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Illegale Raves in der Pandemie: Wie sich die Szene in Dortmund organisiert
Partys in Corona-Zeiten
Partys wie zuletzt auf dem Hoesch-Gelände, Phoenix-West oder am Borsigplatz sind weiterhin verboten. Doch es gibt offenbar ein tiefes Bedürfnis danach. Auf den Spuren eines Pandemie-Phänomens.
Es sind Meldungen, die so vor Beginn der Corona-Pandemie nicht aufgefallen wären: „Illegale Pokal-Party am Borsigplatz“, „Illegale Feier auf Phoenix-West“ und zuletzt „Polizei löst iIlegale Techno-Party auf“.
Feiern in großen Gruppen ist seit März 2020 nicht mehr möglich. Die große Mehrheit hält sich daran. Doch für einige Menschen sind Zerstreuung, Gemeinschaft und Bewegung offenbar ein derart starkes Bedürfnis, dass sie bereit sind, die Corona-Regeln zu brechen.
Bereit, damit sich selbst, aber auch ihr Umfeld potenziell einer Infektionsgefahr auszusetzen.
Warum sind die Menschen bereit, sich für eine Feier zu gefährden?
Warum ist das so? Wer geht zu solchen illegalen Raves? Ein Einwurf an dieser Stelle: Es wird hier im Folgenden dem voyeuristischen Grundimpuls widerstanden, selbst Teil einer solchen Veranstaltung zu werden. Dies ist ein legitimer Weg, sich dem Thema zu nähern, mehrere Medien sind ihn schon gegangen.
Hier ist aber die Entscheidung gefallen, den Rahmen des rechtlich Erlaubten für eine Berichterstattung aus Gründen der Verantwortung für die eigene Gesundheit nicht zu übertreten.
Die Party auf dem ehemaligen HSP-Gelände in der Nacht vom 21. auf den 22. Mai steht sinnbildlich für eine spezielle Ausprägung dieses Phänomens. lllegale Raves, also Partys mit Techno-Musik, haben in der Corona-Pandemie eine Renaissance erlebt.
Illegale Raves gab es schon vor Corona
Es gab auch vorher schon solche Events an Orten, wo das nicht erlaubt war. Das dokumentiert unter anderem eine eindrucksvolle Foto-Serie des Dortmunder Fotografen Constantin Grolig aus dem Jahr 2019. Grolig distanziert sich ausdrücklich von der Szene, die momentan Raves veranstaltet.

Auf dem ehemaligen Hoesch-Gelände in der westlichen Innenstadt sind 50 Personen bei einer unerlaubten Party angetroffen worden. © Stephan Schütze (Archivbild)
Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden neuen Regeln des Zusammenlebens machen solche Veranstaltungen heute zu einem noch kontroverseren Thema, als sie es ohnehin schon waren.
Ein Teil der Kommunikation über die Treffen läuft erstaunlich öffentlich. Die geheimen Feiern werden in einem ersten Schritt über soziale Netzwerke wie Instagram oder Facebook organisiert.
Der Weg über soziale Medien auf die Partys ist nicht schwierig
Dort finden sich nach einer kurzen Suche Seiten, die auf „Secret Raves“ hinweisen. Eine Facebook-Gruppe gibt sich den Beinamen, „die einzig wahre“ zu sein. Der Eintritt in die Gruppe ist nach einer Anfrage möglich – auch, wenn das Profil offensichtlich Spuren journalistischer Arbeit aufweist.
Wäre ich privat hier, wäre der Weg zu einer Party jetzt nicht mehr weit. Ich müsste theoretisch nur eine Frage stellen, wie „Geht was im Raum Dortmund/Ruhrgebiet?“ Ich würde dann wohl zunächst von den Lesenden darauf abgeklopft, ob ich ein Polizist (oder Journalist) sein könnte.
Jemand würde dann mit einem Ironie-Smiley schreiben, dass hier doch niemand von gar nichts weiß. Ein anderer würde mir den Hinweis „PN“ senden, was private Nachricht bedeutet.
Ich hätte kurze Zeit später Koordinaten eines Ortes, der wahrscheinlich in einem Wald, Keller oder abgelegenen Gebäude läge. Dort, wo es möglichst wenigen Menschen auffällt, wenn viele Menschen auftauchen.
Würde mir das nicht zusagen, könnte ich es über einen der Accounts bei Instagram versuchen oder über Messenger-Dienste wie Telegram Party-Tipps bekommen.
Dortmunder sind in dieser Party-Szene aktiv
Dortmund ist im Vergleich zu anderen Großstädten wie Köln zumindest laut der Polizei kein Hotspot für solche Partys. Vor dem Pfingstwochenende war ein Fall aus dem Juni 2020 bekannt, als es schon einmal ein Treffen auf dem Hoesch-Gelände gab.
Aber es liegt im Sinn von geheimen Verabredungen, dass es mehr davon gibt, als die Ordnungsbehörden mitbekommen. Dieser Redaktion sind mindestens zwei weitere Veranstaltungen aus dem Jahr 2020 bekannt. Eine fand am Rande einer Autobahnabfahrt im Dortmunder Westen statt und blieb unbemerkt.
Belegt ist außerdem ein weiteres Treffen im September 2020 in einem Gewerbegebiet in der Nähe des Hafens. Laut Teilnehmenden hing dort ein Schild mit Verhaltensregeln.
Für den Fall von positiven Corona-Tests in einer Zeit von niedriger Inzidenz habe man Kontaktdaten auf eine Liste schreiben sollen. Ein weiterer Hinweis: Wenn Polizei kommt, solle niemand wegrennen - das würde nur Probleme bringen.
Auf den Social-Media-Kanälen diskutieren Dortmunderinnen und Dortmunder fleißig über das Thema. Es gibt „Dortmund based“ DJs, die bei Partys im Wald auflegen.
Polizeisprecherin Amanda Nottenkemper sagt zu dem Thema einige Wochen vor dem Vorfall auf dem HSP-Gelände: „Wir recherchieren natürlich auch in den sozialen Medien und durchforsten solche Gruppen. Aber lückenlos ist das nicht.“
Illegale Partys schaden seriösen Clubbetreibern und DJs
Fragt man Menschen, die mit der Clubszene und elektronischer Musik in Dortmund zu tun haben, ist bei dem Thema viel Zurückhaltung zu spüren. Die bei genauerem Nachfragen schnell in Ärger über diejenigen umschlägt, die ohne Rücksicht auf Regeln feiern.

Steffen Korthals alias DJ Dash und andere Vertreter der etablierten Elektroszene in Dortmund lehnen illegale Partys ab. © Stefan Stahlschmidt
Die illegalen Partys sind unter seriösen DJs und Clubbetreibern absolut nicht gerne gesehen. „Es ist ein heißes Eisen“, sagt Steffen Korthals, Drum-and-Bass-DJ aus Dortmund und als DJ Dash seit mehreren Jahrzehnten Teil des Dortmunder Nachtlebens. Er hält solche Partys in Corona-Zeiten für falsch. Dash weist aber darauf hin, dass aus der Untergrund-Szene in der Vergangenheit auch schon wichtige künstlerische Impulse ausgegangen seien. Er hat sich seit über einem Jahr ausschließlich auf digital gestreamte Events verlegt.
DJ Dash nimmt eine nervöse, teils fast aggressive Stimmung war. Crews, die Partys veranstalten, werden von denjenigen geächtet, die geduldig auf ein Ende der Beschränkungen warten und die Clubkultur retten wollen. Die Veranstalter illegaler Techno-Treffen wiederum kritisieren jeden, der ihre Aktivitäten hinterfragt und fühlen sich kriminalisiert.
„Dahinter stehen Leute, die nichts zu verlieren haben“
Yves Gredecki, Betreiber des Clubs „Alter Weinkeller“ und Sprecher der Interessengemeinschaft Dortmunder Club- und Konzertkultur, ist sich sicher, dass die Veranstalter der Partys nicht aus der etablierten Nachtszene kommen. Dies wäre aus seiner Sicht nicht nur gesundheitlich unverantwortlich, sondern würde vor allem jede berufliche Perspektive zerstören.
„Dahinter stehen Leute, die nichts zu verlieren haben“, sagt Yves Gredecki. Für ihn sind solche Raves aber letztlich vor allem ein Zeichen dafür, dass die Menschen sich nach Begegnung sehnen.
„Deshalb ist es auch eine Frage, wie man Alternativen für diese Menschen schaffen kann“, sagt Gredecki. Auch für Steffen Korthals führt die Debatte letztlich zur der Frage, was „Feiern“ eigentlich für die Menschen bedeutet.
Der Blick auf die Diskussion auf den „Secret Rave“-Seiten zeigt: Es gibt durchaus auch Reflektion darüber, ob das Handeln richtig oder falsch ist. Es gibt die Techno-Fans, die das unverantwortlich finden und denen ein gestreamtes DJ-Set reicht, bis wieder echte Clubnächte erlaubt sind.
Menschen auf „Party-Entzug“ und Pauschalkritik an Corona-Regeln
Schließlich gibt es diejenigen mit „Party-Entzug“, die eine gesprengte Party einfach nur für schlecht organisiert, aber nicht für grundlegend falsch halten. Pauschalkritik an den Corona-Maßnahmen kommt vor, ist aber eher eine Ausnahme.
Die Profile der Menschen hier, auch der aus Dortmund, zeigen ein vielfältiges Bild. Viele hier sind über 30. Sie zeigen sich mit Familien und im Berufszusammenhang und haben gleichzeitig ein Interesse an verbotenen Partys. Oft nur aus Interesse an der Subkultur Techno. Manchmal eben aber auch, um Regeln bewusst zu übertreten.
Was nur zeigt, dass wir es nicht mit einem Extrem-Phänomen einer Untergrund-Kultur zu tun haben. Sondern mit etwas, das Menschen in allen Teilen der Gesellschaft spüren. Dem Bedürfnis, in einer Zeit der extremen Kontrolle mal wieder loslassen zu dürfen.
Dem gegenüber steht allerdings das Zeichen, das so etwas aussendet. Wer feiert, obwohl er weiß, dass es verboten ist, wertet damit das Bemühen der anderen ab, die sich an Regeln halten.
Womit deutlich wird: Es geht nicht nur um „die Techno-Szene“ oder Hausfriedensbruch, sondern mal wieder um die Frage nach Solidarität und dem sogenannten gesunden Menschenverstand.
Seit 2010 Redakteur in Dortmund, davor im Sport- und Nachrichtengeschäft im gesamten Ruhrgebiet aktiv, Studienabschluss an der Ruhr-Universität Bochum. Ohne Ressortgrenzen immer auf der Suche nach den großen und kleinen Dingen, die Dortmund zu der Stadt machen, die sie ist.
