Mehr Demos, weniger Akzeptanz: Kippt die Corona-Stimmung in Dortmund?

© Dennis Werner (Archiv)

Mehr Demos, weniger Akzeptanz: Kippt die Corona-Stimmung in Dortmund?

rnCorona-Krise

Die Corona-Einschränkungen zerren an den Nerven der Dortmunder. Selbst Lockerungen sind „von Woche zu Woche schwieriger kommunizierbar“, sagt die Stadt. Entsteht eine Anti-Haltung in der Stadt?

Dortmund

, 07.05.2020, 17:46 Uhr / Lesedauer: 4 min

Seit Wochen ist das Leben der Menschen eingeschränkt. Es ist alles andere als normal. Die Corona-Pandemie sorgt für viele Sorgen und Ängste - gesundheitliche, soziale, wirtschaftliche. Die von der Politik beschlossenen Einschränkungen im Leben aller sorgen aber auch für Wut.

Aufkeimende Anti-Corona-Demonstrationen sind längst kein Phänomen mehr, das es nur in den USA gibt.

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Es mag widersprüchlich klingen. Einige Schritte zurück zur Normalität sind bereits gegangen und fast wöchentlich kommen neue Lockerungen hinzu.

Doch gerade diese Lockerungen bereiten teilweise Probleme, erklärte Norbert Dahmen, Rechtsdezernent der Stadt Dortmund, auf einer Pressekonferenz des Verwaltungsvorstandes auf unsere Anfrage.

„Je mehr Aufweichungen von Verboten gemacht werden, desto schwieriger wird es zu vermitteln, warum das eine Verbot noch Bestand hat und das andere nicht.“ Ordnungsrechtlich werde das „von Woche zu Woche schwieriger kommunizierbar“.

Dortmunds Oberbürgermeister Ullrich Sierau sprach davon, dass die Verwaltung „eine gewisse Erosion in der Gesellschaft, was die Akzeptanz der Maßnahmen angeht“ wahrnehme. Das habe vor allem mit dem „Hin und Her“ der Landesregierung zu tun.

„Wir haben so niedrige Zahlen, muss das dann alles so sein?“

Im Gespräch mit der Redaktion macht Dr. Harald Krauß, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychologie des Marien-Hospitals in Hombruch auf eine Dortmunder Besonderheit aufmerksam.

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Am Dienstag (5.5.) habe es in Dortmund beispielsweise 82 aktive Krankheitsfälle gegeben – bei knapp 600.000 Einwohnern. „Für einen Fachmann ist vielleicht verständlich, dass wir diese niedrigen Zahlen haben, weil wir die Maßnahmen eingeführt haben. Aber trotzdem fragt sich der Bürger: ‚Wir haben so niedrige Zahlen, muss das dann alles so sein?‘“

So erklärt der Psychiater, warum einige Menschen langsam gereizter auf die Corona-Einschränkungen reagieren.

Verstärktes Bedürfnis nach Demonstrationen

Die grundsätzliche Akzeptanz sei bei den meisten Bürgern aber nach wie vor da, sagte Ordnungsdezernent Norbert Dahmen am Dienstag. Doch genauso fiebern sie dem Ende der Einschränkungen entgegen, meinte er. „Das Problem ist natürlich auch, dass durch die Corona-Schutzverordnung gewisse Grundrechte eingeschränkt sind“, sagte er mit Blick auf das Versammlungsverbot.

Die Verwaltung nehme in den vergangenen Wochen das verstärkte Bestreben wahr, Demonstrationen durchzuführen. Nach dem gemeinsamen Konzept von Stadt und Polizei sei das auch weiterhin möglich, gab er zu bedenken.

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Dennoch habe es in den vergangenen Wochen mehrere Ansammlungen gegeben, die „polizeilich aufgelöst wurden, weil es keine Anmeldung gab“. In gewissen Kreisen entstehe eine Stimmung, „dass kollektiv ausgedrückt werden soll, dass man sich nicht an die Spielregeln halten will“, führte der Rechtsdezernent aus.

Dortmunds Polizeipräsident Gregor Lange warnte in einer Pressemitteilung vor einer „Stimmungsmache mit öffentlichen Aktionen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen“. Demnach versuche derzeit „eine kleine Szene von Rechtsextremisten und Demokratiefeinden öffentlichkeitswirksam mit inszenierten Eskalationen das Vertrauen in den Rechtsstaat zu erschüttern“. Davon solle man sich nicht instrumentalisieren lassen, mahnt er.

Verschwörungstheoretiker treten auf den Plan

Ein handfestes Beispiel dafür ist ein Vorfall vom vergangenen Samstag (2.5.) in der Dortmunder Innenstadt. Im Rahmen einer angemeldeten Demonstration der sogenannten „Gelbwesten“ gegen die Corona-Maßnahmen kam es auf dem Vorplatz der Reinoldikirche zu einer Festnahme. Beamte von Ordnungsamt und Polizei mussten dabei einen Schutzkreis vor einer wütenden und schimpfenden Menschenmenge bilden.

Sorgen und Ängste werden teilweise zu Wut. Gegen die sogenannte Obrigkeit, gegen die Behörden. Das war am Samstag in der City zu sehen und genauso im Nachgang in den sozialen Netzwerken. So kursieren Video-Aufnahmen vom Samstag, die sich Verschwörungstheoretiker bereits zunutze machen.

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„Wir nehmen wahr, dass die Diskussionen durch das Aufkommen von allen möglichen Verschwörungstheorien auch diffuser wird. Damit wird das Meinungsbild diffuser und daraus abgeleitet auch das Stimmungsbild“, meinte OB Sierau auf der Konferenz am Dienstag.

Diese Stimmung werde etwa über das Netz aus den USA „in unsere Gesellschaft getragen“. Das alles führe dazu, „dass insgesamt immer mehr Diskussionen aufkommen und weniger Akzeptanz da ist“.

„Sowas kann in der Tat kippen“

Die generelle Unsicherheit in der gänzlich unbekannten Situation rufe bei den Menschen ganz unterschiedliche Reaktionen hervor, erklärt Psychiater Dr. Harald Krauß. Der eine reagiere ängstlich, der andere mit Verleugnung und ein dritter wiederum mit Aggressionen. Und „teilweise kommen die Verschwörungstheorien“, merkt auch Krauß.

Diese Situation sei gesamtgesellschaftlich nicht ungefährlich. „Sowas kann in der Tat kippen“, erklärt Krauß. Auch er bezieht sich dabei, ähnlich wie OB Sierau, auf die USA als Beispiel. Persönlich habe der Psychiater jedoch die Wahrnehmung, dass es in Deutschland grundsätzlich noch nicht soweit sei.

Polizei rät: Informationen genau hinterfragen

Aus Sicht der Dortmunder Polizei befürworte und akzeptiere „die übergroße Mehrheit der Bevölkerung“ die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, meint Sprecher Gunnar Wortmann auf Anfrage.

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Im Nachgang zum Samstag könne „der Eindruck entstehen, dass Minderheiten versuchen, die neuen geltenden Regeln zu nutzen, um die Stimmung anzuheizen“, sagt er. „Deshalb sollte man insbesondere in sozialen Netzwerken genau hinschauen und die teilweise ungefiltert geteilten Informationen genau hinterfragen“, rät Wortmann.

Zahlen von Polizei und Ordnungsamt lassen nur wenige Schlüsse zu

Der Versuch, eine von Stadt und Polizei geschilderte, grundsätzlich bestehende Akzeptanz für die Corona-Regeln – oder auch das Gegenteil – an Zahlen festzumachen, gestaltet sich überdies schwierig.

Dokumentierte Widerstände oder sogar tätliche Angriffe auf Polizisten seien nicht gestiegen oder sogar gesunken, sagt Polizeisprecher Wortmann. Auf erneute Nachfrage nennt er diesbezüglich auch erste, vorläufige Zahlen.

Im Zeitraum Januar bis April habe es im vergangenen Jahr 141 gemeldete tätliche Angriffe auf Polizisten gegeben. Im gleichen Zeitraum für 2020 waren es dagegen nur 60. Diese Zahlen könnten sich zwar noch leicht korrigieren, doch die Tendenz wird deutlich.

Dennoch ist das mit Vorsicht zu genießen. Wenn weniger Leute unterwegs sind, gibt es auch weniger Kontrollen. Somit entstehen auch weniger Situationen, die einen Angriff auf Polizeibeamte hervorrufen. Es entstehen weniger sogenannte Tatgelegenheiten.

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Auch die Zahlen des Dortmunder Ordnungsamtes lassen kaum deutlichere Schlüsse zu. Für den Zeitraum der bestehenden Corona-Schutzverordnung, vom 23. März bis 4. Mai, hat es im Rahmen der Verordnung 3152 Platzverweise gegeben. Darüber hinaus gab es 856 Ordnungswidrigkeitsanzeigen, 38 Strafanzeigen und 11 Ingewahrsamnahmen, teilt Sprecher Maximilian Löchter mit.

Ein Vergleich zu vergangenen Jahren ist jedoch auch hier kaum möglich, da es die Schutzverordnung einfach noch nicht gegeben hat. Die Zahlen seien zudem auch immer im Kontext damit zu sehen, dass Dortmund fast 600.000 Einwohner hat, gibt Löchter zu bedenken. Was er damit sagen will: Die große Mehrheit der Dortmunder kommt nicht in Konflikt mit dem Gesetz.