
© Oliver Schaper
Normalbürger, Aluhüte, Neonazis: Wie rechts sind die Hygiene-Demos?
Corona-Krise
Bürger protestieren seit Wochen gegen die Corona-Schutzverordnungen. Immer wieder tauchen Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretiker dort auf. Ein Erklärungsversuch am Beispiel Dortmund.
Die Corona-Pandemie gleicht einer Flut. Plötzlich war sie da. Ihre Folgen sind verheerend und erfordern drastische Maßnahmen, die aber dazu dienen, die Bevölkerung vor den gravierendsten Folgen zu schützen.
Die Corona-Pandemie aber spült zutage, was sonst nicht denkbar war. Bürger demonstrieren gegen die Folgen der Corona-Schutzverordnung - und auf diesen Demos tauchen immer wieder Verschwörungstheoretiker, Impfgegner und Rechtsextremisten auf. Sie demonstrieren gemeinsam.
Aus den unterschiedlichsten Gründen: Die einen zweifeln die Existenz des Coronavirus an und befürchten eine weltweite Verschwörung von Politik und Milliardären. Anderen stehen die Schutzmaßnahmen und die daraus resultierenden persönlichen Einschränkungen wie Wasser bis zum Hals. Wiederum andere nutzen die Gelegenheit, um ihre Ideologien wie das Coronavirus selbst zu verbreiten.
Neonazis und bürgerliche Mitte protestiert gemeinsam
In Deutschland treffen sich die Kritiker, Corona-Skeptiker und Virus-Leugner zu sogenannten „Hygiene-Demos“. In Dortmund wird seit Anfang Mai öffentlichkeitswirksam in der Innenstadt protestiert.
Auf den „friedlichen Spaziergängen“, wie die Teilnehmer ihre Demos oft bezeichnen, trifft man neben Menschen aus der bürgerlichen Mitte auch auf bekannte Neonazis und Rechtsextremisten.
Sie stehen Seite an Seite, klatschen, rufen gemeinsam „Wir sind das Volk“ und geben an, die Demokratie und das Grundgesetz in Gefahr zu sehen. Ein paradoxes Bild: Personen aus dem Umfeld der Partei „Die Rechte“ verteilten am 9. Mai Grundgesetze auf dem Friedensplatz. Einige von ihnen sind vorbestraft, unter anderem wegen Volksverhetzung.

Einige Schilder, die man auf den Hygiene-Demos sieht, haben eindeutige, aber dennoch verwirrende Botschaften. © Robin Albers
Die Aktion wurde schnell von den Behörden unterbunden, sie verstieß gegen die Corona-Schutzmaßnahmen. Flugblätter, wozu in dem Fall die Grundgesetze zählen würden, stellten ein Infektionsrisiko dar. Die Grundgesetze wurden konfisziert.
Corona-Leugner als Mittel zum Zweck
Allerdings sind die Dortmunder Neonazis nicht nur bei den Hygiene-Demos, um zu klatschen und Grundgesetze zu verteilen. Am 16. Mai wurde ein TV-Reporter auf einem „Spaziergang“ attackiert. In dem Fall konnte die Polizei eingreifen.
In den Gruppen des Messenger-Dienstes Telegram der lokalen Corona-Skeptiker riefen die Dortmunder Rechtsextremisten zu Spaziergängen auf, teilten Fotos und Videos gespickt mit Hetze gegen Staat und Presse. Sascha Krolzig, Bundesvorstand der Partei „Die Rechte“, tritt dort zum Beispiel mit Klarnamen auf.
Auf „Dortmundecho“, einem Blog der Neonazis, nutzen sie das Geschehen rund um die Hygiene-Demos wiederum für ihre politische Agenda: Der Vorfall mit dem Grundgesetz wird instrumentalisiert, es wird behauptet, dass die Ordnungshüter das Grundgesetz als „Gefahr“ sehen.
Allerdings nicht nur von Dortmunder Rechten: Videoaufnahmen vom 9. Mai wurden bundesweit in Social-Media-Communities von Corona-Leugnern geteilt. Genauso wie ein weiteres Video aus Dortmund, auf dem die Festnahme einer Frau zu sehen ist, die im Nachgang einer Demo von Gelbwesten gab.
Ein Kommentar auf dem Blog, verfasst von Michael Brück, ebenfalls von der Partei „Die Rechte“ und mit Sitz im Dortmunder Stadtrat, lässt vermuten, was hinter dem Engagement der Neonazis steckt: Man erhoffe sich, dass aus der „Querfront“, die im Rahmen der Hygiene-Demos gegen eine vermeintliche „Corona-Diktatur“ entstanden ist, bald eine „Volksfront“ wird.
Denn das „Corona-Regime“ drangsaliere den kleinen „Normalbürger“ und spreche „ihm jede Mündigkeit“ ab. Dabei nehme man in Kauf, mit Menschen zu protestieren, mit denen man nicht „jede Position“ teile.
Neonazis – „Na und?“
In der Dortmunder Innenstadt sind aber nicht nur Neonazis. Spricht man die demonstrierenden Bürger auf die anwesenden Neonazis an, bekommt man Reaktionen wie „Na und?“ oder Rechtfertigungen zu hören. Bei den Hygiene-Demos gehe es um etwas anderes.
In Leserbriefen zu einem Bericht dieser Redaktion über den Dortmunder Spaziergang vom 9. Mai äußerten Leser, sich „kriminalisiert“ oder „in die rechte Ecke gedrängt“ zu fühlen. Es gehe ihnen um Selbstbestimmung, ihren Körper und das Grundgesetz.
Auf Nachfrage, wie man denn dazu stehe, dass Neonazis bei ihren Demos und Spaziergängen dabei sind, gab es verschiedene Reaktionen: Einige relativierten den gemeinsamen Protest mit Rechtsextremisten eben damit, dass es um „alle Bürger dieser Erde“ gehe. Andere zweifelten an, dass Rechtsextremisten überhaupt anwesend waren. Andere redeten von Verleumdung durch die Presse.
Ähnlich wird auch in den Dortmunder Telegram-Gruppen der Corona-Leugner argumentiert: Solange die Neonazis nicht störten, könnten sie nicht ausgeschlossen werden, so der allgemeine Tenor.
Der „angebliche Angriff“ auf den Kameramann sei nach der Auflösung der (unangemeldeten) Demonstration passiert, weshalb das ebenfalls keinen Ausschluss rechtfertige. Auch hier wieder die bekannte Rechtfertigung: Es gehe um Demokratie und nicht um persönliche, politische Ansichten. Man sei als Bewegung „nicht links, nicht rechts“.
Wieso Normalbürger mit Rechten demonstrieren
Ein Grund für das Sympathisieren mit rechtem Gedankengut und eben Neonazis könnte ein „Gewöhnungseffekt“ sein, den Politikwissenschaftler Dierk Borstel von der Fachhochschule Dortmund beschreibt. Er arbeitet seit 1997 zu dem Thema Rechtsextremismus. Die Mitte sei mittlerweile schwerer klar vom rechten Rand zu unterscheiden, hinzu komme, dass die „Tabuisierung“ rechten Gedankenguts aufgeweicht sei.
Dafür habe vor allem die demokratisch gewählte AfD gesorgt, die seriöser wirke als die NPD oder eben „Die Rechte“. Ebenso die rechtspopulistische Bewegung Pegida, die fernab von Rassisten Zuspruch bekommen hat.
Seit dem 15. Mai mobilisiert sich auch ein Gegenprotest gegen die Hygiene-Demos: „Uns fehlt es an inhaltlicher Distanzierung“, erzählt eine Sprecherin der „Autonomen Antifa 170“ (AFA 170). Die Dortmunder Gruppe aus der linken Szene glaubt, dass es durchaus auch Demonstranten gibt, die eigentlich nicht zum rechten Spektrum gehören. Allerdings akzeptiere man eben Menschen aus diesem.

Am 16. Mai gab es das erste Mal Gegenprotest, der sich gegen die Corona-Leugner und Neonazis richtete. © Robin Albers
Politikwissenschaftler Borstel hat die Hoffnung, dass viele gerade in der Verunsicherung nur Halt suchen. Vielleicht sehen sie ihren Fehler später ein und verstehen, dass sie mit Rechtsextremisten für etwas demonstriert haben, das nicht der Wahrheit entspricht: „Das Grundgesetz ist nicht außer Kraft gesetzt worden“, so Borstel.
Auch bei der AFA 170 hat man die Hoffnung, dass sich das Blatt wendet, dass sich Dortmunder klarer positionieren. Denn „es ist nicht falsch, Kritik zu äußern“. Die Versammlungsfreiheit sei eingeschränkt und besonders Menschen in prekären Lebenslagen litten unter den Corona-Schutzmaßnahmen. Die Art und Weise dieser Kritik sei das Problem.
Die Gruppen sind gar nicht so unterschiedlich
In Dortmund trifft man auf den Hygiene-Demos neben Neonazis und Normalbürgern auch auf Verschwörungstheoretiker: Immer häufiger sieht man Symbole von „QAnon“ bei den Demonstrierenden. QAnon ist eine weltweit aktive rechte Internet-Verschwörungsgruppe, die Chaos stiften will.
Noch häufiger zu sehen sind „Alu-Bommel“, Kugeln aus Alufolie, die die Träger als sogenannten „Querdenker“ identifiziert. Sie sind Anhänger der Partei „Widerstand 2020“, gegründet von Bodo Schiffmann, einem Sinsheimer Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Für ihn ist das Coronavirus nur medialer Hype.
Manche Gruppen ignorieren wissenschaftliche Fakten und vermuten hinter der Corona-Pandemie eine Verschwörung, die von Bill Gates initiiert werde und eine neue Weltordnung einleiten soll. Durch sämtliche soziale Medien fließen diese Mythen und werden verbreitet. Attila Hildmann, Xavier Naidoo oder Ken Jebsen sind prominente Verteiler dieser Ideologien.
Ideologien, die einem alten rassistischen Feindbild ähneln: Schon im Mittelalter wurden die Juden dafür verantwortlich gemacht, die Pest durch vergiftete Brunnen ausgelöst zu haben. Antisemitismus in Zeiten von Krisen und Pandemien zieht sich durch die ganze Menschheitsgeschichte – bis zum Holocaust im Dritten Reich.
Nun ist Bill Gates nicht jüdisch, das Muster ist aber gleich. In der Forschung wird das „struktureller Antisemitismus“ genannt. Schaut man allerdings in die einschlägigen Gruppen der Corona-Leugner, wird man jedoch auch auf direkten Judenhass stoßen. Dort kursiert der Mythos, dass das Corona-Virus eine Biowaffe sei, entwickelt vom jüdischen Holocaust-Überlebenden und Millionär George Soros.
Shoahrelativierung bei #Hildmann|s Kundgebung vorm Bundestag: Teilnehmer trägt Shirt mit "Judenstern" und der Aufschrift "ungeimpft". #b1605 #coronaquerfront #antisemitismus pic.twitter.com/NkoxRm6wtF
— democ. (@democ_de) May 16, 2020
In der vierten Gruppe, bei den Impfgegnern aus der Esoterik-Szene, gibt es auch antisemitische Denkweisen: Sie befürchten eine bevorstehende Zwangsimpfung, ziehen Vergleiche zum Holocaust und tragen T-Shirts mit gelben Sternen, auf denen „Impfgegner“ statt „Jude“ steht. Letztere waren in Dortmund allerdings (noch) nicht zu sehen.
Wäre Corona eine Flut, wäre alles anders
Die Gruppen eint also mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein machen kann. Auf den Demos trifft man auch auf Menschen, die diese Haltungen nicht teilen und vielleicht sogar strikt ablehnen. Aber wieso nehmen diese Bürger die Rechtsextremisten in Kauf und protestieren gemeinsam mit ihnen?
Politikwissenschaftler Borstel hat eine Vermutung: „Man hat sich auf ein Dagegen geeinigt.“ Die Corona-Pandemie kam schnell, die Schutzverordnungen, der „Lockdown“ ebenso. Laut Borstel, der als Professor an der Fachhochschule Dortmund im Bereich der angewandten Sozialwissenschaften lehrt, musste „eine komplett neue Normalität“ entstehen. Das Tempo führte zu einer Überforderung und damit Verunsicherung bei den meisten Menschen.
Hinzu kommt noch, dass das Coronavirus für viele „nicht greifbar“ sei. Viele Verunsicherte verstehen nicht, wieso es trotz sinkender Infektionszahlen nur schrittweise Lockerungen gibt. Borstel glaubt, dass es für diejenigen leichter sei, die Corona-Krise zu verdrängen und gegen die Schutzmaßnahmen zu sein, als Fakten zu akzeptieren.
Corona-Gegner und Nazis demonstrieren in der Innenstadt
Anders wäre es vermutlich bei einer greifbaren Naturkatastrophe wie einer Flut, ist sich Borstel sicher: „Stünde der Alte Markt knietief unter Wasser, würde vermutlich kaum einer das Grundgesetz in Gefahr sehen.“
Gleichgesinnte, mögliche Erklärungen und Lösungen finden diese Verunsicherten dann in Gruppen auf Facebook oder Telegram, wo Corona-Leugner sich in Bewegungen wie „Widerstand 2020“ sammeln. Und dort sind eben auch Rechtsextremisten und Verschwörungstheoretiker aktiv.
Chance für Rechtspopulismus ist da
Nach der Flut kommt auch irgendwann wieder eine Ebbe: In der Bewegung rund um die Corona-Leugner und die Neonazis sieht Politikwissenschaftler Borstel aktuell keine Gefahr. Sie sei zu „verrückt“, um wirklich Anklang bei der breiten Bevölkerung zu bekommen. „Die Demokratie hält das aus“, ist sich der Wissenschaftler sicher.
Bezogen auf die Dortmunder Neonazis sei das Engagement bei den Corona-Leugnern laut Borstel „nur ein Versuch, wieder Anklang zu finden“. Die Konkurrenz im rechten Spektrum sei mit der AfD und der Identitären Bewegung groß.
Er vermutet, dass die radikalen Corona-Rebellen bald von einer anderen Strömung aufgesaugt würden. Allerdings gebe es keine geschichtlichen Vorbilder, aus denen sich eine „Tragfähigkeit in die Zukunft“ ableiten lasse.
Eine Wirtschaftskrise, wie sie der Menschheit durch die Pandemie bevorstehen könnte, habe es bislang noch nicht gegeben. Hohe Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit sorgen für Ängste – und die seien eine „Chance für Rechtspopulismus“.
1990 im Emsland geboren und dort aufgewachsen. Zum Studium nach Dortmund gezogen. Seit 2019 bei den Ruhr Nachrichten. Findet gerade in Zeiten von Fake News intensiv recherchierten Journalismus wichtig. Schreibt am liebsten über Soziales, Politik, Musik, Menschen und ihre Geschichten.
