Viele Kinder, großes Chaos, kleines Paradies Wie Unternehmerinnen die Kita-Krise managen

Zwischen Chaos und Kinderparadies: Wie Unternehmerinnen die Kita-Krise managen
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„Es ist nicht ungewöhnlich, dass Kinder hier sind“, sagt Franziska Beschorner als sie mit ihrer Mitgesellschafterin Helen Dieckhöfer am Besprechungstisch sitzt. Erst vor wenigen Monaten sind sie an den Westfalendamm in Dortmund gezogen. Das Haus wirkt eher wie ein großes Einfamilienhaus – passend zur familiären Situation der Steuerberatung. Neben der Steuerberatung betreiben sie den Instagram-Kanal „Wir lieben Steuern“, mit 50.000 Followern. Im Dachgeschoss haben Beschorner, Dieckhöfer und Sarah Klinkhammer ihr Büro, in der Etage darunter arbeiten ihre sieben Mitarbeiterinnen.

Wer ins Dachgeschoss geht, trifft am Ende der Treppe auf einen Baby-Zaun. Am Ende des Raumes gibt es eine Spielecke mit einem Schaukelpferd, einem Einkaufswagen, Büchern, einem Miniatur-Flipperautomaten und manchmal auch mit „Feel-Good-Manager“ Fritte, dem Büro-Hund. Steuerberaterin Beschorner hat selbst zwei Kinder, Sohn Carl ist dreieinhalb, Tochter Ella eineinhalb Jahre alt.

Die Situation der Steuerberaterinnen in Bezug auf die Kinderbetreuung ist angespannt. Notbetreuung aufgrund von Krankheitsfällen bei Personal oder Kindern, der allgemeine Personalmangel, kürzlich die Warnstreiks im Tarifstreit oder gar eine ganztägige Schließung: Die Kita-Krise belastet die Steuerberatung als Unternehmen.

Das führt dazu, dass die beiden Kinder von Beschorner hier schon viele Stunden auf dem Schaukelpferd verbracht haben. Doch in diesem jungen Alter schaffen es die Kinder nicht, sich oft und lange selbst zu beschäftigen. Viel interessanter sind da die drei Erwachsenen im Raum und ihre viele Unterlagen. Während Beschorner sich im Antragsportal des Bundesfinanzministeriums befindet und komplexe Steuerfragen für Mandanten regelt, kann es vorkommen, dass Sohn Carl im Strampler auf dem Schreibtisch sitzt - mit Telefonhörer in der Hand.

Zwischen Chaos und Paradies

Und so reiht sich ein Bild an das nächste: Mal sieht man einen schlafenden Carl auf dem Boden liegen. Mal sitzt eines der Kinder bei der Wirtschaftsprüferin auf dem Schoß und zieht ihr die pinkfarbene Bommel-Mütze übers Gesicht. Auch die Tastatur gehört zu den beliebten Spielgeräten der Kinder, wenn Tochter Ella nach dem Vorbild von Mutter Beschorner tippt. Was für die Kinder wie ein Paradies scheint, ist für die Steuerberaterinnen manchmal Chaos.

Eins der Kinder von Franziska Beschorner nimmt sich ihre Mutter zum Vorbild.
Eins der Kinder von Franziska Beschorner nimmt sich ihre Mutter zum Vorbild. © Privat

Es könnte kaum sinnbildlicher sein für den Alltag in dieser Steuerberatung. Eine Kaufladenkasse steht im Raum, auf dem Boden verteilt sich das dazugehörige Spielgeld, ein Einkaufwagen liegt umgestoßen im Weg. Bauklötze, Stifte und Malbücher pflastern den Holzboden. Eine offene Packung Möhren liegt auf dem Bürotisch, eine der Möhren am anderen Ende des Raums. Inmitten des Raums spielen die Kinder und umgeben von drei Bildschirmen sitzt die konzentriert arbeitende Helen Dieckhöfer.

Chaos und Paradies liegen bei Dieckhöfer & Partner in Dortmund nah beieinander, je nachdem welche Perspektive man einnimmt. Wenn Beschorner und Dieckhöfer über diese Situation sprechen, ist viel Unmut zu spüren – und viel Freude. Denn neben den Schwierigkeiten, die ihnen die Kita-Situation in Dortmund als Arbeitgeberinnen macht, sind mit dem Chaos und den Unwägbarkeiten viele positive Erinnerungen verbunden.

„Sonst kann ich nicht Vollzeit arbeiten“

Doch Zeit, die für die Kinder benötigt wird, ist auch Zeit, in der Arbeit liegen bleibt. „Kinder und Arbeit unter einen Hut zu bringen und alles zu organisieren, ist eine mentale Belastung“, sagt Beschorner. Einerseits ist da ihre eigene Situation als Mutter und Unternehmerin. Mit Glück fand sie einen Nachrückplatz mit einer 60-Stunden-Betreuung für den dreieinhalb-jährigen Carl in einer Kita in Dortmund. „Das kostet dann natürlich mehr Geld“, sagt sie.

Dennoch muss sie sich mit bösen Blicken auseinandersetzen: „Wenn ich mein Kind um 5 vor 18 Uhr aus der Kita abhole, verschiebt sich der Tag der Erzieher auch nach hinten“, erklärt sie. Den 60-Stunden-Vertrag mit Randzeiten braucht sie, um Unternehmerin sein zu können: „Sonst kann ich nicht Vollzeit arbeiten.“ Glück hatte sie auch mit ihrer Tagesmutter, die Ella betreut - auch in Randzeiten, also vor neun und nach 17 Uhr. „In vielen Kitas wird man dafür schief angeguckt, insbesondere wenn das Kind jünger als 3 Jahre ist“, sagt sie.

Chaos und Paradies liegen bei Dieckhöfer & Partner in Dortmund nah beieinander.
Chaos und Paradies liegen bei Dieckhöfer & Partner in Dortmund nah beieinander. © Privat

Dabei ist eine zuverlässige Betreuung für den unternehmerischen Erfolg von Dieckhöfer & Partner und für die Mütter in der Steuerberatung essenziell. „Wir haben fast nur Teilzeitbeschäftigte, weil die sonst alle nicht in der Lage wären, ihre Kinderbetreuung zu meistern“, sagt Helen Dieckhöfer. Vier der sieben Mitarbeiterinnen haben Kinder, sie arbeiten im Rahmen von 10 bis zu 32 Stunden in der Steuerberatung.

So heftig trifft die Kita-Krise Arbeitgeber

Welche Bedeutung die Kinderbetreuung hat, zeigen die Steuerberaterinnen exemplarisch an einem Fall. Ein wichtiger Mandantentermin in Münster bei einem mittelständischen Konzern stand an. Dann stand in einer Kita aufgrund von Krankheit und Personalmangel Notbetreuung an – für drei Tage.

Solche Termine müssen wegen der Kita-Situation ohnehin lange vorgeplant werden. „Die Terminfindung ist schwierig, weil wir auf die Öffnungszeiten der Kita und die Schichtpläne mancher Ehemänner Rücksicht nehmen müssen“, sagt Dieckhöfer. Mit der Meldung zur Notbetreuung beginnt das Chaos. Die Frauen planen um, suchen Betreuungsmöglichkeiten und verschieben den Termin: „Der Mandant war glücklicherweise verständnisvoll, aber es gibt auch welche, die das nicht so sehen.“

Die Steuerberaterinnen von Dieckhöfer und Partner haben ihren Sitz seit einiger Zeit am Westfalendamm an der B1.
Die Steuerberaterinnen von Dieckhöfer und Partner haben ihren Sitz seit einiger Zeit am Westfalendamm an der B1. © Stephan Schütze

Denn indirekt wirkt sich das auch auf das Geschäft des Mandanten aus, erklärt Beschorner: „Wenn die umsatzsteuerliche Beurteilung nicht rechtzeitig durchgeführt wird, kann das dazu führen, dass der Mandant den Auftrag nicht bekommt.“ Daher ist Flexibilität gefordert und trotz Kinderbetreuung wird dann oft im Homeoffice parallel der Laptop angemacht. Dazu kommt, dass viele Kindergärten um 16 Uhr schließen und um 7.30 Uhr öffnen. Das führt dazu, dass die Mitarbeiterinnen der Steuerberatung oft nur bis zum späten Mittag erreichbar sind, während die Mandanten sich auch nachmittags melden wollen.

Steuerberaterin aus Dortmund: „Das Kind war völlig auflöst“

Dabei bezieht sich ihre Kritik nicht auf die Erzieherinnen, auch nicht, wenn sie streiken. „Wir sind dankbar für die Leistung, die die Erzieherinnen erbringen, mit einem Lächeln mit den Kindern zu spielen und sich um sie zu kümmern - egal welche Probleme es mit der Personaldecke gibt.“ Über die Tagesmutter sagen Beschorner und Dieckhöfer sogar: „Sie ist maßgeblich für den Unternehmenserfolg mitverantwortlich.“ Doch insgesamt ist die Situation aus Sicht der Arbeitgeberinnen, „ein großes Problem für die Wirtschaft.“

Es sei „absolut unverständlich, wie ein gesellschaftlich so wichtiger Sektor, so heruntergewirtschaftet wurde“, kritisiert Dieckhöfer. Die Steuerberaterinnen sehen in der Kinderbetreuung einen Standort-Faktor: „Eine bezahlbare und gut funktionierende Kinderbetreuung macht eine Stadt richtig attraktiv für Fachkräfte.“ Dass Kinder wie bei Dieckhöfer & Partner zum Alltag gehören, sei nicht üblich, sagt Beschorner: „Es geht auch darum, für die Kolleginnen emotionale Stabilität zu gewährleisten, damit sie sich nicht zwischen Kind und Karriere entscheiden müssen.“

Die Tastatur gehört zu den liebsten Spiel-Geräten der Kinder von Franziska Beschorner.
Die Tastatur gehört zu den liebsten Spiel-Geräten der Kinder von Franziska Beschorner. © Privat

Eigentlich wünschen sich die Steuerberaterinnen, dass sich alle auf den Job konzentrieren und danach Zeit mit Kindern und Hobbys verbringen. Doch die Realität bringt auch die Kinder in traurige Situationen, erinnert sich Beschorner: „Ich winke Carl morgens immer am Fenster der Kita und schicke ihm ein Luftküsschen.“ Als sie bei der Abgabe erfuhr, dass die Kita am nächsten Tag streikt, vergaß sie das Luftküsschen: „Carl war völlig aufgelöst, weil ich schon mit der Problemlösung beschäftigt war.“

Alle bisher erschienenen Teile unserer Serie gibt es hier: rn.de/kita-check

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