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BVB-Torwart Roman Bürki im Exklusiv-Interview: „Das würde mich kaputt machen“
Borussia Dortmund
Roman Bürki ist lange die Nummer eins beim BVB. Dann aber wird er ausgebootet, spielt keine Rolle mehr. Eine schwierige Situation, über die der 31-Jährige im Exklusiv-Interview spricht.
Roman Bürkis Blick auf den Profifußball hat sich gewandelt. Auch deshalb ergab sich mit dem 31-jährigen Torhüter der Dortmunder Borussia jetzt ein spannendes Gespräch über ein knallhartes Business, über seine Ausbootung als Nummer eins des BVB und seinen Aufbruch zu neuen Ufern in diesem Sommer.
Herr Bürki, was sagt Ihnen die Zahl 232?
232? Sagt mir auf den ersten Blick nichts. Moment: Vielleicht ist das die Zahl der Spiele?
Das ist die richtige Idee. 232 Pflichtspiele für Borussia Dortmund, eine stolze Zahl. Hätte man das vor 16 Jahren dem kleinen Roman vom TSV Münsingen erzählt, was hätte der Junge damals gesagt?
Als kleiner Junge gibt es immer dieses Hoffen und Träumen. Kann ich es schaffen? Ich habe gute Vorbilder gehabt wie meinen Vater, der zwar nicht professionell, aber trotzdem sehr lange und erfolgreich Fußball gespielt hat und auch Torhüter war. Ich hatte gute Voraussetzungen. Aber ich habe auch viel investiert.
Was sagt Roman Bürki im reifen Fußballer-Alter von 31 Jahren zu seiner Bilanz?
Ich bin auf jeden Fall stolz darauf! Borussia Dortmund ist ein Topklub in Europa, der BVB ist weltbekannt. Die sieben Jahre hier sind sicher das Highlight meiner Karriere.
Sie sprachen über die guten Anlagen. Auf der Linie kennt man Sie als explosiven Typen. Außerhalb des Rasens ist das inzwischen anders, oder?
Ich lebe eher zurückgezogen. Bis Mitte 20 lief das noch anders. Ich konnte mal feiern gehen, das gehörte dazu, mit meinen alten Kumpels in der Schweiz, ich war auch mal auf Ibiza. Strand, gutes Wetter, Party. Es gibt ja auch ein Leben neben dem Fußball und es ist nur menschlich, wenn man mal die Sau rauslässt, nachdem man sich ein ganzes Jahr lang auf Fußball konzentriert hat und Tag für Tag ins Training gegangen ist. Wenn ich im Urlaub bin, kann ich ja tun und lassen, was ich will, abgesehen davon, dass ich immer eine gewisse Vorbildfunktion innehabe. Aber seit ich mit 25 Jahren zum BVB gekommen bin, habe ich versucht, mich mehr auf das Wesentliche zu konzentrieren und nicht zu viele Nebenschauplätze zu bieten. Auch wenn man es sowieso nie allen recht machen kann.
Mit Verlaub: Sie hatten in den vergangenen Monaten viel Zeit zum Nachdenken, wahrscheinlich mehr als einem Vollblut-Profi lieb sein kann. Welche Schulnote geben Sie Ihrer Zeit hier?
Im Großen und Ganzen betrachtet, würde ich dieser Zeit eine sehr positive Note geben. Ich habe zweimal den DFB-Pokal gewonnen, also große Titel geholt. Ich konnte am Borsigplatz feiern mit den Fans. Ich habe die meiste Zeit vor ausverkauftem Haus gespielt, hier bei uns zuhause. Das wird alles positiv in Erinnerung bleiben.

Roman Bürki (r.) hat seinen Status als Nummer eins an den im Sommer aus Stuttgart verpflichteten Gregor Kobel (links) eingebüßt. © imago images/Kirchner-Media
Wenn Sie den Gedanken weiterführen: Was bedeutet Ihnen Borussia Dortmund? Was ist entstanden in den letzten sieben Jahren?
Ich habe sehr viel gelernt über den Fußball und zuletzt auch darüber, wie das Business tickt. Man muss die Zusammenhänge in Gänze verstehen ab dem Punkt, an dem Fußball kein Hobby mehr ist, sondern auch ein Geschäft. Und das kann knallhart sein und von einem Tag auf den anderen ein Wechselbad der Gefühle bescheren. Ich habe hier tolle Menschen kennengelernt in Dortmund, allen voran meine Teamkollegen. Ohne deren Unterstützung hätte ich es nicht ausgehalten, ein Jahr lang nur zu trainieren ohne die Aussicht auf Einsätze.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen, wo sich Außenstehende manchmal keine Gedanken machen, was hinter den Kulissen vorfällt?
Wenn du im Fußball einen Vertrag verlängerst, wird dir natürlich gesagt, dass man auf dich zählt. Und doch kann es ein Jahr später schon ganz anders aussehen. Was mich angeht: Ich habe gedacht, dass es vielleicht noch mal zurück ins Tor schaffe. Ich habe alles versucht. Doch als klar war, dass diese Chance nicht mehr kommen würde, musste ich mir Gedanken machen, wie es weitergeht. Das meinte ich mit Geschäft.
Wie sehr hat Sie das belastet? Wie schmerzhaft war dieser Prozess und was war das für ein Gefühl, als für „RB“ nicht mehr die Nummer 1 da lag?
Ich kam aus dem Urlaub zurück und war nicht mehr die Nummer 1, sondern die Nummer 38. Natürlich habe ich mich da erst einmal gefragt: Was ist denn jetzt los? Man sollte einfach auch den Menschen dahinter sehen. Ich habe diese Situation als schwierig empfunden.
Ist es für Sie mittlerweile nachvollziehbar – hat man die Gründe klar aufgezeigt?
Es ist auf jeden Fall nicht einfach für mich gewesen, das kann ich sagen. Es sollte vermutlich Veränderungen im Kader geben, eine andere Richtung eingeschlagen werden, die man wahrscheinlich auch in den nächsten Jahren auf anderen Positionen sehen wird.
Wenn man weiß: Egal wie gut das Training läuft, ich spiele nicht – wie viel mentale Kraft benötigt das? Was braucht es, um da trotzdem mit einer großen Professionalität und Eigenmotivation durchzugehen?
Ich habe alles gegeben, aber das hat zu keiner echten Chance geführt. Ich musste lernen, mich von diesem immerwährenden Druck zu befreien. Weil ich mit allen hier ein gutes Verhältnis habe, nach wie vor, kam dann auch der Spaß wieder zurück. Ich habe mich immer professionell verhalten, ich konnte jederzeit trainieren. Meine Mannschaftskollegen und der Betreuerstab haben einen großen Teil dazu beigetragen, dass ich positiv und wirklich topfit geblieben bin. Ich kann es gar nicht erwarten, das mal wieder zu zeigen!
Wenn man plötzlich eine neue Nummer eins vor die Nase gesetzt bekommt, kann man es dem anderen gönnen, dass es gut läuft?
Ja. Das habe ich auch so erlebt, als in der Saison 2020/21 Marwin Hitz oft gespielt hat. Ich kann das trennen: Es ist ja nicht der Kollege, der diese Entscheidungen trifft. Marwin, Gregor Kobel und ich haben ein gutes Verhältnis. Ich habe Marwin unterstützt, wenn er gespielt hat. Er hat mich immer unterstützt, wenn ich gespielt habe. Wir trainieren einige Jahre zusammen. Er sieht es mir an, wenn ich nicht so gut gelaunt oder genervt bin, und andersherum genauso. Und es war ja nicht Gregor Kobel, der gesagt hat, jetzt komme ich, du spielst nicht mehr. Die Entscheidung kam vom Klub. Gregor macht seine Sache gut.
Kann Gregor Kobel ein richtig Großer werden?
Er ist ja schon fast zwei Meter groß! (lacht). Im Ernst, er ist immer noch jung, er hat sehr großes Potenzial. Bei ihm kommt es jetzt darauf an, ob und wann er den nächsten Schritt macht.
Haben Sie alles richtig gemacht?
Wenn ich zurückdenke, hatte ich eine Phase, in der ich auch wirklich sehr gut war. Wir wurden knapp nicht Deutscher Meister, das war 2019. Im Nachhinein stellt sich immer die Frage, ob ich da hätte wechseln sollen, um mich noch mal zu steigern.

Einer der schönsten Momente in Schwarzgelb: Im Mai 2017 gewinnt Roman Bürki mit dem BVB den DFB-Pokal. © picture alliance / Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa
Kobel stand am Samstag gegen Leipzig unten vor der Gelben Wand, vor der Sie so oft standen. Wie schwer fällt es, dass Sie sich nicht als Torwart auf dem Rasen verabschieden können?
Ich kann das Gefühl gar nicht mehr richtig hervorholen, in einem vollen Stadion zu spielen. Wir hatten leider so viele Spiele ohne Fans. Beim Pokalfinale 2021 hätte ich unfassbar gerne die Fans dabeigehabt und mit ihnen gefeiert. Aber durch Corona hat sich leider einiges im Fußball verändert. Mir ist es wichtig, dass ich mich persönlich von der Mannschaft verabschieden kann und von den Fans, die mich unterstützt haben, die mich gefeiert haben, wenn ich ein gutes Spiel gemacht habe. Vielleicht gibt es zum Ende der Saison ein paar Minuten als würdiges Geschenk. Das wäre schön, und gleichzeitig hoffe ich, dass es anders kommt.
Warum?
In dem Sinne, dass wir so lange wie möglich im Titelrennen dabei sein wollen und vielleicht im letzten Spiel noch die Möglichkeit besteht, dass wir ganz oben landen. Da würde ich meine persönlichen Interessen natürlich hinten anstellen.
Sie wurden zu Beginn Ihrer BVB-Zeit skeptisch beäugt, später mit Sprechchören gefeiert. Waren die Fans immer Ansporn oder auch manchmal anstrengende Kritiker im eigenen Haus?
Die Fans sind ein sehr wichtiger Teil von Borussia Dortmund, vor allem bei Heimspielen. Sie können dich extrem pushen. Das Ding ist halt: Man merkt auf dem Platz auch, wenn die Zuschauer nervös werden, wenn sie dir nicht zu 100 Prozent vertrauen. Das geht allen Spielern so. Da sind 80.000 Menschen, die meisten BVB-Fans, und die schreien, wenn etwas gut läuft, und die sind enttäuscht, wenn etwas nicht klappt. Es ist eine große Kunst, sich davon nicht zu sehr beeinflussen zu lassen.
Augen zu und durch?
Du willst ja nicht alles ausblenden, sondern das Gute und die positive Stimmung mitnehmen. Das ist zum Teil ein schmaler Grat. Auf jeden Fall sind die Fans ein enormes Plus für Borussia Dortmund. Fußball ist für mich Leidenschaft. Wir spielen für die Fans, für die Emotionen, es ist einmalig, in diesem riesigen Stadion aufzulaufen. Und es ist als Torhüter irgendwie auch immer geil, wenn die Gästefans dich beleidigen. (lacht)
Sie haben selbst gesagt, Torhüter zu sein sei kein dankbarer Job. Es gibt oft nur Held oder Depp.
Und wenig dazwischen. Das ist einfach so.
Schauen wir nach vorne. Im Sommer geht es für Sie in den USA weiter. Im besten Torhüteralter wechseln Sie in die unterklassige Major League Soccer zu St. Louis City SC. Das müssen Sie uns erklären!
Als die Anfrage kam, wollte ich mir das unbedingt anschauen. Ich war früher schon gerne in den USA. Die Amerikaner sind ein sportverrücktes Volk, die US-Sportarten interessieren mich sehr. Und bei der MLS erwarte ich einen extremen Aufschwung, auch bei der fußballerischen Qualität. In St. Louis etwas ganz Neues von Grund an mit aufzubauen, finde ich eine coole, spannende Chance. Deswegen habe ich mich dafür entschieden.
Also lieber Aushängeschild in der MLS als die Nummer zwei bei den Bayern?
Ich möchte immer spielen. Als Nummer zwei nur durch die Gegend zu fliegen, mich auf die Bank zu setzen und nie zu spielen, das würde mich kaputtmachen. Bei Marwin Hitz ging das eine Zeit lang, weil wir uns sehr respektieren. Aber auf Dauer bin ich dafür nicht gemacht. Deshalb hatte für mich Priorität, dass ich definitiv spielen kann.
Bei Ihrem künftigen Klub handelt es sich um eine Großbaustelle. Die Mannschaft muss noch formiert werden, das Stadion befindet sich noch im Bau. Ein Wagnis?
Ich war in St. Louis vor Ort und habe mir alles angeschaut. Das Stadion wird im Juli fertig sein. Direkt nebenan entsteht das Trainingsgelände. Ich habe mit den Besitzern des Klubs gesprochen und mit dem Trainer, Bradley Carnell. Ich hatte tolle Tage dort und konnte mir direkt vorstellen, dort Fußball zu spielen. St. Louis ist eine coole Stadt. Ich will beim Baseball zuschauen, beim Basketball, beim American Football.
Sportdirektor Lutz Pfannenstiel hat gesagt, Sie sollten das neue Team lenken. Hat Sie das gelockt?
Ja, auf jeden Fall. Vor allem, weil ich die Philosophie von Bradley Carnell auch schon kenne. Er hat mir genau erklärt, wie er spielen möchte, was für Spielertypen er braucht und dass ich perfekt passe als eine Säule hintendran. Ich bringe viel Erfahrung mit, habe viele Situationen erlebt, schwierige wie auch sehr schöne Momente. Und ich freue mich darauf, den jungen Spielern dort zu helfen. Ich bin zuversichtlich, dass wir ein sehr gutes Team auf die Beine stellen.
Wird das der finale Akt Ihrer Karriere?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich will die bestmögliche Leistung bringen und so lange wie möglich topfit bleiben. Solange der Körper funktioniert, werde ich immer nach Herausforderungen schauen.
Bei Italiens Torhüterlegende Gigi Buffon funktioniert der Körper ja auch mit 40 noch.
Den muss ich mal nach seinem Tagesablauf fragen. Du musst gut trainieren, dich wohlfühlen, du musst dich pflegen, gut schlafen, gut essen.
Das heißt, es gibt keine Gedanken an die Zeit danach?
Nein.
Sascha Klaverkamp, Jahrgang 1975, lebt im und liebt das Münsterland. Der Familienvater beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit der Sportberichterstattung. Einer seiner journalistischen Schwerpunkte ist Borussia Dortmund.

Schon als Kind wollte ich Sportreporter werden. Aus den Stadien dieser Welt zu berichten, ist ein Traumberuf. Und manchmal auch ein echt harter Job. Seit 2007 arbeite ich bei den Ruhr Nachrichten, seit 2012 berichte ich vor allem über den BVB. Studiert habe ich Sportwissenschaft. Mein größter sportlicher Erfolg: Ironman. Meine größte Schwäche: Chips.
