Abegg

Das Stück beginnt in a-Moll. „Diese Tonart steht in der Romantik für Düsteres und Dunkles. Und sie ist sehr klar, sie liegt auf dem Klavier komplett auf den weißen Tasten, das empfinden Komponisten offenbar als besonders symmetrisch.“

Noten, die wie Wellen schaukeln

Das Stück beginnt auch „sehr leise, mit vielen Kombinationen von sehr tiefen Streichern“ – unten im Bild sind die Noten der Celli zu sehen – „und sehr tiefen Bläsern.“ Die aufsteigende Phrase aus fünf Tönen setzt ein, „das Grundmotiv der ganzen Bootsfahrt“.

Gabriel Feltz‘ „Toteninsel“-Partitur, auch Seite 1, anderer Ausschnitt.

Gabriel Feltz‘ „Toteninsel“-Partitur, auch Seite 1, anderer Ausschnitt. © Tilman Abegg

Die Geigen, im Bild oben, schweigen an dieser Stelle noch, gekennzeichnet durch das kleine schwarze Rechteck zwischen den Notenlinien, auf denen Feltz „das Schaukeln des Bootes...“ notiert hat.

So erlebt Gabriel Feltz die „Toteninsel“

So beschreibt Gabriel Feltz, wie er die Geschichte in diesem Musikstück erlebt: „Nach dem sehr ruhigen Anfang wird es ein wenig lebendiger, die Insel kommt nach und nach näher, bis zum Höhepunkt, sehr stark komponiert, das sind vielleicht die gewaltigen Dimensionen des Felsens aus nächster Nähe, vielleicht ist es auch die Angst vor dem Tod.“

„Dann klingt das ab und gleitet fast unmerklich in einen Dreivierteltakt, Es-Dur, weicher und heller. Das ist das Leben des Verstorbenen. Ein sehr schöner Moment, der Höhepunkt seines Lebens, da genießt er das Leben.“

Gabriel Feltz‘ „Toteninsel“-Partitur, Seite 58 und 59: der Höhepunkt.

Gabriel Feltz‘ „Toteninsel“-Partitur, Seite 58 und 59: der Höhepunkt. © Tilman Abegg

„Dann wird es dramatisch, steigert sich unglaublich und kommt schließlich zu einem finalen Kampf“ – zu sehen auf dieser Doppelseite. „Man sieht, wie dicht und stark das komponiert ist, wie massiv das Orchester benutzt wird, alle spielen in hohem Tempo. Der Kampf endet hier mit sehr klaren Schlägen, superlaut.“

Nach dem Kampf die traurige Gewissheit

Nach diesem „Todeskampf“ spielt die erste Klarinette, sagt Feltz, „begleitet superleise von der zweiten Geige, das schafft eine sehr verhaltene, tolle, großartige Stimmung. Mein Gefühl ist: Hier ist Schluss mit dem Leben. Diese Person ist nun wirklich gestorben, ganz eindeutig.“

Gabriel Feltz‘ „Toteninsel“-Partitur, Seite 9.

Gabriel Feltz‘ „Toteninsel“-Partitur, Seite 9. © Foto: Tilman Abegg

“Damit ist die Brücke geschlagen, wir sind wieder in der Anfangsstimmung. Der Abgesang danach ist kurz und sehr verhalten, da ist nichts mehr, was sich noch aufbäumt. Das Stück kommt zur Ruhe.“

Ein rätselhaftes Ende - und Vorfreude

So endet das Stück: Auf einem Akkord, der „wie eine leere Quinte klingt“, sagt Feltz. In der oberen Reihe spielen die ersten Geigen die Töne a und e, also eine leere Quinte, ohne das mittlere c. Die zweiten Geigen in der Reihe drunter spielen zwar ein c, „aber so leise“, sagt Feltz, „dass man es eigentlich nicht hört. Das ist ein ganz eigenartiger Effekt, den ich gar nicht näher beschreiben kann. Wie ein Fragezeichen ganz am Ende.“

Gabriel Feltz‘ „Toteninsel“-Partitur, Seite 71, die letzte Seite.

Gabriel Feltz‘ „Toteninsel“-Partitur, Seite 71, die letzte Seite. © Tilman Abegg

Inwiefern sich die „Toteninsel“ beim Philharmonischen Konzert von seiner Stuttgarter Aufnahme von 2006 unterscheidet, weiß Feltz noch nicht. „Das findet sich intuitiv bei den Proben. Aber ich bin voller Vorfreude: Wie wird die Toteninsel der Dortmunder klingen, wie werden die Philharmoniker dieses wundervolle Stück spielen?“

Rachmaninows Inspiration war ein Zufall

Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow, geboren am 1. April 1873 in Nowgorod, komponierte die „Toteninsel“, nachdem ihn ein Schwarzweißdruck von Böcklins Gemälde dazu inspirierte.

Sergei Wasslijewitsch Rachmaninow.

Sergei Wasslijewitsch Rachmaninow. © picture-alliance / obs

Später sah er es im Original und schrieb: „Ich war von der Farbe nicht besonders bewegt. Hätte ich das Original zuerst gesehen, hätte ich die Toteninsel womöglich nicht geschrieben.“ Rachmaninow starb am 28. März 1943 in Beverly Hills an Krebs.

Wie liest man eine Partitur?

Eine Partitur ist eine Art Explosionszeichnung eines Orchesterstücks: Sie enthält jeden Ton des Stücks, geordnet nach Instrument (von oben nach unten) in der richtigen Reihenfolge (links nach rechts). Geübte Notenleser können beim Lesen der Partitur die Musik in ihrem Kopf hören.

Doppelseite aus Feltz‘ „Toteninsel“-Partitur.

Doppelseite aus Feltz‘ „Toteninsel“-Partitur. © Tilman Abegg

Jede der 26 Reihen ist einer Instrumentengruppe zugeordnet. Von oben sind das diese:
2 Querflöten, 3 Querflöten, 2 Oboen, Englisch Horn, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 2 Fagotte, Kontrafagott, Hörner 1 und 2, Hörner 3 und 4, Hörner 5 und 6, 2 Trompeten, 1 Trompete, 2 Posaunen, 1 Posaune und 1 Tuba, 3 Pauken, Becken und große Trommel (das ist die einfache Linie), Harfe (für die Harfe gelten zwei Reihen, also zwei Fünferlinien untereinander), 1. Geigen, 2. Geigen, Bratschen, Celli (zwei Reihen), Bässe (zwei Reihen).

Termine: Dienstag und Mittwoch (20., 21. 2.) je 20 Uhr, Konzerthaus, Brückstraße 21. Alle Infos zu den Karten (19-42 Euro) und zum Vorverkauf gibt es auf der Seite des Theaters.

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