
© Dennis Werner
Verschwörungstheoretiker nutzen Video aus Dortmund für Propaganda
Corona-Protest vor Reinoldikirche
Die Bilder von der Festnahme einer Frau in Dortmund am Samstag werden von Menschen genutzt, um Verschwörungstheorien zu verbreiten. Darunter ist auch ein Prominenter mit großer Reichweite.
Seit einigen Tagen verbreitet sich über soziale Medien und über Messenger-Dienste wie Whatsapp oder Telegram ein Video aus Dortmund. Zu sehen ist ein Vorfall, der am Samstag (2.5.) am Reinoldikirchplatz zur Festnahme einer 56-jährigen Frau aus Herne geführt hat.
Am Rande einer angemeldeten Demonstration der Gruppe „Gelbwesten Dortmund“ sind bis zu 12 Minuten eines Dialogs zwischen der Frau und Mitarbeitern des Dortmunder Ordnungsamts sowie später auch Polizisten aufgezeichnet.
Die Ordnungskräfte hatten die Frau aufgefordert, den durch die Coronaschutzverordnung vorgegebenen Mindestabstand zu einer Mitdemonstrantin einzuhalten. Nach längerer verbaler und auch körperlicher Auseinandersetzung kam es vor dem Burger-King-Restaurant an der Reinoldikirche zur Festnahme durch mehrere Beamte.
Protest gegen Polizeimaßnahme vor Ort - und in sozialen Netzwerken
Schon vor Ort hatten zahlreiche umstehende Personen mit Protest auf das Vorgehen der Polizei reagiert. Die Behörde hatte am Sonntag (3.5.) in einer Pressemitteilung zur Festnahme Stellung bezogen und unter anderem die wiederholten tätlichen und verbalen Angriffe der Frau auf Ordnungsamtsmitarbeiter als Begründung für ihr Vorgehen genannt. Im Rucksack der 56-Jährigen sei zudem ein Messer gefunden worden.
In den Tagen nach dem Vorfall haben verschiedene Videos von den Szenen nun für eine Debatte auf einer anderen Ebene gesorgt. Über zahlreiche Kanäle wird das Video gepostet als angeblicher Beleg für Polizeigewalt und wahlweise „faschistische“ oder „stasimäßige“ Strukturen, die durch die „Corona-Lüge“ etabliert werden sollen.
Zu denen, die das Video streuen, gehört auch ein Prominenter mit hoher Reichweite: Attila Hildmann, der vor einigen Jahren durch seinen Aktivismus für vegane Produkte große Aufmerksamkeit erzielt hatte und als TV-Koch bekannt geworden ist, teilte am Samstag ein Video des Vorfalls in Dortmund mit seinen 12.800 Abonnenten über seinen öffentlich einsehbaren Kanal im Messenger-Dienst Telegram.
Veganer TV-Koch Hildmann: „Vorgeschmack“ auf das „Ende der Demokratie“
Er spricht dort von einem „Vorgeschmack“ auf das, was noch kommen werde, und von einer „Agenda, die dunkle Eliten seit Jahrzehnten minutiös geplant haben“, sowie dem „Ende der Demokratie“. Hildmann ruft zu „Widerstand“ auf und dazu, das Video auf „allen Portalen zu verbreiten“.
Dazu stellt er die – nach übereinstimmenden Augenzeugenberichten falsche – Behauptung auf, es zeige „zwei Mädchen, die in der Innenstadt Dortmunds harmlos shoppen waren“. Der Beitrag ist einer von Hunderten in den vergangenen Wochen auf Hildmanns Kanal, in denen es um eine groß angelegte Verschwörung rund um das Coronavirus geht, in deren Mittelpunkt unter anderem US-Milliardär und Microsoft-Gründer Bill Gates stehen soll.
Attila Hildmann bezeichnet sich als Lebensmittelunternehmer selbst als „Profiteur der Krise“ und rechtfertigt seine Informationskampagne mit seiner Sorge um die Demokratie.
Als Gesichter des „Widerstands“ bezeichnet er unter anderem den von der Neuen Rechten häufig zitierten Blogger Ken Jebsen sowie Sänger Xavier Naidoo oder die ehemalige TV-Moderatorin Eva Herman, die in der Vergangenheit mit verschwörungstheoretischen und neurechten Argumentationen aufgefallen waren.
Polizei Dortmund erhält viel Kritik für den Einsatz bei Facebook und rechtfertigt sich
Die Polizei Dortmund sieht sich bei Facebook unter dem Beitrag zum Vorfall bei der Gelbwesten-Demo vielen Vorwürfen ausgesetzt. Immer wieder finden sich dabei Verlinkungen auf Youtube-Kanäle und Internetseiten, in denen die Corona-Krise als große Inszenierung dargestellt wird.
Dazu kritisieren zahlreiche Kommentatoren den Einsatz von körperlichem Zwang gegen die Frau und bezeichnen ihn als unangemessen. Es gibt zugleich mehrere Aufrufe zu gewaltsamem Widerstand gegen die Polizei und Beleidigungen.
Die Polizei Dortmund greift an mehreren Stellen moderierend in die über 1600 Kommentare (Stand 5.5., 19 Uhr) ein. Dabei findet sich mehrfach der Hinweis, dass in einem weit verbreiteten Video die Szene nicht zu sehen sei, in der die Frau die Ordnungskräfte attackiert.
Polizeisprecher: „Informationen in sozialen Netzwerken genau hinterfragen“
Polizeisprecher Gunnar Wortmann sagt am Dienstag auf Anfrage dieser Redaktion: „Die übergroße Mehrheit der Bevölkerung befürwortet und akzeptiert die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Es könnte der Eindruck entstehen, dass Minderheiten versuchen, die neuen geltenden Regeln zu nutzen, um die Stimmung anzuheizen. Deshalb sollte man insbesondere in sozialen Netzwerken genau hinschauen und die teilweise ungefiltert geteilten Informationen genau hinterfragen.“
Ein unbeteiligter Beobachter der Szenerie am Samstag sagt gegenüber dieser Redaktion, dass er das Verhalten der Polizisten für richtig hält und der Einsatz mit mehreren Personen der Sicherheit der körperlichen Unversehrtheit der Frau und der Polizisten gedient habe.
Neonazi-Partei ruft zur Unterstützung der Proteste auf
Der Mann äußert zudem seine Verwunderung darüber, dass es so viele Aufnahmen der Szene gebe, lange, bevor die Situation eskaliert sei. Er sieht Hinweise, dass die Situation „aus der Naziszene“ inszeniert worden sei.
Die Dortmunder Neonazi-Partei Die Rechte hat am Dienstag ihre Anhänger dazu aufgerufen, die Proteste gegen die Corona-Regeln zu unterstützen.
Seit 2010 Redakteur in Dortmund, davor im Sport- und Nachrichtengeschäft im gesamten Ruhrgebiet aktiv, Studienabschluss an der Ruhr-Universität Bochum. Ohne Ressortgrenzen immer auf der Suche nach den großen und kleinen Dingen, die Dortmund zu der Stadt machen, die sie ist.
