"Favoriten 2018" hat nicht nur Theater-Freunden viel zu bieten

Theater-Festival

Im September wird das Theater-Festival "Favoriten 2018" die Dortmunder Nordstadt in einen Schauspiel-Hotspot verwandeln. Wer nur Theater-Kunst erwartet, wird überrascht sein.

DORTMUND

, 23.06.2018, 05:46 Uhr / Lesedauer: 2 min
Theater Othni und kainkollektiv inszenieren mit unterschiedlichen Musiktraditionen ein Stück über das Gedächtnis der Sklaverei.

Theater Othni und kainkollektiv inszenieren mit unterschiedlichen Musiktraditionen ein Stück über das Gedächtnis der Sklaverei. © Stephan Glagla/Favoriten

Fanti Baum und Olivia Ebert haben viel Theater gehabt in der letzten Zeit. Die beiden künstlerischen Leiterinnen des Theater-Festivals „Favoriten 2018“ haben 234 Produktionen der freien Theaterszene in NRW gesichtet.

Gemeinsam mit einem Beirat haben sie Beiträge für das Dortmunder Festspiel ausgesucht und mit überregionalen Kooperationen kombiniert. Es entstand ein Programm mit 18 Arbeiten, die Neues, Überraschendes und Experimentelles versprechen.

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Das sind die Acts bei "Favoriten 2018"

Das sind die Künstler, die beim Theater-Festival "Favoriten 2018" auftreten.
23.06.2018
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"Die Ausgrabung" von vorschlag:hammer (So. 16.9., 20 Uhr, Werkhalle im Union Gewerbehof):

Lässt sich das Echte widerlegen? Und wer gräbt überhaupt unsere Kultur aus? Mit welchen Artefakten konstruieren wir Geschichte und von wem wird diese machtvoll interpretiert? Das sind die Frage auf einer Expedition in die Tiefenschichten von Archäologie, Kunst und Theater. Doch was kommt zum Vorschein, wenn vorschlag:hammer die Ausgrabung leiten? © Stephan Glagla
"Fin de Mission / Ohne Auftrag leben" von kainkollektiv / OTHNI – Laboratoire de Théâtre de Yaoundé (Do. 6.9., 20 Uhr, Theater im Depot):

Das kamerunische Theater OTHNI und das kainkollektiv setzen zur Oper(ation) am Herzstück europäischer Kultur an: Als im Jahr 1607 die erste Oper der Weltgeschichte zur Aufführung kommt und Eurydike als Ausgeschlossene das Boot Richtung Unterwelt besteigt, legt weit entfernt ein weiteres Boot zu einer gewaltsamen Reise ab. In der Begegnung unterschiedlichster Musiktraditionen entsteht eine beeindruckende Theaterarbeit über das „Gedächtnis der Sklaverei“.© Stephan Glagla
"Surround" von Overhead Projekt (Fr. 7.9., 19 Uhr, Alte Schmiede):

Im Schwindel der Demokratie entscheidet sich immer neu: Wen schließt der Kreis ein, wen schließt er aus? Die wichtigste Frage im Zusammenstoßen und Auseinanderfliehen auf der Bühne lautet daher: Bist du drin oder draußen – im Herdentritt, am Rand oder doch mit den Zügeln in der Hand? Ein intensives Erkunden der leeren und imaginären Mitte, die keine Ruhe lässt.© Ingo Solms
"ingolf wohnt" von Kötter/Seidl (Do. 6. – So. 16.9.: 6.9. & 7.9. 16–21:30 Uhr, 8.9. 15–19:30 Uhr, 9.9. 12–21:30 Uhr, 11.9. 18–20:30 Uhr, 12.9.–14.9. 16–21:30 Uhr, 15.9. & 16.9. 15–21:30 Uhr, Mittelhalle im Depot):

Wie klingen Sirenen? ingolf folgt der Idee des 71-jährigen, ehemaligen Mitarbeiters des DDR-Rundfunks und passionierten Hobby-Bastler Ingolf Haedicke für eine Oper. Kötter/Seidl entwerfen mit dem detailgetreuen Nachbau von Haedickes Wohnung ein Expanded Cinema Projekt, das die bisher gekannte Form der Oper ins Alltägliche verschiebt und zwischen Gurkenbroten und elektronischen Synthezisern neu erklingen lässt.

Der Film dauert 60 Minuten, die Startzeiten für den Film sind individuell, nach dem Film ist der Einlass in die Wohnung jederzeit möglich, die Aufenthaltsdauer dort ist frei wählbar.© Ingolf
Nordstadt Phantasien / Club Kohleausstieg mit Schorsch Kamerun, Katja Eichbaum, Off the Radar und andere. Bekannt von der Ruhrtriennale.© Jochen Melchior
"Sonderbare Irre" von SEE! (Sa. 8.9., 19 Uhr, Theater im Depot):

SEE! führen in den Wahnsinn der Normalität. In einem schrillen Bilderwald zwischen Schein und Sein versammelt der Ausnahmetänzer Frank Willens sämtliche Selbstinszenierungsposen aus Youtube Tutorials und Instagram Stories, flankiert von einer Showtanzformation. © Katja Illner
"UNLIKELY CREATURES (II) we dance for you" von Billinger & Schulz (Sa. 8.9., 21 Uhr, Mittelhalle im Depot):

Billinger & Schulz laden zum Schlagabtausch in die Arena. Die vibrierenden und zitternden Körper ihres Ensembles verweisen in einer Collage aus Tanz, Text und Sound auf gegenwärtige physische Zustände der Überforderung durch Politik und Populismus. Präzise und wuchtig! Sie produzieren in Düsseldorf und Frankfurt. © Florian Krauß
"Let’s Talk About Love" von Thomas Bartling & David Kilinç (So. 9.9., 20 Uhr, Theater im Depot
Performance):

Das legendäre Pop-Album Let’s Talk About Love von Céline Dion ist Inspiration und Soundtrack für diesen schillernden Abend zwischen Glamour, Camp und Verletzlichkeit. Jedem Track widmen die beiden Vollblut-Performer eine eigene Szene und verbinden Dions Musik mit Erfahrungen und Vorstellungen von Liebe und Leidenschaft.© Alexander Schneider
"VANITAS" von Sebastian Blasius (Sa. 8.9., 13 - 21 Uhr / So. 9. + Sa. 15. + So. 16.9., 11 - 21 Uhr
Einlass alle 30 min., nur im VVK, Projektraum Fotografie im Union Gewerbehof):

Eine lange Tafel ist aufgebaut, ein Platz ist noch frei. Sind Sie Gast, Eindringling, beides oder keines? Und was hat das, was Sie sehen und hören, mit Ihnen zu tun? VANITAS ist Kammerspiel und imaginäres Tischgespräch – eine Performance über Zugehörigkeit, Identität, Werden und Vergehen für je eine*n Zuschauer*in.© Sebastian Blasius
"DIVA: Celebrating Oum Kalthoum" von Ariel Efraim Ashbel and friends featuring The NRWedding Orchestra for Middle Eastern Music with Ruth Rosenfeld (Mi. 12.9., 20 Uhr, Theater im Depot)

Dieser unorthodoxe und transkulturelle Konzertabend ist eine Ode an Oum Kalthoum (1904–1975), eine der einflussreichsten Musikerinnen der arabischen Welt des 20. Jahrhunderts. Auf Initiative des Theatermachers Ariel Efraim Ashbel haben sich Musiker*innen unterschiedlicher kultureller Herkunft zusammengefunden, um ihre Lieder gemeinsam mit dem Publikum zu feiern. Für die neuen Konzerte in Dortmund (12.9.) und Düsseldorf (16.9) gründen Ashbel und sein Team gemeinsam mit dem Favoriten Festival und dem fft Düsseldorf das NRWedding Orchestra for Middle Eastern Music, mit Musiker*innen aus NRW und dem Berliner Wedding, wo Ashbel das Projekt 2016 erstmals an den Uferstudios initiierte.© Dorothea Tuch
"A CONCERT / EIN KONZERT" von Lea Letzel und Luísa Saraiva (Do. 13.9., 19 Uhr, Werkhalle im Union Gewerbehof):

Drei Frauen, 23 E-Gitarren und ein Schlagwerk stellen den Zusammenhang von Klang, Bewegung und Komposition auf den Kopf. Als Gegenentwurf zu den uns vertrauten Gesten des Gitarre-Spielens agieren die drei in einer musikalischen Struktur eines Sets, das sie selbst am Laufen halten. A CONCERT / EIN KONZERT choreographiert Klang und komponiert Bewegung.© Tassilo Letzel
"Voicing Pieces" von Begüm Erciyas (Do. 13. + Fr. 14.9., 16–22 Uhr, Sa. 15. + So. 16.9.,15–22 Uhr, Probebühne im Depot):

Ein Stück für eine Person, in der die eigene Stimme zur Protagonistin wird. In der Intimität einer Klangkabine erfährt der sonst so alltägliche Eindruck, sich selbst sprechen zu hören, eine magische Verschiebung: Ist die eigene Stimme nicht immer schon unheimlich? Voicing Pieces ist eine Einladung, das Fremde in sich selbst zu erkennen. © Bergüm Erciyas
"WOW" von Nuray Demir und Tümay Kılınçel (Fr. 14.9., 20 Uhr , Theater im Depot):

Schuhlos betritt das Publikum die üppig ausgestattete Bühne voller kulturell aufgeladener Dinge: Teppiche, Tulpen, Weintrauben, lange Stoffbahnen. Wow! Demir und Kılınçel verwickeln die Stoffe wie Geschichte(n) – in ihrer Choreographie der Veränderung laden sie zur Befragung von Narrativen über Migration und zum Rewriting von Herstories ein.© Eva Pedroza
"||: Wir fangen nochmal an :|| – Feldstudie mit Chor" von Anna-Lena Klapdor mit Studierenden der Ruhr Universität-Bochum (Sa. 15.9., 19 Uhr, Theater im Depot):

Heute bleibt die Gewissheit, dass weder zur Furcht noch zur Hoffnung Anlass besteht. Nur dazu noch einmal anzufangen: Ein vielköpfiger Chor verfängt sich in der Dauerschleife der Kommunikation, setzt und entsetzt Wiederholung, gründet und verabgründet Gemeinschaft. Und fängt im Zweifel nochmal an. © Robin Junicke
"CARNE VALE!" von Ben J. Riepe (Sa. 15.9., 21 Uhr, Dietrich-Keuning-Haus):

Vier Tänzer begeben sich auf einen Weg durch körperliche Zustände, urmenschliche Instinkte, existentielle Bedürfnisse. CARNE VALE! ist das Zelebrieren eines Rituals auf der Schneide von Genuss und Verzicht, Trieb und Kontrolle, Gewalt und Schönheit, Tradition und Unbehagen.© Ursula Kaufmann
"POEMS of the DAILY MADNESS" von claudia bosse / theatercombinat (Do. 13.9., 21 Uhr, Zeche friedlicher Nachbar, Bochum):

Terror, Poems, Hate Crime und Madness – vier Allegorien erheben in einer immer schizophrener werdenden Welt ihre Stimme. Und weil alles so ist, wie es ist, singen wir. Oper als Haltung, das Reale als Dichtung: Also los!© Eva Würdinger
"Das Konzept bin ich" von i can be your translator (So. 9.9., 16 Uhr, Werkhalle im Union Gewerbehof):

Die inklusive Musik-Performancegruppe und Band i can be your translator stellt sich mit ihrer ernsten und spielerischen Trauerarbeit den „Euthanasie“-Morden im Nationalsozialismus. Welche Konzepte liegen damaligen und heutigen Vorstellungen von lebenswert und lebensunwert zugrunde? Eine kollektive Stückentwicklung.© Veranstalter
"WITHIN" von Tarek Atoui, in Zusammenarbeit mit Léo Maurel und mit Teilnehmer*innen aus Dortmund (Mi. 12 – Fr. 14.9., 16 – 22 Uhr / Sa. 15.9., 15 – 22 Uhr, Parzelle im Depot, Ausstellung / Soundkunst; Di. 11.9., 19 Uhr Ausstellungseröffnung, 20 Uhr Künstlergespräch
So. 16.9., 17 Uhr, Mittelhalle im Depot, Konzert; Führungen zu den Öffnungszeiten der Ausstellung auf Deutsch, Englisch und in Gebärdensprache):

Wie nehmen wir Musik wahr, wenn unser Gehör versagt? Wie beeinflussen Instrumente die Formen und Möglichkeiten des Musikmachens? Zu einem besonderen Kooperations-Projekt und als internationale Erweiterung hat FAV 18 den libanesischen Soundkünstler Tarek Atoui nach Dortmund eingeladen. Im Austausch mit lokalen Teilnehmer*innen und dem Dortmunder Zentrum für Gehörlosenkultur setzt er sein Langzeitprojekt WITHIN fort und lässt uns Töne mit allen Sinnen erfahren: in einer Ausstellung, in der ein neu entwickeltes Instrument ausprobiert werden kann und einem einmaligen Konzert, das aus einem Workshop mit Menschen mit Hörbeeinträchtigung entsteht.© Thor Brodreskiv

Mehr als nur Theater

Das 1985 als „Theaterzwang“ gegründete Festival hat längst alle Disziplin-Grenzen gesprengt. Vom 6. (Donnerstag) bis 16. September (Sonntag) können Besucher Tanz und Theater, Musik, Performance und zeitgenössischen Zirkus erleben. Sogar die Oper hält erstmals Einzug in das bunte Programm der Favoriten, die weder Motto noch Thema kennen. „Mitunter lässt sich im freien Theater das finden, was sich dort weniger erwarten lässt“, sagt Fanti Baum.

Es gibt auch keinen festen Ort für Deutschlands ältestes freies Theaterfestival. Es spielt aber eindeutig in der Nordstadt. Aufführungsorte sind neben dem Depot als Zentrum die Alte Schmiede in Huckarde, das Keuning-Haus, der Club Rekorder in der Gneisenaustraße und der Union Gewerbehof.

Mit der Aufführung „Poems of the Daily Madness“ eröffnet erstmals auch eine Satelliten-Spielstätte in der Zeche Friedlicher Nachbar in Bochum. „Die Favoriten haben sich in den urbanen Raum vernetzt“, sagt Claudia Kokoschka, Leiterin des Kulturbüros. Dadurch ergäben sich wichtige Impulse für die Nordstadt.

Residenzkünstlerinnen arbeiten im Union Gewerbehof

Im Union Gewerbehof an der Rheinischen Straße hat die künstlerische Arbeit bereits begonnen. In der Werkhalle arbeiten seit Januar die ersten Residenzkünstlerinnen von insgesamt vier Gruppen. Sie beschäftigen sich mit dem brachliegenden Gelände des ehemaligen HSP-Stahlwerks und verfolgen dort besonders die Geschichte der Arbeiterinnen. Das Residenzprogramm „Work at Werk Union“ haben die Favoriten gemeinsam mit den Urbanisten auf die Beine gestellt.

Daneben gibt es auch ein digitales Residenzprogramm, das von acht Künstlern bespielt wird. Im Internet erscheint zudem bis zum Festivalstart monatlich das Magazin Space, das im Austausch zwischen den Künstlern und dem Festivalteam entsteht.

Außergewöhnliche Projekte jenseits der Disziplinen

Mit dabei ist auch die performative Installation „Voicing Pieces“ von Begüm Erciyas, das Experiment im Alltäglichen „ingolf wohnt“ des Expanded Cinema Projekt und die Tanz-Text-Sound-Collage „Unlikely Creatures (II) we dance for you“ von Billinger & Schulz. Ein- und Ausschlüsse thematisiert Schorsch Kamerun mit seinem Stadtprojekt „Nordstadt Phantasien“ – eine erstmalige Kooperation zwischen Ruhrtriennale und Favoriten-Festival.

Außergewöhnlich ist auch das Konzert-Projekt „DIVA: Celebrating Oum Kalthoum“, das bei dem Musikern aus NRW Lieder der ägyptischen Legende Oum Kalthoum mit Konzerten in Düsseldorf und Dortmund feiern.

Die Favoriten starten am 6. 9. (Donnerstag) mit einer Eröffnungsfeier und dem Beitrag „Fin de Mission – Ohne Auftrag leben“ von kainkollektiv aus Bochum und dem kamerunischen Theater Othni im Theater im Depot.

„Ohne Auftrag“ ist dann doch etwas wie das Motto des Festivals. Denn gerade im Modus des Experiments soll das Überraschende und Spannende entstehen.

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