Fassade kaputt, Dach und Becken kaputt, Technik muss erneuert werden oder gleich „kompletter Ersatzneubau“ – erst wer die Liste auf Din-A3 ausdruckt, kann überhaupt jede Zeile erkennen. Kann Schwarz auf Weiß nachvollziehen, in welchem Zustand die Hallen- und Freibäder in Dortmund sind.
Dabei ist die Liste weder neu noch geheim. Sie ist Teil des „Bäderleitplans“, den ein externes Planerbüro im Auftrag der Stadt Dortmund erstellt hatte und der 2021 den Politikern vorgelegt wurde. Die in einem Punkt sofort aktiv wurden.
Dreistelliger Millionenbetrag
Denn die große, nur auf Din-A3 lesbare Liste mit den Mängeln wurde erst nachträglich geliefert. Vorher war sie im rund 80 Seiten dicken Plan nur einmal als kleines Bild eingefügt, äußerst unleserlich. Dick hervorgehoben im Extra-Kasten war nur die Zahl, die unter dem Strich stand: 113.198.609,45 Euro.
113 Millionen Euro also. „Das müssten wir investieren, nur um den aktuellen Stand in den nächsten 10 bis 15 Jahren zu erhalten“, untermauert André Knoche. Der Geschäftsführer Sport der städtischen Sport- und Freizeitbetriebe sitzt im Herbst 2024 in seinem Büro im Dreier-Hochhaus unweit des S-Bahnhofs Körne-West, relativ weit oben im 15-stöckigen Gebäude.
Aus den 60er- und 70er-Jahren
Von seinem großen Fenster aus kann Knoche große Teile der Stadt überblicken. Dort hinten müsste in etwa das Nordbad sein, dort das Südbad, in diese Richtung das Hallenbad in Eving und in ganz weiter Ferne die Hallenbäder in Mengede und Lütgendortmund.
Was die Hallenbäder in Dortmunds Ortsteilen gemeinsam haben – von Scharnhorst bis Aplerbeck, von Hörde bis Hombruch: Sie alle stammen aus den 60ern und 70ern. Drinnen gibt es 25-Meter-Becken mit fünf Bahnen, an einer Seite eine große Fensterfront, hinten ein kleineres zweites Becken, an den Wänden oft noch das Mosaik, das den Betrachter zurückversetzt ins Jahr 1967 oder 1972.

Betrieb oft „kurzfristig gefährdet“
Alte Bäder, die längst sanierungsbedürftig sind – dieses Problem hat Dortmund nicht allein. Bei einer Umfrage der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen kam 2024 heraus: Mehr als die Hälfte aller Hallen- und Freibäder entstand in den 60er- oder 70er-Jahren, ein weiteres Viertel ist noch älter.
Nur ein Drittel der Bäder sei in Ordnung oder könne mit geringen Investitionen weiterbestehen. Das zweite Drittel habe einen „nennenswerten Investitionsrückstand“, das dritte sogar einen „gravierenden“, der den Betrieb einschränkt oder „kurzfristig gefährdet“.

Ein Problem für alle Städte
Laut einer Studie, die die KfW-Förderbank erst vor wenigen Tagen veröffentlichte, mangelt es besonders oft an den technischen Anlagen der Hallenbäder, aber auch an den Gebäudehüllen und den Sanitäranlagen. 91 Prozent der Kommunen sprachen demnach von einem mindestens „nennenswerten Investionsrückstand“.
Im Klartext: Über viele Jahre ist einfach viel zu wenig Geld in die Schwimmbäder gesteckt worden. Was das in Dortmund ganz konkret bedeutet? André Knoche reicht die große Din-A3-Mängel-Auflistung über den Tisch. 113 Millionen Euro Kosten, ermittelt im Jahr 2021.
Stark gestiegene Baukosten
Dass die Summe eigentlich längst das Doppelte oder Dreifache betragen dürfte, das weiß auch Knoche. 2021 – das war vor Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Wie sich die Baukosten seitdem entwickelt haben? Knoche will lieber nicht über Zahlen spekulieren. Aber die lassen sich am Beispiel Nordbad darstellen.
Die Nordbad-Sanierung hätte laut der 2021er-Schätzung 10,4 Millionen Euro kosten sollen. Ende 2024 ging die Stadt dann von fast 33 Millionen Euro aus. Selbst wenn man das also zurückhaltend hochrechnen würde auf alle 18 Bäder in Dortmund, käme man nicht mehr auf 113, sondern auf 250, eher 300 Millionen Euro.
Allein, um den Zustand zu halten – mit 25- oder 50-Meter-Bahnen und dem alten Mosaik. Nicht, um irgendwo ein neues Spaß- und Erlebnisbad zu schaffen. Die Realität in den nächsten Jahren dürfte eher sein, dass Frei- und Hallenbäder schließen – für eine umfangreiche Sanierung oder für immer.
Dabei betonen Dortmunds Politiker seit Jahren: Nein, kein Bad solle geschlossen werden. Wo etwas kaputt sei, solle es repariert werden. Damit es in den weit auseinanderliegenden Ortsteilen weiterhin so viele Schwimmbäder geben werde.

Teure Stockheide-Sanierung
Mit der Sanierung des im August 2020 geschlossenen Freibads Stockheide am Hoeschpark begann die Stadt in der Hoffnung, dass der Bund den größten Teil der Baukosten übernehmen würde. Nachdem die Kosten von 6,8 auf 14,6 Millionen Euro gestiegen waren, ging diese Rechnung nicht auf. Dennoch: Es wird weitergebaut, erst 2026 soll es eine Wiedereröffnung geben.
Parallel dazu bröckelte das Freibad Hardenberg in Deusen weg, beziehungsweise: Es bröckelte und tropfte unter dem großen Becken so stark, dass das Freibad 2024 gar nicht mehr öffnen durfte. Einsturzgefahr! Ob die Schäden 2025 behoben werden können – das ist mehr als unklar. Sicher ist jedenfalls: Generell wusste man bei der Stadt schon 2020 vom Problem.
Freibäder von 1914, 1926 und 1927
Umso beunruhigender, was im Bäderleitplan 2021 ebenfalls stand. Was die Experten sowohl für das Freibad Wellinghofen (Baujahr 1926) als auch für das Freibad Derne (1914) vorschlugen: „kompletter Ersatzneubau“.
Im Freibad Volksbad (1927) am BVB-Stadion müsse zudem das Becken komplett modernisiert werden. Längst bekannt ist zudem, dass große Teile des denkmalgeschützten Baus saniert werden müssen. Die Statik ist so marode, dass ein Stück abgesperrt ist. Und der altehrwürdige Zehn-Meter-Sprungturm wartet seit vielen Jahren auf seine Wiedereröffnung.
Nordbad bald schon geschlossen?
Und die Hallenbäder? Das Nordbad muss vielleicht schon im Juni 2025 schließen. Einen längeren Betrieb wollen die prüfenden Ingenieure nicht verantworten. Das Nordbad stammt übrigens aus dem Jahr 1982 und ist somit das zweitneueste Hallenbad Dortmunds.
Die Stadt befindet sich aktuell in Gesprächen mit den externen Prüfern, wie final diese Entscheidung denn wohl ist. Parallel dazu hat sich die Politik mehrheitlich für einen Hallenbad-Neubau irgendwo in der Nordstadt entschieden. Möglicher Eröffnungstermin: 2033.
Stand jetzt bedeute das: Dortmunds Nordstadt muss für etliche Jahre ohne Hallenbad auskommen - und 2025 wahrscheinlich auch ohne ein einziges Freibad.
Schulschwimmen muss ausfallen
Das trifft nicht nur Vereine und all diejenigen, die privat ins Hallenbad wollen, sondern auch die Schüler. Die große Befürchtung, die bei der Nordbad-Diskussion aus nahezu allen politischen Richtungen geäußert wurde: Schulschwimmen sei immens wichtig, da es immer mehr junge Nichtschwimmer gebe.
Kein Schulschwimmen möglich – das gab es in den vergangenen Jahren auch in Lütgendortmund und Hombruch. Die Dächer waren undicht, in einem Fall gab es danach auch Streit um die korrekte Ausführung der Arbeiten.

Erste Neueröffnung seit 40 Jahren
Kurios wirkt angesichts all dieser Mängel der Blick auf den 30. März 2023: Da feierten Oberbürgermeister, Verantwortliche und Vereine die erste Dortmunder Schwimmbad-Neueröffnung seit 40 Jahren: Das neben dem Solebad Wischlingen entstandene Hallenbad war fertig. Eines, das energetisch auf dem neuesten Stand und somit im Betrieb kostengünstiger ist als die alten Bäder.
Bei Baukosten von etwa 14 Millionen Euro sei man herausgekommen, freute sich damals Bernd Krause, der gleichzeitig Geschäftsführer der städtischen Sport- und Freizeitbetriebe ist und Geschäftsführer des Revierparks Wischlingen. Zum Vergleich: Egal, ob Neubau oder Sanierung – das Nordbad liegt weit jenseits der 30 Millionen.
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