„Nachrichten kommen, wenn ich schon auf dem Weg zur Arbeit bin“ Was Kita-Eltern verzweifeln lässt

„Nachrichten kommen, wenn ich schon auf dem Weg zur Arbeit bin“
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Unter der Woche ist sie alleinerziehend. Der Mann Soldat, also in der Kaserne – und Pia Otten stemmt den Alltag mit fünf Kindern, ihrem Job plus dem Abitur, das sie nebenher nachholt.

Als Mehrfach-Mama hat die 34-Jährige Erfahrungen mit vielen Kitas gesammelt. Für die Einrichtungen zweier Elterninitiativen in der Nordstadt hat sie viel Lob, auch für eine städtische Fabido-Kita im Süden, auch für eine katholische, die ein Kind früher besucht hat. „Aber so schlimm wie in der aktuellen Kita war es noch nirgendwo.“

„Superschöner, aber cleaner Neubau“

„Es ist ein superschöner Neubau, aber es ist total clean“, sagt Pia Otten. Es sei so still in diesem Kindergarten, so wenig Leben. Erst zweimal seit dem Sommer habe ihre Tochter die Matschhose dreckig gemacht. Otten findet, das müsste eigentlich häufiger passieren bei Kindern.

2023 wurde die Kita St. Clara in Körne eröffnet. Aber der Personalmangel, den es in der ganzen Branche gibt, wird hier besonders deutlich.

Platz für 95 Kinder in fünf Gruppen wäre im Haus. Doch immer noch sucht der Träger, die Katholischen Kitas Ruhr, nach Erzieherinnen oder Erziehern. Zum nächsten Monatsbeginn könnte man schon anfangen, direkt mit unbefristetem Vertrag.

Eine rothaarige Frau mit Brille schaut in die Kamera. Im Hintergrund unscharf zu erahnen: der Stadtgarten in Dortmund.
Pia Otten (34) hat fünf Kinder und Erfahrungen mit unterschiedlichen Kitas und Trägern in Dortmund. © Althoff

„Habe über 30 Kitas angerufen“

Pia Otten war zunächst froh, überhaupt noch einen Kita-Platz für ihre Tochter zu bekommen. Die sechsjährige Hannah war zurückgestuft worden und durfte im Sommer noch nicht in die Schule. Mittlerweile gab es die ärztliche Diagnose Autismus.

„Ich habe bestimmt über 30 Kitas angerufen“, erinnert sich Pia Otten. Doch entweder habe es geheißen, es gebe generell keinen Platz – oder die Kitas hätten nicht für ein Jahr einen Platz vergeben wollen. Oder sie hätte nur einen 25-Stunden-Platz haben können, keinen für 45 Stunden.

Also wurde es St. Clara in Körne – räumlich alles andere als optimal für die Fünffach-Mutter, die in Hörde wohnt und auf Bus und Bahn angewiesen ist. „Ich kann nicht einfach in 20 Minuten an der Kita sein, wenn etwas ist.“ Genau diese lange Fahrzeit aber werde immer wieder zum Problem, teilweise mehrfach pro Woche.

Schlechte Nachrichten am Morgen

„Um 7 Uhr kommen die Nachrichten, dass die Betreuung an dem Tag entweder ganz ausfällt oder verkürzt wird. Da sind die meisten Eltern aber schon unterwegs – ich auch.“ Bis zur Kita-Öffnung um 7.30 Uhr noch etwas zu organisieren, „ist ein totaler Spagat“.

Oft gebe es „völlig krumme Abholzeiten“, wie Otten es nennt: 12.30 oder 13.15 Uhr etwa. „Aber alle zahlen den 45-Stunden-Platz bis 16.30 Uhr.“ Manchmal könne ihre Mutter oder eine Freundin einspringen, aber auch die seien berufstätig. Also lasse sie Hannah oft zuhause, arbeite im Homeoffice, mittlerweile zum Unmut ihrer Chefs.

Viele wollen nur anonym sprechen

„Aber was soll ich denn machen?“ Pia Otten setzt ihre Tochter vor das Tablet, auch wenn sie weiß, dass das nicht gut ist. Doch auch hier: Wie könne es denn anders laufen bei all diesen gleichzeitigen Belastungen?

Die 34-Jährige ist eine der wenigen, die offen sprechen wollen über den Ärger mit ihrer Kita. Fast 500 Eltern haben sich an der großen Kita-Umfrage unserer Redaktion beteiligt, viele von ihnen berichten von ihrem Frust – aber die allermeisten nur anonym.

Notbetreuung an mehr als 20 Tagen

Das falle doch auf das Kind zurück, sagen sie. Man wolle doch nicht als Nestbeschmutzer gelten und man wisse doch auch, dass viele Erzieherinnen und Erzieher ihr Bestes gäben. Selbst Pia Otten sagt erst zu, nachdem sie für ihr jüngstes Kind einen Vertrag bei der Kita eines anderen Trägers unterschrieben hat.

„Jetzt habe ich ja nichts mehr zu verlieren. Wir sind ja nur noch bis zum Sommer da. Und schlimmer kann es nicht werden.“

Benjamin Gottstein kennt die Zurückhaltung der Eltern, sich öffentlich zu äußern. Aber intern bekommt er sie immer und immer wieder zu hören. Gottstein ist Vorsitzender der Kita-Elternschaft in Dortmund, die offiziell „Jugendamtselternbeirat“ heißt. Und der 38-jährige Vater weiß: „Das System ist massiv auf Kante genäht.“

Benjamin Gottstein, Vorsitzender der Kita-Elternschaft in Dortmund, steht vor einer Kirche und schaut in die Kamera.
Benjamin Gottstein (38) ist Vorsitzender des Jugendamtselternbeirats, also der Kita-Elternschaft von Dortmund. © Althoff

„Druck an die Familie weitergegeben“

Das zeige sich, sobald die Erkältungswelle beginne. Fallen in den Kitas mehrere Erzieherinnen oder Erzieher aus, folgen augenblicklich kürzere Öffnungszeiten oder komplette Schließungen von Gruppen. Oft heiße es von den Kita-Leitungen oder Trägern, man könne die Betreuung nur noch für Berufstätige anbieten. Das heißt also“, so Gottstein, „da wird der Druck an die Familie weitergegeben.“

„Bestimmt an 20 oder 30 Tagen gab es bei uns schon eine Notbetreuung“, sagt ein Vater aus dem Nordwesten Dortmunds, der mehrfach darauf besteht, nicht namentlich genannt zu werden. „An diesen Tagen ist es so geregelt, dass die Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil zu Hause ist, nicht in die Kita kommen dürfen.“

Immer dieselben Kinder zuhause?

Wenn aber immer dieselben Kinder zu Hause blieben, wie könne der Bildungsauftrag bei ihnen wahrgenommen werden? „Dazu kommt, dass die Arbeitslosigkeit statistisch gesehen bei Personen mit Migrationshintergrund häufiger vorkommt. Gerade Kinder mit Migrationshintergrund bräuchten aber doch die Kita, um die Sprache zu lernen und sich besser zu integrieren. Was können diese Kinder dafür, dass es die Eltern schwerer haben, einen Job zu finden?“

Seine Frau und er dürften zwar den Nachwuchs in die Kita schicken, aber „in dieser Woche an zwei Tagen nur bis 15, nicht bis 16 Uhr“. Solche Situationen hätten schon eine konkrete Auswirkung gehabt: Seine Frau habe auf der Arbeit einen Aufgabenbereich abgeben müssen.

Müssen Fortbildungen sein?

„Die Notbetreuung wird zur Regel“, schreiben andere Eltern. Sie finde nicht nur bei Krankheitsausfällen statt, sondern auch „bei parallelem Urlaub und Fortbildungen“ im Kreis der Erzieher. Eltern arbeiteten also, wenn möglich, aus dem Homeoffice – „mit Kleinkindern eine Doppelbelastung“. Wer könne, spanne die Großeltern ein. „Wer keine hat, steht vor großen Herausforderungen.“

Stimmt das? Wieso genehmigen einige Träger ihren Mitarbeitern Fortbildungen, wenn die Basis-Betreuung nicht über den üblichen Zeitraum gewährleistet werden kann? Christoph Müller, Kita-Referatsleiter beim Evangelischen Kirchenkreis argumentiert so wie die Vertreter anderer Kita-Träger auch: Man habe einen Bildungsauftrag, den man nur wahrnehmen könne, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch gut aus- und weitergebildet seien.

Kita-Träger: „Eltern haben Ängste“

Er verstehe den Ärger und Frust der Eltern. „Mein Team hat mittlerweile fast ausschließlich mit Beschwerden zu tun. Die Eltern haben Ängste: ‚Ich verliere meinen Job, ich kann das nicht kompensieren‘.“ Doch Müller sagt auch: Das Problem ließe sich nur mit mehr Personal lösen – und dazu bräuchten er und die anderen Träger mehr Geld vom Land NRW.

Benjamin Gottstein stimmt zu. Jetzt im Frühjahr, wo die Krankheitswelle abebbe, „merken wir in den Kitas, dass es besser wird. Aber das bedeutet nur: Es ist von einem sehr schlechten Zustand zu einem schlechten Zustand geworden.“ Bessere Ausstattung, mehr Mitarbeiter, eine bessere Bezahlung – das alles sei zwingend erforderlich, mahnt Gottstein.

Kita-Platz schon im Kreißsaal gesucht

„Die ersten sechs Lebensjahre sind das wichtigste Lernalter.“ Und Deutschland sei angewiesen auf die „Ressource Bildung“. Doch die Realität ist: Nicht nur die Ausstattung könnte besser sein. Auch das Rennen um die Plätze in den vermeintlich besten Kitas beginnt extrem früh.

„Meine Jüngste habe ich schon im Kita-Portal der Stadt angemeldet, als ich noch im Kreißsaal war“, sagt Pia Otten. Bis zum Sommer ist die Anderthalbjährige noch bei Tagesmüttern, danach geht es in eine private Kita. Die Fünffach-Mama ist guter Dinge: Beim nächsten Kita-Träger werde es hoffentlich besser.

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