Clubs bleiben geschlossen, für Konzerte gelten Einschränkungen: Veranstaltungskultur, wie wir sie kannten, gibt es gerade nicht. Einige Dortmunder stellt das vor die Existenzfrage.

Dortmund

, 23.08.2020, 16:50 Uhr / Lesedauer: 5 min

Eine ganze Branche bangt um ihre Zukunft. Betreibern von Tanzclubs, Veranstaltern von Konzerten und Partys und Dutzenden weiterer Berufe fehlt seit fast einem halben Jahr die Beschäftigung.

Yves Gredecki (Betreiber „Weinkeller“), Jenny Doré (3 dog Enterntainment, organisiert Konzerte unter anderem im Musiktheater Piano), Sinischa Wichmann (Betreiber „Großmarktschänke“) und Bruno Hirschmann (Veranstaltungsagentur Et Voilá) sind nur vier Dortmunder, die von Veranstaltungen leben.

Der Interviewtermin im August 2020 gleicht streckenweise einem Selbsthilfetreffen, so viele Probleme kommen hier auf den Tisch. Am Ende steht der Eindruck: Lange geht das nicht mehr gut. Den Optimismus dafür, dass die Ausgehkultur eine Zukunft in Dortmund hat, muss man lange suchen.

Yves Gredecki (vorne l.), Jenny Doré (hinten l.), Bruno Hirschmann (hinten r.) und Sinischa Wichmann (vorne r.) leiden unter dem Verbot von Tanzverstaltungen.

Yves Gredecki (vorne l.), Jenny Doré (hinten l.), Bruno Hirschmann (hinten r.) und Sinischa Wichmann (vorne r.) leiden unter dem Verbot von Tanzverstaltungen. © Felix Guth

Seit Mitte März sind Clubs und Diskotheken geschlossen und bleiben das auch auf absehbare Zeit. Wie sieht Ihr Arbeitsalltag im Moment aus?

Yves Gredecki: Ich weiß nicht, wie oft ich meine E-Mails aktualisiere und es kommt nichts rein. Ich setze mich morgens um 8 an den Laptop, um für mich selbst wieder Dinge zu tun zu haben.

Sinischa Wichmann: Ich verbringe viel Zeit damit zu gucken, was machbar ist. Wir sind ein Familienbetrieb. Uns fehlt seit März ein komplettes Einkommen. Ich bin seit März mit dem Jobcenter zugange und dabei, irgendwie zu gucken, dass ich durchkomme. Man hat mir zuletzt einen Job an der Stanze in einer Firma angeboten.

Bruno Hirschmann: Man verbringt viel Zeit damit zu gucken, welche Hilfen da sind, man vernetzt sich.

Jenny Doré: Das ist der Tod auf Raten. Der wirtschaftliche Faktor ist offensichtlich, aber das macht auch psychisch ganz viel mit mir. Es macht mich traurig.

Was haben die öffentlichen Hilfen der vergangenen Monate gebracht?

Wichmann: Die ganzen Hilfen bekommst du über ein paar Wochen, aber unter Vorbehalt. Die ganze Branche steht im großen Nebel, hat keine Perspektive. Am Ende des Jahres knallt die Peitsche und es werden viele insolvent gehen.

„Am Ende des Jahres knallt die Peitsche.“ (Sinischa Wichmann, Großmarktschänke)

Hirschmann: Bei den Hilfen gibt es einige, die nicht berücksichtigt werden. Geschäftsführer kleiner Unternehmen haben gar keinen Anspruch auf Hilfe. Viele Unternehmen sind sehr auf Kante genäht.

Wie kommen Einnahmen herein und hilft das, die Ausfälle aufzufangen?

Doré: Im Piano haben wir den Biergarten wieder geöffnet. Die Konzert-Stammgäste kommen aus reiner Verzweiflung und Vermissung. Aber was da im Monat bei herumkommt, davon kannst du nicht leben und nicht sterben. Damit kann ich gerade einmal 60 Prozent meiner laufenden Kosten bestreiten. Für jedes Bier, was raus geht, zahle ich noch drauf. Man merkt, dass die Leute sehr zurückhaltend sind. Warum sollen sie sich einschränken mit Maske und ohne Tanzen? Wir, die es gerade riskieren, nehmen Geld in die Hand, das wir gar nicht haben.

Jetzt lesen

Wichmann: Jedes Unternehmen versucht in seiner Verzweiflung, Geld zu generieren. Generiert es Geld, kann es froh sein, wenn es seine 20 Prozent Fixkosten deckelt. Und wenn überhaupt noch Plus bleibt, wird es vom Jobcenter abgezogen. Das ist abstrus.

Gredecki: Es geht um den Bruttoumsatz und wenn du den generierst, kann es sein, dass dir die Förderung gestrichen wird. Du gehst ein Risiko ein und bekommst keine Förderung mehr.

Bisher halten die meisten Betriebe noch irgendwie durch. Wie ist das möglich?
Gredecki: Es ist in der DNA von jedem von uns verankert, dass wir Veranstaltungen machen wollen, dass wir mit Menschen arbeiten wollen, dass wir Gäste bewirten wollen. Die meisten sind Überzeugungstäter.
Jetzt lesen

Wichmann: Rücklagen für ein halbes Jahr oder länger zu bilden, ist eigentlich gar nicht möglich, weil einfach jeder die Hand aufmacht: Gema, IHK, Vergnügungssteuer. Wir haben 20 Jahre lang ein kerngesundes Unternehmen geführt, aber in ein paar Monaten ist Feierabend, wenn es keine Perspektive gibt.
„Da wird ein Deckel aufgebaut, auch beim Vermieter, der irgendwann überkippt.“ (Yves Gredecki, Weinkeller)

Gredecki: Es gibt Kollegen in unserem Kreis, die sagen: Es ist eigentlich schon viertel nach zwölf. Da wird ein Deckel aufgebaut, auch beim Vermieter, der irgendwann überkippt. Wo es irgendwann heißt: Jetzt ist Schluss, ich werde mich nicht für die nächsten 20 Jahre verschulden.

Hirschmann: Es ist ein geräuschloses Sterben. Das geht nicht durch die Medien.

Welche Wege führen aus der Krise heraus?

Gredecki: Es ist ein allgemeingesellschaftliches Thema. Keiner weiß, ob wir zum neuen Tönnies werden. Das Risiko liegt bei uns. Natürlich wollen wir alle nicht, dass sich Leute neu infizieren. Aber es muss auch für uns eine Möglichkeit geben, mit dem Virus zu leben und zu arbeiten. Wir könnten uns vorstellen, im Kleinen und mit Maske, wie es in der Schweiz gemacht wird, wieder eine Öffnung zu wagen. Und ich würde mich über eine politische Äußerung freuen: Wir wissen, dass ihr da seid. Und wir versprechen euch, dass wir die Hilfen aufrechterhalten.

Jetzt lesen

Doré: Um ein Gefühl dafür zu bekommen und ein Zeichen zu setzen, werden wir in der Herbst-Winter-Saison kleine Veranstaltungen machen. Wenn der Biergarten wegfällt, kann ich sonst dabei zugucken, wie ich den Laden Ende des Jahres abschließe.

Wichmann: Ich kenne keinen, der um jeden Preis sagt: Wir wollen jetzt aufmachen. Es gibt dafür keine Formel. Mich wundert, dass so viele versuchen dabei zu bleiben. Aber viele sind Charaktere, die das Improvisieren und Reagieren sehr trainiert haben.

Der Konzertveranstalter Marek Lieberberg sorgt gerade mit einer Veranstaltung für 13.000 Besucher in Düsseldorf für Kontroversen. Wie schätzen Sie diese Idee ein?

Doré: Er hat ein Konzept erstellt, in dem die Leute die ganze Zeit eine Maske tragen, wie in der Schule gerade auch. Die Kritik mit der Veranstaltung passiert im gleichen Atemzug mit den Diskussionen darüber, ob wir die Stadien wieder aufmachen. Marek Lieberberg kann es sich leisten und ich finde es gut, wenn er ein Zeichen setzt. Wir bekommen keine Hilfe, also müssen wir uns selbst helfen.

Die Clubs und Diskos sind geschlossen. Die Menschen feiern aber trotzdem, es gibt illegale Raves und Partys im Freien, die in anderen Städten teilweise schon in Gewalt umgeschlagen sind. Könnten Clubs dieses Problem lösen?

Wichmann: Die Leute finden schon ihre Plätze, wo sie zusammen sein dürfen, nur eben nicht bei uns. Es wird sich alles ins Private oder in die Illegalität verschieben, wenn sich nichts tut.

Jetzt lesen

Gredecki: Wir könnten es kontrollieren und reglementieren. Natürlich ist das herausfordernd. Aber wir haben auf jeden Fall mehr Möglichkeiten als es eine Wiese im Park hat. Frankfurt oder Stuttgart sind schlimme Beispiele. Aber auch in Dortmund gibt es Plätze wie die Möllerbrücke oder den Westpark. Wenn die Menschen in vier bis sechs Wochen nicht mehr draußen feiern dürfen, dann wird es interessant.

Hirschmann: Diese Partys sind ja da. Du kannst es den Leuten auch gar nicht verübeln. Das Grundbedürfnis wird bleiben.

Muss man Ausgehen und Unterhaltung mit Musik in Zukunft ganz anders denken und neue Formate mit Abstand entwickeln?

Hirschmann: Es müsste von unseren Gästen anders gefeiert werden, wir müssten ihnen Konzepte vorlegen. Das eine folgt dem anderen. Es ist nicht das Geld da, so etwas großartig probieren zu können. Ich habe das Konzept Bäumchen Wechsel dich: Das ist die Speerspitze von dem, was man nicht haben will. Leute, die durch alle Clubs laufen.

Gredecki: Ich wehre mich mit Händen und Füßen gegen Streams mit Bezahlung oder Ähnliches. Das widerspricht allem, wofür wir stehen: Kommunikation, Begegnung, Austausch.

„Das Erlebnis, die Interaktion, das kann man nicht künstlich erzeugen.“ (Jenny Doré, 3dog Entertainment)

Doré: Es gibt nichts Schöneres, als im Piano oder in anderen Läden bei deinem Lieblingskünstler in der Menschenmenge zu stehen. Das Erlebnis, die Interaktion, das kann man nicht künstlich erzeugen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat im Juli gesagt: „Sie können zuhause mit ihrer Partnerin tanzen“ und damit viele Menschen in Ihrer Branche verärgert. Hat die Clubszene zu wenig Wertschätzung in der Politik?

Hirschmann: Man hat das Gefühl, dass bei der klassischen Kultur und Clubkultur mit zweierlei Maß gemessen wird.

Gredecki: Das liegt auch an der Zielgruppe 18-25. Sie hat politisch keine Stimme und kein großes politisches Interesse. Aber erst wenn wir weg sind, wird man merken, was einem eigentlich fehlt. Wie soll ich dem jungen ITler erklären, dass er hier hinziehen soll, wenn du abends deinen Döner essen kannst und sonst nichts. Ich glaube, was wir zur Lebensqualität beitragen, ist vielen gar nicht bewusst. Ob es ein Konzert in der Westfalenhalle ist oder ein Bäumchen Wechsel dich.

Doré: Wir haben keine Lobby und brauchen mehr Aufmerksamkeit.

Was passiert, wenn es nicht mehr weitergeht: Gibt es eine persönliche Exit-Strategie?

Gredecki:
Ich würde behaupten, jeder hat schon mal eine Sekunde drüber nachgedacht.

Doré:
Nein.

Wichmann: Ich mache mir da auf jeden Fall Gedanken drüber. Meine ganze Familie hängt an den Einnahmen. Ich habe drei Kinder. Ich kann das nicht aussitzen und warten, bis ein Wunder passiert. Da muss ich die Leidenschaft hinten anstellen.

Hirschmann: Dito.

Clubszene hat sich zu einem Netzwerk zusammengeschlossen

  • Bruno Hirschmann, Jenny Doré, Yves Gredecki und Sinischa Wichmann gehören zum Netzwerk Interesssengemeinschaft Dortmunder Club- und Konzertkultur, die sich im Juni gegründet hat.
  • Hinter ihren vier Unternehmen stehen insgesamt rund 50 Angestellte sowie zahlreiche Freiberufler.
  • Den Gründungsaufruf der IG hatten rund 100 Akteure aus dem Dortmunder Nachtleben unterzeichnet. Eine offizielle Zahl der Beschäftigten in diesem Sektor gibt es nicht.
Lesen Sie jetzt