"Wenn der Kühlschrank voll ist, haben die auch Kohle"
Interview mit einem Einbrecher
Ein Mann, der andere Menschen hinterhältig beklaut. Ein Mann, der sich selbst bereichert, in dem er anderen Leid zufügt. Bei vielen Einbruchsopfern hinterlassen diese Taten nicht nur materielle, sondern oft auch psychische Schäden – aus Angst können und wollen viele nicht in ihre alten Wohnungen zurück. Aber gerade deswegen wollten wir mit ihm sprechen. Wir wollen wissen, warum Dario (Name geändert) so etwas tut.

Ein Mann demonstriert, wie einfach es für einen Einbrecher ist, mit Hilfe eines stabilen Schraubenziehers ein geschlossenes Fenster von außen zu öffnen.
Wir treffen ihn zwischen Plattenbauten irgendwo in Köln. Warum sich ein aktiver Einbrecher überhaupt auf ein solches Interview einlässt? Er kennt den Autor Patrick Phul (Rheinische Post) aus der Jugend. Beide sind im gleichen Stadtteil groß geworden. Dario* vertraut ihm. Seinen echten Namen werden wir hier nicht veröffentlichen. Bei unserem Treffen trägt er ein modisches Hemd, eine gute Hose und feine Schuhe. Er hat ein gepflegtes Äußeres und riecht gut. So sieht ein Mann aus, der gerade sechs Monate im Knast abgesessen hat und auf Bewährung raus ist.
Dario, wir sind überrascht. Einen Serieneinbrecher hatten wir uns anders vorgestellt. Wenn du eine schöne Wohnung hast und dich gut kleidest, reden die Leute nicht schlecht über dich. Selbst die älteren Leute auf der Straße grüßen dich. Wenn die sehen, dass du schmutzig bist und mit einem Bart rumläufst, da kriegen die Leute Angst vor dir. Ich will nicht, dass Leute sagen: Guck mal, der lebt ja wie ein Zigeuner.
Ist das der Grund, warum Sie zum Einbrecher geworden sind? Irgendwie schon. Man hat Probleme, kein Geld und gewisse Freunde, die irgendwas mit Einbrüchen zu tun haben. Man lernt ja viele Leute kennen. Man schaut sich das ein, zwei Mal an. Man denkt sich: Ah, das Geld kommt. Und dann habe ich das so gelernt.
Sie waren bei Ihrem ersten Einbruch 14 Jahre alt. Wie kam es überhaupt dazu? Es war Winter, ich hatte kein Geld und war mit einem Mädchen verabredet. Ich bin damals häufig an einem schönen Haus vorbeigegangen und habe gesehen, dass die Leute nicht zu Hause sind. Jedes Mal. Und ich habe immer von den Älteren gehört, wie man das macht, war aber nie dabei. Ich habe also einen Freund mitgenommen und mich dann selber gewundert, wie ich das aufgekriegt habe. Ich war 14 und hatte nach dem ersten Mal meine 2000 Euro. Ich habe mich gefühlt, als würde die Welt mir gehören.
Aber wie kommt ein 14-Jähriger überhaupt in eine fremde Wohnung? Man hebelt einfach. Man tut den Schraubenzieher runter. Man hebelt, hebelt, hebelt – und irgendwann ist die Tür auf.
Haben Sie das vorher trainiert? Nein, man trainiert nicht. Man lernt das einfach. Ich weiß nicht, wie ich das gelernt habe, aber ich hatte einfach nur einen Schraubenzieher in der Hand. Man macht überall Löcher rein und man wird immer besser und besser. Natürlich ist die Angst da. Nicht, dass irgendein Hund da ist oder man zum ersten Mal in die Zelle kommt. Man guckt, ob jemand zu Hause ist. Und wenn keiner da ist, dann macht man das eben.
Brechen Sie alleine ein? Mit zwei Leuten ist es besser. Einer muss immer auf dich aufpassen, Schmiere stehen. Es könnten ja Nachbarn da sein, die gucken – und dann bist du am Arsch. Die rufen die Polizei, obwohl du nichts bemerkst. Aber die meisten Menschen schreien einfach: „Hey, was machst du da?!“ Und man haut dann natürlich ab.
Ist das schon häufig passiert? Klar habe ich häufig erlebt, dass Leute einfach geschrien haben. Klüger wäre es gewesen, sich zu verstecken und dann die Polizei zu rufen.
Für Sie wäre es dann doof gelaufen. Ach, ich habe so viele Geschichten. Da war tatsächlich jemand leise, hat die Polizei angerufen und die haben dann das ganze Haus auf den Kopf gestellt. Da waren 20, 30 Streifenwagen. Ich bin entkommen. Ich weiß nicht wie, aber ich bin vom dritten Stock dieses Hochhauses gesprungen und bin abgehauen. Leider habe ich nichts mitgenommen. Die Tasche ist runtergefallen.
Wie viel Zeit planen Sie pro Einbruch ein? Man plant nichts. Die Leute reden nur, dass man etwas plant, aber man plant gar nichts. Man plant natürlich, wie man reinkommt, wie man aufpassen soll. Aber man plant nicht, wie lange man drin bleibt. Einige bleiben grundsätzlich so lange, bis jemand kommt, und laufen erst dann weg.
Wo Einbrecher als erstes nach Beute suchen
Was machen Sie, wenn Sie drin sind? Du bist drin, du musst die Eingangstür versperren, damit die Leute nicht direkt reinkommen. Wenn Du vorsichtig bist, dann dauert das viel länger. Man muss auf jeden Fall Chaos machen. Du musst schnell sein und gut suchen. Als erstes natürlich im Schlafzimmer.
Warum im Schlafzimmer? Ich weiß nicht warum, aber im Schlafzimmer ist immer etwas. Die Leute verstecken ihr Geld oder andere Wertsachen immer da. Manchmal tun sie die auch in die Küche, aber meistens findet man alles im Schlafzimmer. Ab und zu auch mal im Wohnzimmer.
Das ist ja schon sehr konkret. Woher wissen Sie überhaupt, wo Sie suchen sollen? Die ganzen Journalisten-Leute bringen uns bei, wo wir suchen sollen. Im Fernsehen sagen die den Leuten ja, wo sie die Sachen am besten verstecken sollen. Letztens haben sie gesagt: Versteckt alles in der Küche! Und ich als Einbrecher freue mich natürlich.
Sie lernen also aus dem Fernsehen? Natürlich. Wenn sie im Fernsehen erzählen, dass man das Geld unter der Waschmaschine verstecken soll, dann machen die meisten das auch. Die Leute hören darauf, was der Fernseher sagt.
Apropos Fernseher: Klauen Sie die auch? Man sucht auf jeden Fall nach Gold, Geld und Schmuck. Es sind nicht viele Leute, die Fernseher oder Laptops nehmen. Das ist kritisch. Wenn man Laptops nimmt, hat man die Bullen in der Tasche – die können einen ja orten. Deswegen sucht man nach Bargeld und Schmuck.
Dario sagt: Selbst Einbrecher haben Regeln
Ihre Erzählungen machen Angst. Kann man sich irgendwie vor Ihnen schützen? Auf jeden Fall die Rollläden runter. Nicht viele versuchen es bei runtergelassenen Rollläden. Wir haben Regeln.
Sie brechen das Gesetz, aber haben Regeln? Klingt seltsam. In jeder Gruppe gibt es Regeln. Zum Beispiel: Nicht bei jungen Leuten einbrechen – da findest du gar nichts. Und nicht da reingehen, wo die Rollläden unten sind. Vielleicht machst du ein Geräusch und die Leute sind zu Hause, du weißt das ja nicht. Und man bricht nicht bei Leuten ein, die man kennt – außer es ist wirklich ein Arschloch. Man guckt auf jeden Fall immer vorher: Sind das schöne Vorhänge? Ist das ein schöner Garten? Man geht nicht einfach irgendwo rein, man sucht nach dem gewissen Etwas.
Wir haben wohl ein unterschiedliches Verständnis von Regeln. Wo würden Sie selbst denn Ihr Geld verstecken? (lacht) Wenn wir Ausländer etwas verstecken, dann findest du das niemals. Man versteckt sein Geld tatsächlich im offenen Mehl. Du packst das da rein und gräbst es wieder zu. Wenn es einen Grund gibt, Sachen zu verstecken, dann sind Lebensmittel der sicherste Ort. Ganz ehrlich: Wer würde schon im Kühlschrank suchen?
Sie nicht? Nein. Aber ich gucke direkt nach dem Einbruch oft kurz rein. Wenn im Kühlschrank keine Lebensmittel sind, dann findet man in der Regel auch kein Geld in der Wohnung. Wenn der Kühlschrank voll ist, haben die Menschen auch Kohle.
Sie machen das jetzt schon seit fast zehn Jahren. Was war Ihr erfolgreichster Einbruch? Wir waren zu zweit und haben 20.000 Euro gefunden. In bar. Plus Gold und Schmuck. Das war ein richtig guter Jackpot.
Auf wie viel kommen Sie so im Monat? Man rechnet nicht nach, was man im Monat verdient. Leicht verdientes Geld geht auch leicht weg.
Was haben Sie mit dem Geld gemacht? Man ist Feiern gegangen. Als ich 16, 17 war, habe ich bis zu 3000 Euro in einer Nacht ausgegeben. Koks, Flaschen, dies und das. Man hat sich einen Tisch im VIP-Bereich bestellt. So ging das jedes Wochenende. Wir sind einbrechen gegangen und von da direkt in die Disko. Ich habe auf jeden Fall vieles hinter mir.
Das schlechte Gewissen hält sich in Grenzen
Wie oft sind Sie in diesem Jahr schon eingebrochen? Weiß ich nicht. Das ist zu viel, ich zähle die Scheiße nicht. In einer Nacht sind wir vielleicht so in zwei, drei Häuser eingebrochen. Wenn ich das wirklich zählen würde, dann würde ich sagen: Guck mal, was für eine Scheiße ich gemacht habe. Manchmal lohnt sich das, manchmal nicht. Was willst du machen?
Sie zählen also nicht nach, weil Sie dann ein schlechtes Gewissen hätten? Nein, ein schlechtes Gewissen habe ich nicht. Bis jetzt nicht. Ich sehe ja, was die Leute für Autos fahren. Und ich überlege mir: Wie bekomme ich meine Zigaretten am Tag? Ist doch nicht schlimm, wenn die 5000 oder 10 000 Euro nicht mehr da haben. Die haben doch genug Geld auf ihrem Konto – ich nicht.
Aber die haben sich ihr Geld in der Regel ehrlich verdient. Ach was! Die meisten Leute haben doch alles nur geerbt. Du kannst mir nicht sagen, die ganzen Leute haben hier gearbeitet und geschuftet für das ganze Geld. Die meisten Leute haben geerbt. Und wir armen Leute brauchen doch auch etwas.
Aber doch nicht, indem Sie anderen Menschen ihr Hab und Gut stehlen! Denken Sie nie an Ihre Opfer? Viele Leute sind traumatisiert, wenn bei ihnen eingebrochen wird, können nicht wieder in ihre Wohnung zurück. Vom materiellen Schaden ganz abgesehen. Ja, aber das ist mir wirklich egal. Das ist, glaube ich, jedem egal. Man denkt nicht darüber nach. Wenn man jetzt wirklich nachdenken würde, dann würde man wirklich nur zu Hause bleiben und denken: Ach scheiß drauf, jetzt gehe ich mal arbeiten.
Falsche Freunde, falsche Gedanken
Gute Idee! Warum machen Sie das nicht einfach? Schule, Ausbildung habe ich nicht gemacht. Ich habe wirklich versucht, etwas zu machen, aber wenn du mit falschen Freunden abhängst, kommen auch falsche Gedanken in den Kopf. Man macht das entweder wegen der Drogen oder um die Familie zu ernähren. Ich warte zum Beispiel einen Monat auf dieses Hartz IV-Geld – ja, wie soll ich denn davon leben? Die machen auch noch Probleme und dann kannst du nicht warten. Spätestens wenn dir deine schwangere Frau sagt, dass sie irgendwas braucht, musst du was machen. Für mich ist das einfach nur Familiensache.
Aber der Staat unterstützt Sie doch. Hartz IV ist scheiße. Wenn Du arbeiten gehst, ist es auch scheiße. Was bekommst du denn ohne vernünftige Ausbildung? 8,50 Euro. Geh mal davon deine Wohnung bezahlen. Bezahlst für deine Wohnung 500 Euro, was bleibt da noch übrig? Da bleibt nichts übrig. Du kannst doch nicht mit ansehen, wenn deine Tochter oder dein Sohn keine Milch hat. Dann sage ich mir: Ich gehe das einfach machen. Dann hast du am Tag deine 500 oder 1000 Euro.
Was ist denn, wenn Ihre Kinder irgendwann fragen, wie Sie Ihr Geld verdienen? Ich weiß, worauf Du hinaus willst. Ich will natürlich nicht, dass mein Sohn oder meine Tochter auch so was machen. Aber das muss jeder selber wissen. Ich werde die natürlich zur Schule schicken. Aber wenn sein Lebensstil wirklich so aussehen soll, dann muss er das wissen. Der Sohn! Bei einer Tochter ist das was anderes. Bei uns ist das was anderes.
Warum? Das ist was anderes. Bei den meisten Leuten ist es so, dass die Frauen auch klauen gehen, aber bei uns nicht. Wir sind sehr verschieden. Andere Nationalität, andere Kultur.
Welche Rolle spielt denn die Nationalität? Ich kann doch nicht meine Frau klauen gehen lassen. Stell dir vor, die Frau geht ins Gefängnis, und ich bleibe mit den zwei, drei Kindern zu Hause. Was habe ich davon? Dann muss ich auf die Kinder aufpassen. Dann muss ich alles machen. Und dann fragen mich die Kinder: Wo ist Mama, wo ist Mama? Das geht doch nicht.
"Deutschland ist mein Land"
Fühlen Sie sich eigentlich als Teil von Deutschland? Natürlich. Ich bin seit 20 Jahren in Deutschland. Das ist scheiße, wenn ich sehe, dass die Flüchtlinge hierher kommen und mehr Geld bekommen als ich. Die bekommen sofort einen Schlafplatz. Ich bin zum Beispiel bei meiner Tante angemeldet, weil es schwer ist, eine Wohnung zu finden. Wenn sie mich abschieben, würde ich Heimweh bekommen.
Und obwohl Sie sich in Ihrer Wahlheimat wohlfühlen, brechen Sie regelmäßig das Gesetz. Was würden Sie denn dazu sagen, wenn jemand bei Ihnen einbricht? Das wäre scheiße. Ich wurde schon mal beklaut und da habe ich wirklich nachgedacht, wie es für die Leute ist, wenn die beklaut werden. Da hatte ich zum ersten Mal so ein komisches Gefühl. Aber die Polizei gerufen habe ich nicht. Es ist ein Scheißgefühl, aber was willst du machen? Wenn es keine Diebe gäbe, dann hätte die Polizei auch nichts zu tun – oder?
Sie machen es sich zu leicht. Es wäre doch wünschenswert, wenn niemand mehr einbrechen würde. Das wäre in Ordnung. Dieses Land wäre dann aber nicht das, was es ist. Dann bräuchten wir ja auch die Polizei nicht, wenn keiner kriminell wäre. Die Leute brauchen ja auch Arbeit. Ich habe es richtig gemerkt, dass die Bullen sich freuen, wenn die einen Einbrecher kriegen. Die freuen sich!
Was wäre eigentlich ihr Traumberuf? So was habe ich nicht, hatte ich noch nie. Man stellt ja immer Fragen: Was willst du mal werden? Ich wusste nie, was ich werden will. Und dann, als ich mit den kriminellen Sachen angefangen habe, hat mir das gefallen. Ich hatte jeden Tag Geld.
Wir haben jetzt Oktober, abends wird es wieder früher dunkel. Die Saison geht los! Ich weiß aber nicht, ob ich richtig mit dabei sein kann, weil ich Bewährung habe. Wenn ich jetzt bei irgendeiner Kleinigkeit erwischt werde, dann lande ich für acht Monate im Gefängnis. Deswegen ist das ein bisschen kritisch. Aber man vermisst das. Man vermisst dieses Feeling.
Gibt es irgendwas, was Sie vom Einbrechen abhalten würde? Bessere Bezahlung. Ein Jobangebot, bei dem ich wirklich sagen kann: Davon kann ich meine Frau und mein Kind ernähren. Ein normaler Job würde reichen, wenn ich 2000 Euro monatlich verdienen würde. Das wäre Luxus. Ich will nicht irgendwann mal im Knast landen, dass mein Sohn oder meine Tochter ohne mich aufwächst.