"Fackelmarsch erinnert an den Ku-Klux-Klan"
Interview mit Neonazi-Experte
Rechtsextremisten treten in Dortmund immer bedrohlicher auf. Todesdrohungen und jüngst der Fackelmarsch vor der Flüchtlingsunterkunft in Eving erwecken den Eindruck, dass der Rechtsstaat machtlos ist. Doch ist das so? Ein Gespräch mit Bernd Wagner von der Neonazi-Ausstiegshilfe "Exit Deutschland" über die Mittel des Staates, die Strategie der Neonazis und ihre Vorbilder.
Herr Wagner, Neonazis tanzen dem Rechtsstaat auf der Nase herum. Was muss in Dortmund geschehen, damit Bedrohungen gegen Flüchtlinge ein Ende haben? Das ist die Jahrhundertfrage. Wenn solch konkrete Straftaten geschehen, reicht es nicht mehr, dem mit einer roten Nelke im Knopfloch entgegenzutreten. Nach Überfällen und Bedrohungen müssen Polizei und Justiz in Nordrhein-Westfalen alles Notwendige tun, um diesen Lauf zu stoppen.
Sind dafür härtere Gesetze notwendig? Nein. Das erfordert mehr Einsatz der Repression. Alles, was den Rechtsstaat jetzt fordert, muss in einem Komplex aus Strafgesetzbuch, Strafprozessordnung, Verwaltungsrecht und Polizeigesetz eingesetzt werden. Es gilt, die Freiheit und Würde von jedermann zu schützen. Das sind die Grundaufgaben der Exekutive. Es sind die Aufgaben von Polizei, Verfassungsschutz, Innenministerium und Justizministerium.
Gewalt und Bedrohung durch Neonazis in Dortmund haben eine Tradition. Welche Funktion soll ein Fackelmarsch vor einer Flüchtlingsunterkunft erfüllen? Die Dortmunder Rechtsextremisten fahren schon seit Jahren eine Doppelstrategie aus kultureller Subversion und Militanz. Beides ergänzt sich. Sie wollen in sozialen Räumen große Unsicherheit schaffen, sie wollen die Meinungshoheit erlangen und Macht ausüben.
Nazis mit Fackeln vor eine Flüchtlingsunterkunft. Das erinnert an Brandanschläge in Mölln und Solingen in den 1990er-Jahren. Eine richtige Assoziation? Diese Assoziation ist richtig. Die Fackeln dienten den Nazis nicht zum Ausleuchten eines unübersichtlichen Geländes - die Fackeln haben einen Symbolwert und erinnern auch an den Ku-Klux-Klan (Anmerk. d. Red.: Rassistischer Geheimbund in den USA). Da weiß man dann, welcher Geist in die Wirklichkeit gebracht wurde.
Exit Deutschland hilft Neonazis beim Ausstieg aus der Szene. Gelingt das auch bei hartgesottenen Mitgliedern? Das ist nicht unmöglich. Unsere Hauptklientel sind nicht die Mitläufer zwischen 14 und 17 Jahren, sondern gestandene Rechtsextreme, die seit 5, 8 oder 20 Jahren dabei sind. Mit ihnen muss man den kontroversen Dialog suchen. Da muss Dortmund Angebote machen können. Wir sind einmal aufgefordert worden, ein Stufenprogramm für Ausstieg, Betreuung und Hilfe zu entwickeln. Das ist jedoch gestoppt worden. Aber es gibt Ausstiegsprogramme durch den Verfassungsschutz in NRW.
Was können Bürger tun? Man muss kommunal und regional kleinteilig um jeden Sozialraum ringen, dafür von Mensch zu Mensch ziehen und überall entgegenwirken, wo Neonazis auftreten. Ich halte nichts davon, eine Gegenmilitanz zu entfalten.
Müssen Neonazis rund um die Uhr bewacht werden, um Fackelmärsche wie im Stadtteil Eving und andere Straftaten in Zukunft zu verhindern? Eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung ist schwierig. Da gibt es eine große Lücke in der Gefahrenabwehr. In Deutschland hat sich die Frage, ob militante Neonazis eine strukturelle Gefährdung darstellen, noch nicht eingebürgert. Wenn man annimmt, dass Neonazis durch ihr missionarisches Handeln eine Gefahr darstellen, muss durch eine neue Rechtsinterpretation ein anderes polizeiliches Setting hergestellt werden. Wir brauchen dafür nicht andere Gesetze.