Johannes Laurenz aus Werne hat sich am Dienstag (3. August) wieder auf den Weg nach Dernau gemacht, um den Unwetter-Betroffenen zu helfen. Im Interview spricht er von seinem Einsatz, der ihn nachhaltig beschäftigen wird.

© Andrea Wellerdiek

„Man fährt mit Herzschmerz wieder weg“: Johannes Laurenz zum Einsatz in der Unwetter-Region

rnMit Video: Hilfsaktion an der Ahr

Johannes Laurenz (36) aus Werne ist wieder in die Unwetter-Krisenregion an der Ahr gefahren. Im Interview spricht der Landwirt über Behördenversagen, Dankbarkeit und städtische Hilfe aus Drensteinfurt, statt aus Werne.

von Andrea Wellerdiek

Werne, Stockum

, 04.08.2021, 10:00 Uhr

Die Flutkatastrophe in der Ahr-Region ist nun drei Wochen her. Die Aufräumarbeiten sind längst noch nicht abgeschlossen. Sie fahren nun zum dritten Mal in den vom Unwetter stark betroffenen Ort Dernau. Was treibt Sie an?

Wir haben mal überlegt, wie sich die Situation beschreiben lässt. Es ist das gleiche Gefühl wie Liebeskummer. Wenn man wegfährt, fährt man mit Herzschmerz. Man will den Menschen einfach weiter helfen. Natürlich muss man erst einmal seinen Akku wieder aufladen und zwischendurch nach Hause. Aber der Akku ist ganz schnell wieder leer, wenn man wieder vor Ort ist.

Der Einsatz in der Krisenregion ist nicht nur körperlich belastend. Wie können Sie das Ganze psychisch verarbeiten?

Anfangs war die psychische Belastung noch höher. Durch Gespräche vor Ort, auch mit Notfallseelsorgern, lernt man, die Traurigkeit in Stolz umzuwandeln. Und man hält sich an Glücksgefühlen fest, wenn man zum Beispiel sieht, welche Hilfe man leisten kann. Was uns aber furchtbar belastet, sind das politische Versagen und die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien, die nicht die Landwirte, sondern vor allem die Hilfskräfte von THW, Feuerwehr und Polizei in den Vordergrund stellen.



Was kritisieren Sie konkret?

Die Behörden können es nicht ertragen, dass wir Pragmatiker ihre Arbeit übernehmen. Wir haben Leichen und Schlamm aus den Kellern gezogen. Pragmatismus fehlt im Krisenstab. Das ‚Einfach-Machen‘ und ‚Anpacken‘ hat gefehlt. Die dreckigen Kräfte der Feuerwehr, der Polizei oder des THW haben das gemacht und sich den Befehlen widersetzt. Wer die Landwirte und Handwerker in die Krisenregion geholt hat, ist Markus Wipperfürth. Er ist Agrarblogger und beschwert sich zu Recht über einseitige Presse.
Die Öffentlich-Rechtlichen zeigen vor allem die Hilfskräfte von THW, Feuerwehr und Polizei. Sie zeigen aber nicht, wie die Behörden versagen. Sie wollen bloß kein Staatsversagen aufdecken. Das ist Wahnsinn! Ich kann nur immer wieder eine Anekdote erzählen: Da stehen 150 THW-Kräfte mit einem Kaffee und ich habe gefragt, ob sie uns Magnetbalken besorgen können, mit denen man Nägel auf den Straßen aufsuchen kann. Da hat man mich ausgelacht und gefragt, ob ich ‚Schöner Wohnen‘ betreiben möchte. Es sind Reifen in Millionen-Höhe kaputt gegangen. Wir hatten allein an vier Fahrzeugen 26 Platten.

Johannes Laurenz, hier mit Tochter Luisa, ist am Dienstagmorgen mit den freiwilligen Helfern Lothar Elsner aus Selm (r.) und Heinrich Lamkowsky aus Herbern wieder nach Dernau gefahren.

Johannes Laurenz, hier mit Tochter Luisa, ist am Dienstagmorgen mit den freiwilligen Helfern Lothar Elsner aus Selm (r.) und Heinrich Lamkowsky aus Herbern wieder nach Dernau gefahren. © Andrea Wellerdiek

Auch von der Stadt Werne haben Sie sich mehr Hilfe gewünscht. Der Bauhof hätte beispielsweise Geräte ausleihen können. Auf Ihre Anfrage gab es aus dem Bürgermeisterbüro die Bitte, dass Sie Ihre Anfrage per E-Mail stellen sollen. Hat Bürgermeister Lothar Christ sich mittlerweile bei Ihnen gemeldet?

Nein. Es gab von der Stadtverwaltung überhaupt keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung. Aber das will ich auch nicht mehr. Ich habe mir mein eigenes Bild gemacht. Und das Bild hat sich mal wieder bestätigt. Mich wundert es nicht, dass einige Dinge so lange dauern. Ich habe das Verhalten der Behörden in Dernau gesehen.
Ich habe insgesamt jetzt viel Verständnis dafür, wieso die Abwicklung von Baumaßnahmen so lange dauert. Das macht mir Angst für die Zukunft. Von der Stadt Werne ist das ein trauriges Verhalten. Da konnte man nicht nachträglich über seinen Schatten springen. Anstatt dass man mal von sich aus auf uns zukommt, passiert gar nichts. Stattdessen hat aber die Stadt Drensteinfurt uns jetzt mit Kärchern und zwei Notstromaggregaten, die wir uns ausleihen können, unterstützt.

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Nach drei Tagen zu Hause in Werne fahren Sie nun wieder nach Dernau. Welche Aufgaben übernehmen Sie persönlich?

Ich möchte mich jetzt nicht in den Vordergrund drängen. Aber es ist so, dass dort pragmatische Köpfe fehlen. Es gibt viele freiwillige Helfer. Wir nennen sie ‚Schippenzivilisten‘. Viele wissen aber gar nicht so genau, wo sie anfangen sollen. Wir koordinieren das Ganze, indem wir den Leuten sagen, wo sie am besten helfen können. Ich wechsle mich vor Ort mit Florian Storck ab, der eine unglaubliche Arbeit leistet. Er wurde zum Glück von seinem Arbeitgeber Venneker freigestellt. Daran sollten sich andere Arbeitgeber ein Beispiel nehmen. Wenn Florian nicht da ist, bin ich vor Ort.

Welche Aufgaben stehen für die freiwilligen Helfer nun im Mittelpunkt?

Es geht vor allem darum, die Wohnungen der Menschen zu entkernen. Wir schlagen mit Stemmhammern die Fliesen von den Wänden, damit die Menschen dort endlich anfangen können, ihre Wohnungen zu renovieren. Wir geben ihnen eine Perspektive. Außerdem sorgen wir dafür, dass für die Kärcher-Arbeiten genügend Wasser vorhanden ist. Zwar hilft uns die Bundespolizei mit Wasserwerfern und die Feuerwehr auch. Doch das reicht nicht.
So hat uns zum Glück ein Bauer seinen Frontladertrecker für drei Wochen geliehen, damit wir Wasser zusammentragen können. Zuvor haben wir überhaupt dafür gesorgt, dass die Straßen wieder befahrbar sind. Und es werden dringend Handwerker gebraucht, die da unten einige Projekte begleiten, mal zwei Wohnungen fliesen. Es ist wichtiger bei den Menschen zu helfen, die alles verloren haben, als hier bei uns Wohnzimmer zu renovieren.

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Wo sind Sie während der Zeit untergebracht?

Wir haben bei einem Winzer übernachtet, der uns sein Privathaus zur Verfügung gestellt hat. Er hat sich selbst bei Nachbarn einquartiert. Ich habe dann in seinem Ehebett geschlafen. Die Helfer haben auf dem Boden geschlafen. Wir mussten 14 Tage lang kämpfen beim DRK und der Bundeswehr, dass wir ein Feldbettenlager aufbauen können. Manche Helfer haben aber auch auf ihren Maschinen geschlafen. Wir haben uns damit abgewechselt. In einer Werkstatt hatten wir Maschinen im Wert von 150.000 Euro stehen. Die Polizei hat es nicht hingekriegt, mal nachts die Werkstatt zu überwachen. Tagsüber hingegen sind hunderte Polizisten im Einsatz.

Die Stadt Drensteinfurt hat unter anderem Kärcher zur Verfügung gestellt.

Die Stadt Drensteinfurt hat unter anderem Kärcher zur Verfügung gestellt. © Andrea Wellerdiek

Was hat Sie vor Ort besonders beeindruckt?

Der Zusammenhalt zwischen den Helfern. Es gab nie Streit oder Ärger. Innerhalb von Stunden wird man zu Freunden. Florian Storck, den ich seit drei Wochen kenne, ist einer meiner besten Freunde geworden. Wir machen das alles für die Menschen vor Ort und für diese Dankbarkeit, die sie uns zurückgeben. Wir sagen ihnen auch, dass wir wiederkommen - solange wir Manpower und Geld haben und solange es nötig ist.

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