
© Arndt Brede
Dr. Bolle über Kinderimpfung: „Impfung ist die Eintrittskarte ins normale Leben“
Impfungen
Die erste Kinderimpfung im Bürgerhaus Selm hatte mit 123 gebuchten Terminen eine gute Resonanz. Wie wichtig sind Kinderimpfungen? Dazu hat der Leitende Impfarzt Dr. Detlev Bolle eine klare Meinung.
Ein kleiner Pieks - und schon hatten es die jungen Impfwilligen am Samstag, 8. Januar, geschafft. 123 von ihnen nahmen an der ersten Impfaktion für Fünf- bis Elfjährige im Bürgerhaus Selm teil. Der Leiter der Aktion war Dr. Detlev Bolle (67), bis vor sechs Jahren niedergelassener Kinderarzt in Bergkamen. „Ich bin seit Februar aus der Rente reaktiviert“, erzählt er lachend. Er ist also ein Mann mit großer Erfahrung. Eine gute Gelegenheit, den Mediziner mal zu der aktuellen Lage in der Coronapandemie zu befragen.
Dr. Detlev Bolle über...
... die Bedeutung von Impfungen für Kinder in der Corona-Gesamtlage: „Das Problem ist, dass mindestens ab zwölf Jahren die Impfungen überwiegend erst mal zum Selbstschutz sind. Deswegen hat sich die Ständige Impfkommission sehr schwer getan, die Fünf- bis Elfjährigen zu nehmen, weil die Kinder in dieser Altersklasse gar nicht mal so sehr schwer erkranken. Aber auch da gibt es leider Todesfälle. Aber in der Menge ist es deutlich weniger. Von daher würde ich schätzen, dass es 50 Prozent Eigenschutz ist und der Rest hilft mit, die Pandemie einzudämmen. Zum Beispiel wenn sie Kontakt zu ihren Großeltern haben, die wieder geschwächt würden. Sie möchten auch wieder in ihre soziale Umgebung, ob das Kitas, Schulen, Sportvereine sind, wo sie irrsinnig gelitten haben in den letzten zwei Jahren. Die Impfung ist quasi wieder die Eintrittskarte in das normale Leben.“
... die aktuelle Coronalage: „Wir wissen, dass die Inzidenzen ja gerade bei kleineren Kindern, aber auch bei den Zwölf- bis 17-Jährigen teilweise dreifach so hoch sind wie bei den Ü-50-Jährigen. Aber diese Kinder landen in der Regel nicht im Krankenhaus. Und es geht ja darum, ob wir unser Gesundheitssystem belasten. Nach den neuen Quarantänebedingungen hat man ja quasi letztendlich auf die Inzidenz gar nicht mehr so ein Auge, sondern die Hospitalisierungsrate (Die 7-Tage-Hospitalisierungsinzidenz ist laut Landeszentrum Gesundheit für ganz NRW die Anzahl der Fälle pro 100.000 Einwohner mit Meldedatum in den letzten 7 Tagen, für die eine Krankenhausbehandlung angegeben ist; Anm. d. Red.). Diese Fälle sind es, die uns nachher an die Grenze des Machbaren bringen.“
... die Resonanz auf das Angebot der Kinderimpfungen im Bürgerhaus Selm: „Wir sind ein klein wenig gefrustet. Bei den Zwölf- bis 17-Jährigen ist es irrsinnig losgegangen. Bei den Fünf- bis Elfjährigen hatten wir bis Silvester hohe Frequenzen. Danach ist es ein bisschen abgebrochen. Wir hoffen, dass es wieder höher geht. Woran das liegt, wissen wir nicht. Das ist das Schwierige. Anfangs dachten wir, wir haben nicht genug Impfstoff. Aber es hat sich gezeigt, dass wir doch mit dem Impfstoff ganz gut hinkommen. Aber wir würden gern das Doppelte impfen.“
... diejenigen, die sich impfen lassen: „Die, die kommen, machen alles richtig. Was Nachwirkungen betrifft, nehmen Kinder das alles einfacher als die 30- und 40-Jährigen. Das sind die, die wohl die meisten Nebenwirkungen haben.“
... Vorbereitungen auf einen Impftermin für Kinder: „Die meisten sind gut vorbereitet. Es wird ja keiner hingezerrt. Die, die kommen, kommen natürlich freiwillig. Die Courage bei den Kleinen im Angesicht der Spritze lässt ein klein wenig nach. Aber viele sind einfach glücklich, dass sie merken, dass es demnächst auch für sie wieder ein normaleres Leben gibt.“

Für den Fall der Fälle stand ein Stoffhase als Trostspender bereit. © Arndt Brede
... Perspektiven: „Wir hoffen, dass wir in zwei, drei Monaten durch das Gröbste durch sind und uns einen etwas erleichterten Sommer erlauben können. Aber was mich auch traurig macht, ist, dass die Politik auch nicht konsequent auf ihrem Weg geht Richtung Impfpflicht. Wenn ich sehe, was dort verzögert wird und noch wieder darüber diskutiert wird, macht das unsere Arbeit um ein Vielfaches schwerer. Ohne dass wir mehr Ungeimpfte zur Impfung bekommen, wird es ein Desaster. Es fehlen bei den Erwachsenen noch 25 Prozent Erstimpflinge.“