
© Kevin Kindel
Verbotene Demo gegen Corona-Schutz – Warum wurde so spät eingegriffen?
Eskalation in der City
Obwohl die Stadt das Event kurzfristig verboten hatte, versammelten sich mehr als 150 Personen auf dem Alten Markt. Ein Journalist wurde angegriffen. Die Verantwortlichen erklären das Vorgehen.
Eine Woche, nachdem eine Frau bei einer Demonstration von Gelbwesten und Corona-Schutz-Gegnern in der Innenstadt festgenommen wurde, gab es am Samstag (9.5.) eine Versammlung mit Impfgegnern, Verschwörungstheoretikern und Neonazis – und wieder gab es eine Festnahme.
Die Versammlung hat wie angekündigt um 15.30 Uhr auf dem Alten Markt begonnen - obwohl die Stadtverwaltung per Pressemitteilung, die eine Dreiviertelstunde zuvor verschickt wurde, mitgeteilt hatte, die Versammlung untersagt zu haben.
„Ein schlüssiges, effektives Konzept“ zum Infektionsschutz durch den Veranstalter sei nicht vorgelegt worden, heißt es am Montag auf Nachfrage zur Begründung: „Von daher konnte keine Ausnahme von dem grundsätzlichen Verbot von Versammlungen zugelassen werden.“
Der Alte Markt im Herzen der City ist ein Knotenpunkt für viele Dortmunder. Das Ordnungsamt rechnete berechtigterweise mit vielen Schaulustigen und Passanten, die zufällig vorbeikamen. Daher habe der Veranstalter den Mindestabstand zwischen den Menschen trotz der Größe des Platzes nicht durchgehend sicherstellen können.
Verschwörungstheoretiker und Neonazis waren dabei
Trotzdem versammelten sich etwa 150 bis 200 Menschen auf dem Alten Markt. Neben unauffälligen Bürgern waren auch Verschwörungstheoretiker und bekannte Persönlichkeiten der lokalen rechten Szene dabei, die wiederholt versuchten, anwesende Journalisten einzuschüchtern. Szenen, die sich bundesweit am Samstag bei sogenannten „Hygiene-Demos“ zeigten.
Ein 23-Jähriger aus der rechten Szene hat einen Medienvertreter laut Polizei zunächst beleidigt. Derselbe junge Mann war es dann später, der auf der Hansastraße gegen die Kamera eines TV-Journalisten schlug und den Reporter leicht verletzte. Dort wurde der Täter von anwesenden Polizisten festgenommen.
Auf der genehmigten Veranstaltung „Querdenken für Frieden, Freiheit und Mut“, die kurz zuvor auf dem Friedensplatz stattfand, waren die Neonazis ebenfalls dabei und verteilten Grundgesetze. Gespräche zwischen ihnen und den Teilnehmern wirkten oft vertraut.
Corona-Gegner und Nazis demonstrieren in der Innenstadt
Der Anmelder versicherte dort jedoch gegenüber unserer Redaktion, dass die Personen aus seinem Kreis keine Nazis und auch keine Impfgegner seien, sondern für Demokratie stünden. Die würde nämlich durch die Coronavirus-Schutzverordnung missachtet.
Querdenker, Lügenpresse und Zwangsimpfung
In Gesprächen zwischen den Teilnehmern waren dennoch Verschwörungstheorien zu hören: Die „Querdenker“ würden von der Gesellschaft und der „Lügenpresse“ denunziert, und eine Zwangsimpfung komme bald.
Die untersagte Versammlung auf dem Alten Markt wurde schließlich nach 35 Minuten per Lautsprecherdurchsage vom Ordnungsamt aufgelöst. Große Teile der Menge gingen als geschlossene Gruppe über den Hansaplatz davon als ein „Spaziergang“, so die selbst gewählte Bezeichnung – „dann können die uns nichts“, kommentierten Menschen die Aktion. Vereinzelt gab es „Volksverräter“-Rufe in Richtung der Polizei. Die beobachtete die Lage mit vielen Einsatzkräften, schritt aber nicht ein.
Viele Demonstranten zogen danach auf eigene Faust weiter über die Kampstraße bis zum Platz von Leeds. Dort sei der „Spaziergang“ schließlich nach einer erneuten Lautsprecherdurchsage final aufgelöst worden.
Auf die Frage, wieso die erste Durchsage erst nach über einer halben Stunde passiert ist, antwortet Stadtsprecher Maximilian Löchter am Montag in Behördendeutsch: „Etwaige in Betracht kommende behördliche Maßnahmen müssen mit Blick auf die Zielerreichung, die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und eine Deeskalationsstrategie stets abgewogen werden.“
Ordnungsamt und Polizei seien „stufig“ vorgegangen. Die Lautsprecherdurchsagen haben dann letztlich gewirkt. „Dass einige Versammlungsteilnehmenden offensichtlich nicht gewillt waren, die notwendigen Schutzmaßnahmen zur Vermeidung des Infektionsrisikos einzuhalten, ist nicht nachvollziehbar“, so Löchter.
Polizeisprecher Peter Bandermann erklärt, dass es in der Situation keine andere Möglichkeit gegeben habe, die Veranstaltung aufzulösen. Ein Einschreiten sei bis zum Angriff auf der Hansastraße nicht nötig gewesen, da der Spaziergang im Rahmen der geltenden Handlungsfreiheit friedlich verlief.
Polizei zeigt sich mit dem Einsatz zufrieden
Bis auf den Journalisten-Angriff sei die Polizei zufrieden mit ihrem Einsatz an dem Tag. Er sei insgesamt friedlich verlaufen, den Angreifer habe man schnell festsetzen können. Laut Einsatzleiterin Kerstin Montag sei es „gelungen, den Teilnehmenden der angemeldeten friedlichen Versammlungen die Wahrnehmung ihres Versammlungsrechts zu ermöglichen“.
Auf einem einschlägigen rechtsextremen Blog wird ebenfalls von einer erfolgreichen, friedlichen Demo geschrieben. Dort ist die Aussage zu lesen, dass der „Widerstand“ trotz Repressalien von Polizei und Stadt in Bewegung käme.
1990 im Emsland geboren und dort aufgewachsen. Zum Studium nach Dortmund gezogen. Seit 2019 bei den Ruhr Nachrichten. Findet gerade in Zeiten von Fake News intensiv recherchierten Journalismus wichtig. Schreibt am liebsten über Soziales, Politik, Musik, Menschen und ihre Geschichten.

Kevin Kindel, geboren 1991 in Dortmund, seit 2009 als Journalist tätig, hat in Bremen und in Schweden Journalistik und Kommunikation studiert.
