Experte rät Einzelhändlern: Lebendiger und origineller sein als die(Online-)Konkurrenten

Handelsreport Ruhr 2018

Der Einzelhandel bleibt prägend für die Entwicklung der Innenstädte und Stadtteilzentren. Doch mit Blick auf den Online-Handel ist er kein Selbstläufer mehr. Eine alte Händler-Tugend hilft.

Dortmund

, 25.10.2018, 10:00 Uhr / Lesedauer: 3 min
Dustmann in Hombruch ist ein Lifestylestore mit Wohlfühlcharakter, cool und doch behaglich, ein Besuchermagnet im größten Nebenzentrum Dortmunds.

Dustmann in Hombruch ist ein Lifestylestore mit Wohlfühlcharakter, cool und doch behaglich, ein Besuchermagnet im größten Nebenzentrum Dortmunds. © Stephan Schütze

Heinz-Herbert Dustmann, Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund, kann im eigenen Haus beobachten, dass eine besondere Gastronomie den großflächigen Einzelhandel heutzutage zur Erlebniswelt mit Magnetwirkung macht. „Die Champagner-Kaffee-Bar ist einer der best angenommenen Bereiche“, sagt er über seinen kürzlich eröffneten Lifestyle-Store in Hombruch.

4100 Quadratmeter Wohlfühl-Verkaufsfläche, verteilt über drei Etagen, das Sortiment von der oberen Mitte bis hin zu Premium-Marken - Dustmann, der Ladengestaltung auf internationaler Ebene betreibt, ist auch mit Leidenschaft Einzelhändler. Er glaubt an Nebenzentren wie Hombruch, und er glaubt an den stationären Einzelhandel. Dieser sei dem Online-Handel nicht chancenlos ausgeliefert, „wenn die Einzelhändler es richtig machen“.

„Ein bisschen London, ein bisschen Paris“

Das Konzept Waren- und Kaufhaus, auch wenn man es heute lieber neudeutsch Departmentstore oder Specialitystore nenne, sei nicht tot, sagt Dustmann. „Ein bisschen London, ein bisschen Paris in Dortmund“ - das funktioniere. Der Gründer und Vorsitzende der lokalen Werbegemeinschaft Hombruch-Forum spricht nicht nur abstrakt über die Veränderung im Einzelhandel, er erlebt sie als Beteiligter: „Ich kenne nicht nur die Probleme des Einzelhandels, ich habe sie sogar.“

Der Einzelhandel bleibe Leitbranche und Hauptmagnet und damit prägend für die zentralen Besucherbereiche in der City und den Stadtteilzentren, sagt Dustmann, aber er sei kein Selbstläufer mehr. Im gesamten Ruhrgebiet gehe die bislang überragende Dominanz des Einzelhandels zurück.

Bekenntnis zu Innenstädten und Stadtteilzentren

Das ist auch nachzulesen im IHK-Handelsreport Ruhr 2018, den Dustmann am Mittwoch als Präsident der federführenden IHK zum großflächigen Einzelhandel (ab 650 Quadratmetern Verkaufsfläche) vorstellte. Auch wenn 45 Prozent des großflächigen Einzelhandels auf der grünen Wiese liegen wie Baumärkte, Gartencenter, Möbelhäuser und Einkaufszentren, bekennen sich die sechs Industrie- und Handelskammern des Ruhrgebiets zu den Innenstädten und Stadtteilzentren als wichtige Wirtschafts- und Standortfaktoren für eine Stadt. Bluten zentrale Geschäftslagen dort aus, so Dustmann, seien die Standorte auch als Nahversorgungszentren gefährdet.

Insbesondere die großflächigen Handelsbetriebe prägen und verändern die regionalen und lokalen Standortstrukturen in hohem Maße; denn noch werden rund 90 Prozent des Einzelhandelsumsatzes in Ladengeschäften erwirtschaftet. Aber dieser Anteil sinkt.

Konsequente Standortpolitik

Dortmunds Innenstadt ist laut IHK-Handelsreport mit rund 155.000 Quadratmetern Verkaufsfläche der mit Abstand größte zentrale Versorgungsbereich im Gebiet der Ruhr-IHKs. In Dortmund mit seiner frequenzstarken Innenstadt habe sich dank der konsequenten Standortpolitik sehr viel zum Positiven entwickelt, gerade bei den großen Standortzentren, sagte Jörg Lehnerdt von der BBE Handelsberatung GmbH, die den Handelsreport erstellt: „Es hat Licht und Schatten in Dortmund, aber sehr viel mehr Licht als Schatten.“

Die stärkeren Zentren im Ruhrgebiet könnten sich im Wettbewerb zum Online-Handel behaupten, stellte Lehnerdt fest, doch bei wichtigen Innenstadtbranchen wie Kleidung, Unterhaltungselektronik und Sport erlitten sie einen Bedeutungsverlust. Die Währung der Zukunft werde Frequenz und die Qualität der Frequenz sein - ein Trend, der in beide Richtungen gehe. „Auch Amazon und andere kommen darauf, dass es gut ist, stationär dabei zu sein.“

Kundennähe und Servicequalität sind unschlagbar

Lehnerdt rät Einzelhändlern, sich auf ihre Stärken zu konzentrieren, am besten verbunden mit einem Alleinstellungsmerkmal. Kundennähe und Servicequalität seien unschlagbar, betonte der Einzelhandelsexperte: „Wie kann ich den Kunden zufrieden machen? Wie löse ich seine Probleme? Das ist die älteste Tugend im Einzelhandel“.

Ja. es gebe Beratungsklau von Kunden, die sich erst beim Fachhandel informieren und dann doch im Internet kaufen, räumt Lehnerdt ein, „aber es gibt wesentlich öfter den umgekehrten Weg, auch bei jungen Leuten.“ Den Showroom-Effekt beim sonntäglichen Schaufensterbummel solle man nicht unterschätzen: „Das suchen die Leute als Gegenentwurf zum digitalen Alltag.“ Wichtig sei der Coolness-Faktor eines Geschäfts. Lehnerdt: „Es muss lebendiger, origineller, abwechslungsreicher im Vergleich zum schnöden Online-Kauf sein.“ Auch der Dortmunder IHK-Geschäftsführer Ulf Wollrath bestätigt: „Heute zählt nicht Umsatz pro Quadratmeter, sondern Erlebnis pro Quadratmeter.“

Mehr Neueröffnungen als Schließungen

Die hohen Wachstumsraten bei den Verkaufsflächen ab 650 Quadratmetern scheinen aber der Vergangenheit anzugehören. „Neueröffnungen sind seltener geworden, finden aber immer noch häufiger statt als Schließungen,“ sagte Jörg Lehnerdt. Zuletzt hätten die Fachmärkte das Einzelhandelsgeschehen dominiert. Verlierer am Markt seien weiterhin Warenhäuser und Fachgeschäfte. So wurde in Dortmund das Boecker Mode-Center geschlossen.

Ein wichtiges strategisches Thema blieben die Expansionspläne von Möbelmärkten in einem nicht mehr wachsenden Markt, der von Konzentrationsprozessen und Übernahmen geprägt sei, sagte Lehnerdt. In Dortmund hat der Rat beschlossen zunächst nur ein weiteres Möbelhaus zuzulassen - ein XXXLutz-Möbelhaus mit rund 40.000 Quadratmetern an der Hildastraße in der Nordstadt.

Renaissance der Supermärkte in zentralen Lagen

Starke Wachstumstendenzen hat Lehnerdt bei Supermärkten ausgemacht: „Es gibt eine Renaissance von Supermärkten in den Zentrallagen. Reine grüne Wiesenstandorte scheinen auf dem Höhepunkt angekommen zu sein.

Auch bei den Discountern gebe es eine große Dynamik, so der Einzelhandelsfachmann. Seit 2001 habe sich ihre Verkaufsfläche im Ruhrgebiet auf 840.000 Quadratmeter verdreifacht. Allein im vergangenen Jahr seien 37.000 Quadratmeter hinzugekommen.

Der Handelsreport der sechs Ruhr-IHKs erscheint alle zwei Jahre. Er enthält zentrale Daten zum großflächigen Einzelhandel im Ruhrgebiet und gibt auch wichtige Hinweise zur Entwicklung im westlichen Revier. Der Report soll Diskussionsgrundlage und Entscheidungshilfe sein für Wirtschaft, Planer, Politik und Verwaltung. Das Ruhrgebiet steht laut Heinz-Herbert-Dustmann im Fokus auch internationaler Investoren. Sie nutzten es als Testfeld für die Markteinführung neuer Produkte und Betriebskonzepte. Der Einzelhandelsumsatz betrug in Dortmund im vergangenen Jahr 4,015 Milliarden Euro, erzielt auf einer Verkaufsfläche von 666.497 Quadratmetern.
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