Dortmunder Versicherung streicht Zuschlag für Tausende Kunden
Vorsorgekasse Hoesch
Tausende Dortmunder haben Post von der Dortmunder Vorsorgekasse Hoesch bekommen: Die Versicherung streicht ihnen eine Gewinnbeteiligung. Betroffen sind vor allem Ruhrgebiets-Bürger.

Dieter Ernst ist einer von vielen Dortmundern, die unangenehme Post von ihrer Sterbegeldversicherung bekommen haben. © Rüdiger Barz
Der Dortmunder Dieter Ernst (66) sitzt in seiner Wohnung vor einem Schreiben der Versorgungskasse Hoesch (VKH). Er fühlt sich um sein Geld gebracht. Der ehemalige Hoesch-Arbeiter und seine Frau haben auf einen Schlag rund 1700 Euro weniger in ihrer Sterbegeldversicherung, in der sie seit 65 Jahren Mitglieder sind.
Die VKH, nach eigenen Angaben die größte Sterbegeldversicherung Deutschlands, streicht zum Jahresende ihren Kunden den sogenannten Gewinnzuschlag.
Mehr als 100.000 Kunden der Sterbegeldversicherung sind betroffen
„Die einzige Möglichkeit, an das Geld zu kommen, wäre, wenn einer von uns noch in diesem Jahr sterben würde. Das haben wir nicht vor“, sagt Dieter Ernst in einem Anflug von makabrem Humor. Ihm bleibt zwar noch Geld, mit dem seine Angehörigen eines Tages die Bestattung bezahlen könnten. Dennoch hält er das Vorgehen für fragwürdig.
Hans-Jürgen Derdau aus dem Vorstand der Vorsorgekasse Hoesch bestätigt den Vorgang. Betroffen sei „nahezu der gesamte Bestand unserer Kunden“. Das sind aktuell rund 120.000 Personen in ganz Deutschland. Ein sehr großer Anteil ihnen kommt aus Dortmund und dem sonstigen Ruhrgebiet.
Hoesch-Arbeiter gründeten die Versicherung vor 96 Jahren auf der Westfalenhütte
Die Sterbegeldversicherung wurde 1923 im Hoesch-Werk an der Westfalenhütte von Arbeitern gegründet, damit mittellose Angehörige eine Rücklage im Todesfall haben. Mittlerweile ist das Unternehmen vom Thyssenkrupp-Konzern getrennt und frei am Markt tätig.
Den für Dortmund so prägenden Namen Hoesch hat man behalten, der Sitz der Versicherung ist nach wie vor nahe der Westfalenhütte an der Oesterholzstraße.
In Spitzenzeiten hatte die VKH in Dortmund Zehntausende Mitglieder. Eine genaue Zahl der Dortmunder Mitglieder heute liegt nicht vor.
Schlechtes Geschäftsjahr für die Versicherung, keine Prämien für die Mitglieder
Laut dem Schreiben der VKH an Dieter Ernst handelt es sich bei dem Gewinnzuschlag um eine „variable, nicht garantierte Leistung“, die von der Geschäftslage des Unternehmens abhänge. Laut Hans-Jürgen Derdau hat die Vertreterversammlung angesichts der Geschäftslage der VKH entschieden, den Bonus zu streichen.
„2018 war ein sehr schlechtes Geschäftsjahr für alle Versicherer. Es gibt Niedrigzinsen, die Börsen sind nach unten gegangen. Gegen den Markt war kein Ankommen“, sagt der VKH-Vorstand.
„Wir haben den Zuschlag über viele Jahre gewährt. Da ist es normal, dass er sich für viele so sicher anfühlt, wie er in Wirklichkeit nie gewesen ist“, sagt Hans-Jürgen Derdau. Aber man müsse die Zukunft der Vorsorgekasse langfristig sichern. Und sei deshalb zu dem Schritt gezwungen.
Familienangehörige sind in vielen Fällen mit versichert. In Dieter Ernsts Fall sind auch seine Kinder und seine Enkel Mitglied und damit ebenso wie sein Vater (91) von der Streichung des Gewinnzuschlags betroffen: „Meine ganze Familie verliert Geld.“
Dortmunder verliert zum dritten Mal in sechs Jahren Geld aus seiner Altersvorsorge
Für den Aplerbecker ist es das dritte Mal in sechs Jahren, dass er seine Altersvorsorge schwinden sieht: Vor sechs Jahren löste die Bausparkasse LBS einen Vertrag auf, weil die Marktsituation das aus Sicht des Sparkassen-Unternehmens erforderte.
Im Oktober 2019 gehörte Dieter Ernst außerdem zu den 11.000 Sparkassen-Kunden, die das Modell des Prämiensparens nutzten. Das Geldinstitut kündigte alle Sparverträge, viele Kunden verloren Geld. „Das war für mich ein Teil der Altersvorsorge“, sagt Dieter Ernst.
Er spricht damit für viele Dortmunder, die ihr Geld in Sparmodellen angelegt haben. Und feststellen, wie abhängig ihr sicher geglaubtes Geld vom Kapitalmarkt ist.
Nachtrag: Das sagt der Chef der VKH
Nach der Veröffentlichung des Artikels äußert sich Jens Leder, Vorstandsvorsitzender der VKH, am 23.11. zur Situation.
Kein Mitglied verliere Geld, da insgesamt „deutlich höhere Summen ausgezahlt werden als die Mitglieder eingezahlt haben“.
Leder: „Es ist verständlich, dass sich Mitglieder über den Wegfall des Gewinnzuschlags empören. Dennoch darf in der Öffentlichkeit nicht der Eindruck entstehen, dass wir hier willkürlich zu Lasten der Mitglieder agieren. Das Gegenteil ist der Fall. Wir betreiben eine seriöse Geschäftspolitik sowohl bei der Kapitalanlage wie auch bei der Überschussbeteiligung zum Wohle aller Versicherten.“
Eine Fortsetzung des Gewinnzuschlags würde laut Leder zu Lasten des gesamten, insbesondere jüngeren Versichertenbestands gehen. „Den gesamten Bestand gilt es zu schützen.“
Anmerkung der Redaktion: Eine frühere Version des Textes enthielt die Formulierung, die Kunden hätten Geld verloren. Da der gestrichene Gewinnzuschuss eine nicht garantierte Leistung darstellt, ist diese Formulierung nicht zutreffend und wurde deshalb geändert.