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Angst vor neuem Lockdown: „Wir müssen ein Grundrecht auf Sport verankern“
Gesundheitsexperte
Im ersten und zweiten Lockdown musste auch der Sport- und Fitnessbereich in eine Zwangspause gehen. Der Gesundheitsexperte Prof. Dr. Thomas Rieger warnt davor, diese Karte erneut zu ziehen.
Fitnessstudios und Sporthallen waren ab März 2020 und dann erneut ab November 2020 geschlossen. Knapp drei Monate im ersten und sieben Monate im zweiten Lockdown mussten Gerätetraining, Mannschaftssport, Personal Training, Fitnesskurse und Co. aussetzen.
Diese Zwangspause sei fatal gewesen – auch im Hinblick auf die Pandemie-Bekämpfung, sagt Prof. Dr. Thomas Rieger. Er ist Gesundheitsexperte und Professor für Sport-Management an der University of Europe for Applied Sciences (Campus Iserlohn), einer privaten Hochschule, die auch Standorte in Berlin und Hamburg hat.
„Bewegung und Sport sind nicht Teil des Problems, sondern ein wichtiger Teil der Lösung“, erklärt Thomas Rieger. Es sei falsch, Sport als Infektionstreiber zu verteufeln.
Im Gegenteil: Eine Studie von US-Forscher Robert Sallis und Kollegen (veröffentlicht im British Journal of Sports Medicine) beispielsweise zeige, dass die Erfüllung der empfohlenen Bewegungsstandards bei durch Covid-19 infizierten Personen mit einem erheblich geringeren Risiko einer Hospitalisierung und eines schweren Krankheitsverlaufs einhergehe.
Sport als Mittel der Pandemie-Bekämpfung
Sprich: Wer Sport treibt, verringert die Wahrscheinlichkeit einer schweren Corona-Infektion, so die Studie. Deren Autoren empfehlen deshalb die Integration von körperlicher Aktivität in öffentliche Gesundheitsstrategien zur Bekämpfung der Pandemie.
Thomas Rieger geht sogar noch einen Schritt weiter: „Wir müssen ein Grundrecht auf Sport verankern“, fordert er. Fitnessstudios und Sporthallen dürften mitsamt ihres Angebotes zwar in der ersten und zweiten Stufe der neuen Corona-Schutzverordnung, die sich nach dem Hospitalisierungsindex (Zahl der Corona-Patienten im Krankenhaus pro 100.000 Einwohner; bezogen auf die Einweisungen in den letzten sieben Tagen) richtet, geöffnet bleiben.

Prof. Dr. Thomas Rieger ist Gesundheitsexperte und Professor für Sport-Management an der University of Europe in Iserlohn. © University of Europe Iserlohn
Doch der Gesundheitsexperte sorgt sich um Stufe 3. Ab einem Hospitalisierungsindex von 9 reichen 2G (Stufe 1) und 2G Plus (Stufe 2) nicht mehr aus. Die Bundesländer dürfen dann von weitreichenderen Beschränkungen Gebrauch machen.
„Ich hoffe, dass der Sport dann verschont bleibt und nicht in einen weiteren Lockdown gezogen wird“, sagt Thomas Rieger. Doch warum ist die körperliche Aktivität im Hinblick auf die Pandemie überhaupt so wichtig?
„Im Lockdown sind wir schwerer geworden“
Der menschliche Körper sei auf Aktivität ausgelegt und habe somit ein natürliches Bewegungsbedürfnis, erklärt Thomas Rieger. „Wenn man diesem Bedürfnis nicht nachgehen kann, können Übergewicht, Bluthochdruck und andere kardiovaskuläre Erkrankungen die Folge sein.“
Es handele sich dabei um sogenannte Zivilisationskrankheiten, die durch Stress, zu viel Essen und zu wenig Bewegung entstehen. Die Lockdowns haben zu einem erzwungenen Bewegungsmangel geführt, teils auch zu schlechterer Ernährung, und so derartige Erkrankungen begünstigt und Risikofaktoren geschaffen.

Dass viele Deutsche übergewichtig sind, ist kein Geheimnis. Thomas Rieger sagt: „Im Lockdown sind wir schwerer geworden.“ © picture alliance/dpa
„Covid-19 ist eine Atemwegserkrankung und es ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen, dass aktive Personen, die weniger Risikofaktoren mitbringen, besser vor einem schweren Krankheitsverlauf und einem Krankenhausaufenthalt geschützt sind“, sagt Thomas Rieger. „Im Lockdown sind wir schwerer geworden – das ist gefährlich im Hinblick auf Corona.“
Ähnlich wie US-Forscher Robert Sallis fordert der Gesundheitsexperte deshalb eine Bewegungs- und Gesundheitsoffensive von Politik, Krankenkassen und Arbeitgebern. „Aktuell haben wir eher ein Krankheits- als ein Gesundheitssystem.“ Nur zu kurieren sei jedoch wenig sinnvoll. Präventive Maßnahmen wie Sport und gesunde Ernährung sollten besser unterstützt und auch belohnt werden, so Thomas Rieger.
Die Motivation ist im Keller
Es sei wichtig, Anreize für gesundes Verhalten zu schaffen, das beispielsweise die Wahrscheinlichkeit schwerer Corona-Krankheitsverläufe minimiere. Den Sport- und Fitnessbereich erneut in einen Lockdown zu schicken wäre deshalb fatal, so der Gesundheitsexperte.
„Die letzten Lockdowns haben ja auch psychologische Folgen“, erklärt er. Die Motivation der Menschen, eine sportliche Aktivität in ihren Alltag zu integrieren, sei gesunken.
In Zahlen heißt das beispielsweise Folgendes: Die Sportvereine in Deutschland haben laut DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund) im Jahr 2020 fast drei Prozent der insgesamt 27 Millionen Mitglieder verloren. Das bedeutet einen Verlust von 800.000 Mitgliedern – mehr Menschen, als die Stadt Frankfurt am Main Einwohner hat.
Digitale Angebote von Vereinen und Fitnessstudios hätten derartige Entwicklungen zwar etwas auffangen, aber nicht verhindern können. „Diese Sparte ist zwar zukunftsträchtig, ersetzt aber nicht die ebenfalls wichtige soziale Komponente von stationären Sportangeboten“, sagt Thomas Rieger.
3G, 2G oder 2G Plus – was ist der richtige Weg?
Aktuell sind Sport- und Fitnessangebote in NRW unter Einhaltung der 2G-Regel möglich. Und auch in der nächsten Stufe wären sie mit 2G Plus noch erlaubt. Der richtige Weg? „Allgemein halte ich Outdoor-Angebote für die sicherere Variante“, erklärt Thomas Rieger. „Ich habe aber die Hoffnung, dass Indoor-Sport mit 2G auch ein guter Weg ist.“
Der Gesundheitsexperte hält es für richtig, dass sich die Politik offener für die Einführung einer Impfpflicht zeigt. „Eine Impfung gegen Covid-19 in Verbindung mit körperlicher Aktivität ist meiner Ansicht nach die beste Versicherung für die Gesundheit“, sagt Thomas Rieger.
Redakteurin, davor Studium der angewandten Sprachwissenschaften in Dortmund und Bochum. Sportbegeistert und vor allem tänzerisch unterwegs.
