Kirchen-Krise: „Dann können die vielleicht nicht mehr zurückweichen“
Live-Talk
In einer spannenden Diskussion haben sich Fachleute ausgetauscht, die die katholische Kirche neu gestalten wollen. Eine Botschaft könnte sein: Veränderung ist möglich. Es kommt auf die Menschen an.

Moderator Ulrich Breulmann diskutierte über die Krise der Kirche mit Dr. Ida Raming (oben, l.), Michaela Labudda (r.), Andrea Voß-Frick (unten, l.) und Christoph Potowski. © Schaper
Ist die Kirche noch zu retten? Unter dieser Überschrift diskutierten am Montagabend vier durchaus unterschiedliche Kirchenexpertinnen und -experten in unserem Live-Talk. Eine kämpft seit Jahrzehnten einen bisher erfolglosen Kampf, eine ist sogar schon aus der Kirche ausgetreten. Aber ohne Hoffnung war an diesem Abend niemand: Veränderung scheint möglich, wenn die Menschen sich dafür einsetzen.
Die katholische Kirche steckt in der Krise. Der Missbrauchsskandal erschüttert die Menschen, und der Ruf nach Reformen ist lauter denn je. Aber sind diese überhaupt vorstellbar? Dr. Ida Raming gehörte zu den Gesprächspartnern von Moderator Ulrich Breulmann und hat Diskriminierung durch die Kirche am eigenen Leib erlebt: Die Theologin war vor 20 Jahren zur Priesterin geweiht und daraufhin vom Vatikan exkommuniziert worden.
Die heute 89-Jährige glaubt aber trotz der bisher schlechten Erfahrungen daran, dass eine Veränderung möglich ist, denn nicht nur in Deutschland gebe es eine Reformbewegung. „Wenn von immer mehr Ländern kommt, dass es unbedingt Reformen geben muss, dann können die vielleicht nicht mehr zurückweichen.“
Glaube an Veränderung
Vom Synodalen Weg wurden kürzlich in Frankfurt die Lockerung des Zölibats und die Priesterweihe für Frauen als Forderungen verabschiedet. Die Unnaer Gemeindereferentin Michaela Labudda ist Mitglied der Synodalversammlung und berichtete: „Man merkt, die starke Stimme der vermeintlich Konservativen ist gar nicht so stark. Es ist tatsächlich eine Minderheit.“ Es gebe ein neues „Wirgefühl“, auf dem nun aufgebaut werden könne.

Ulrich Breulmann moderierte die Sendung aus unserem Live-Studio. Die anderen Teilnehmer wurden per Internet zugeschaltet. © Schaper
Andrea Voß-Frick, Mitbegründerin der Initiative „Maria 2.0“, die inzwischen aus der Kirche ausgetreten ist, kritisiert, es werde immer versucht, am System zu arbeiten, „anstatt Gott und unseren Glauben in den Vordergrund zu stellen“.
Es sei in der Diskussion mitunter die Hoffnung zu spüren, dass es eine Rückkehr zur alten Volkskirche geben könne. „Ich glaube, das wird nicht funktionieren“, so Christoph Potowski, Pfarrer in Kirchhellen. „Wir werden Menschen auf unterschiedliche Art und Weise ansprechen müssen, ihre spirituellen und religiösen Fragen ernst nehmen müssen. Dafür müssen wir Räume schaffen.“
Eine ganz andere Kirche? Der junge Geistliche erklärte auf Anfrage von Moderator Breulmann, er könne sich durchaus vorstellen, als Priester von dem zu leben, was ihm seine Gemeinde spendet. „In den meisten anderen Ländern der Welt, wo es das Kirchensteuersystem nicht gibt, läuft das so. Man kann trotzdem ein guter Priester sein.“
Wichtiges Stichwort: Selbstermächtigung
Was müsste geschehen, um die Kirche wieder auf den richtigen Weg zurückzuführen? „Die Menschen müssen sich selbst ermächtigen“, sagt Gemeindereferentin Michaela Labudda. Alle seien aufgerufen, die Botschaft in die Welt zu tragen. „Das müssen wir tun, egal ob innerhalb oder außerhalb der Kirche. Das ist unsere Berufung.“ Andrea Voß-Frick bestätigt und ergänzt: Es sei immer wieder die Frage zu stellen, wem die Kirche gehört. Ihr Appell: „Gebt den Menschen die Kirche und lasst sie sie gestalten. Und versucht nicht immer, Gott in eure Dogmen und Wahrheiten zu pressen.“
Vielleicht sei wirklich ein Mentalitätswechsel nötig, so Pastor Potowski, „von über 1000 Jahren Versorgungskirche hin zu einer Kirche, wo jeder mit an der Versorgung und an dem Kirchesein mitträgt“. Welche Verantwortung Menschen haben, das will die Theologin Ida Raming noch weiter gefasst wissen: „Jede und jeder ist in der Kirche und in der Gesellschaft überhaupt dazu beauftragt, für die Anerkennung der Menschenrechte zu kämpfen. Wir haben alle eine Verantwortung, für Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit einzutreten.“