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Dortmunder Psychiater erwartet „Riesen-Welle“ psychischer Erkrankungen
Corona-Auswirkungen
Die Stimmung gegen die Corona-Maßnahmen kippt. Woher kommt die Wut? Und warum sprießen überall Verschwörungstheorien? Ein Gespräch mit dem Dortmunder Psychotherapeuten Dr. Harald Krauß.
Während es in Deutschland, NRW und Dortmund immer mehr Lockerungen der Einschränkungen durch die Corona-Schutzmaßnahmen gibt, kommen gleichzeitig auch mehr Demonstrationen gegen die Maßnahmen auf.
Sorgen und Ängste der Menschen schlagen teilweise in Wut gegen die Behörden um. So zu sehen etwa an den Reaktionen zu einer Festnahme in der City am Rande einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen Anfang Mai..
Dr. Harald Krauß ist Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Marien-Hospitals Hombruch. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie sich die Corona-Einschränkungen auf den Kopf auswirken, ob sie die Anfälligkeit der Menschen für Verschwörungstheorien vergrößern und wie man sich vor dem Sog der Wut schützt.

Dr. Harald Krauß, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Marien-Hospital Hombruch © G.P.Müller
Herr Dr. Krauß, stellen Sie auch fest, dass die mit der Corona-Krise verbundenen Sorgen und Ängste mittlerweile teilweise in Wut umschlagen? Wenn ja, woher kommt das?
Hier in der Klinik können wir das nicht feststellen, aber allgemein ist an dem einen oder anderen Beispiel greifbar, dass die Menschen mittlerweile gereizter reagieren. Ich finde es aber auch gut verständlich, dass den Menschen die Decke auf den Kopf fällt und sie sich eingeengt fühlen.
Dortmunds Zahlen sind vergleichsweise niedrig. Für einen Fachmann ist vielleicht verständlich, dass wir diese niedrigen Zahlen haben, weil wir die Maßnahmen eingeführt haben. Aber trotzdem fragt sich der Bürger: „Wir haben so niedrige Zahlen, muss das dann alles so sein?“
Ein wichtiges Stichwort ist, dass wir alle – einschließlich Frau Merkel und der Virologen – in einer großen Unsicherheit leben. Wir alle haben so etwas noch nie erlebt und wir alle wissen nicht, wie man damit umgeht. Insofern ist das immer ein Stück weit ausprobieren und sich an Fakten entlanghangeln.
Jetzt ist die Frage: Wie gehe ich persönlich, wie geht jeder einzelne mit dieser Unsicherheit um? Der eine wird überängstlich, vielleicht sogar paranoid. Teilweise kommen die Verschwörungstheorien. Andere wiederum reagieren damit, dass sie es vollkommen negieren. Manche reagieren auch mit Aggressionen.
Sind für diese Aggressionen und vielleicht auch für die Verschwörungstheorien alle anfällig – oder jetzt zumindest anfälliger?
Da kommt es generell gesehen ein wenig darauf an, was für ein Typ ich bin. Bin ich eher ein ängstlicher Typ, dann werde ich eher paranoid reagieren und denken ‚um Gottes Willen, diese Türklinke kann mich jetzt umbringen, wenn ich sie anfasse‘ – überspitzt gesagt.
Wenn ich eher ein Mensch bin, der Schwierigkeiten hat mit Ängsten umzugehen und diese verleugnet, dann werde ich eher draufgängerisch, waghalsig und provozierend damit umgehen – und beispielsweise Corona-Partys feiern.
Wenn ich sowieso jemand bin, der extrem misstrauisch ist, dann wird es eher so sein, dass ich denke, dass das Coronavirus etwas ist, was in die Welt gesetzt worden ist, um irgendwelche politischen Ziele zu erreichen.
In einem Interview für Ihr hauseigenes Magazin sprachen Sie von einer „Spirale aus schlechter Stimmung und Grübelei“ – wie kann man sich vor dem Sog in eine Wut oder Aggression schützen?
Klugerweise ist es in Deutschland so, dass nicht alles verboten ist. Diese Freiheiten, die uns gelassen worden sind, würde ich ausreizen und nutzen. Etwa, dass ich nach draußen gehe oder mich körperlich verausgabe, wenn ich merke, mir fällt die Decke auf den Kopf und ich werde ganz unzufrieden und unruhig.
Das kann Joggen sein, das können Liegestütze sein, je nachdem, wozu ich neige oder körperlich in der Lage bin. Viele meiner Patienten sagen, ‚ich gehe dreimal am Tag spazieren‘ – da sage ich: ja wunderbar!
Wenn man immer mehr wütende Leute sieht oder Leute, die Verschwörungstheorien teilen, lässt man sich ja vielleicht auch mitreißen. Wie gefährlich schätzen Sie das gesamtgesellschaftlich ein?
Sowas kann in der Tat kippen. Auch das haben wir leider schon in den Vereinigten Staaten gesehen. Ich persönlich habe die Wahrnehmung für Deutschland noch nicht. Aber wir sind ja auch schon wieder in Diskussionen über weitere Lockerungen. Insofern glaube ich, dass die Politik das insgesamt ganz klug macht, weitergehende Öffnungen zu befürworten, um wieder mehr und mehr Normalität zu ermöglichen.
Ich glaube, dass es für die Menschen auch ganz wichtig ist – man mag zum Fußball stehen, wie man möchte –, dass auch wieder Fußballspiele stattfinden. Sodass man zumindest vor dem Fernseher wieder mitfiebern kann.
Wie gefährlich ist unter diesem Aspekt Social Media? Da wird ja viel ungefiltert geteilt – sollte man sich da lieber ein wenig zurücknehmen?
Auch da kommt es ein wenig darauf an, was ich für ein Typ bin. Bin ich jemand, der da alles aufsaugt wie ein Schwamm und das gar nicht richtig verarbeiten kann – nicht richtig schlafen kann oder Albträume hat – dann würde ich sagen: Mach‘ mal etwas anderes und beschäftige dich mit ganz anderen Themen.
Wenn ich aber jemand bin, der da eine gesunde Distanz zu hat und die Verschwörungstheorien etwa wie einen Science-Fiction-Roman liest und mehr oder minder darüber lächelt, ja gut, dann mag man sich das auch durchlesen.
Viele meiner Patienten sagen schon, dass sie nur noch einmal morgens gucken und danach gar keine Nachrichten mehr wahrnehmen. Es sei ‚nur noch Corona, Corona, Corona und ich kann’s schon nicht mehr hören und kriege nur schlechte Laune davon.‘ Wenn ich merke, dass ich so reagiere, dann ist es gut, wenn ich mich da beschränke.
Erlauben Sie mir eine etwas plakativere Frage: Dass das Coronavirus für die körperliche Gesundheit eine gewisse Gefahr birgt, ist klar. Können Sie die Gefahr des Coronavirus‘ für den Kopf und die Psyche dahinter einschätzen?
Im Moment ist das, ehrlich gesagt, noch schwer. Momentan ist es so, dass die Inanspruchnahme der Psychiatrien und Psychotherapien sehr zurückgefahren ist. Zum großen Teil, weil die Patienten die Infektion fürchten. Jetzt ist es so wie bei anderen Krankheiten auch, dass die Leute nicht in die Kliniken und Praxen kommen. Diese Menschen sind aber trotzdem krank.
Wir werden mit Sicherheit eine erhöhte Sterblichkeit sehen, weil Menschen an Folgen der Epidemie sterben, ohne jemals infiziert gewesen zu sein. Und das gilt genauso für die psychischen Erkrankungen.
Insgesamt in Nordrhein-Westfalen schätzen wir, dass wir noch eine Riesen-Welle von Menschen mit psychischen Erkrankungen bekommen, die jetzt gerade nicht in Behandlung sind. Viele werden in Folge der Epidemie die Psychiatrie und Psychotherapie mit Angsterkrankungen, Depressionen, vielleicht aber auch mit Aggressionen in Anspruch nehmen.
Es kommen jetzt immer mehr Lockerungen, vieles öffnet wieder. Das kann vielleicht auch dazu führen, dass die Leute alles nicht mehr so ernst nehmen...
Ja, das ist richtig. Ich habe lange nicht verstanden, dass Herr Drosten von einer zweiten Infektionswelle gesprochen hat. Mittlerweile verstehe ich es. Die Menschen führen sich die Zahlen vor Augen und dann kommt die Lockerung. Ich kann mir schon vorstellen, dass die Menschen etwas leichtfertig und leichtsinnig werden.
Wäre es aus psychologischer Sicht denn vertretbar gewesen, mit den Lockerungen noch zu warten? Oder sagen Sie, die meisten Menschen kommen so langsam an ihre Grenzen?
Genau das Letztere denke ich. Aus meiner kleinen Sicht heraus, ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt, die nächsten Schritte einzuleiten. So, dass man schrittweise zur Normalität zurückkehrt. Wenn die Zahlen wieder ansteigen, dann muss man natürlich nochmal neu überlegen.
Baujahr 1993, gebürtig aus Hamm. Nach dem Germanistik- und Geschichtsstudium in Düsseldorf und dem Volontariat bei Lensing Media in der Stadtredaktion Dortmund gelandet. Eine gesunde Portion Neugier und die Begeisterung zum Spiel mit Worten führten zum Journalismus.
