Tragen Eltern Mitverantwortung daran, dass Kita-Gruppen so oft geschlossen werden oder Betreuungszeiten gekürzt werden müssen? Es ist ein heikles Thema.
Zum einen wissen alle, die in einer der 333 Kindertageseinrichtungen in Dortmund arbeiten oder als Träger verantwortlich sind, dass die allermeisten Kita-Eltern berufstätig und auf eine verlässliche Betreuung angewiesen sind. Zum anderen sehen sie aber auch, dass Eltern ihre Kinder zuweilen in die Kita schicken, obwohl das weder für das eigene Kind noch für die anderen Kinder und Beschäftigten in der Kita gut ist.

Dirk Knüvener zum Beispiel. Er arbeitet in der Fachbereichsleitung des Caritasverbandes, der zwölf Kitas in Dortmund betreibt. Er sagt: „Wir sind natürlich, ohne den Schwarzen Peter in irgendeine Richtung zu schieben, darauf angewiesen, dass wir keine kranken Kinder in die Einrichtung bekommen. Sonst haben wir irgendwann einen Teufelskreis. Man darf nicht vergessen, dass wir in einer Kita in einem Virus- und Bakteriennetz sitzen. Wir verstehen die Nöte der berufstätigen Eltern, aber kranke Kinder gehören nicht in die Kita.“
Die unterschätzte Belastung einer U3-Betreuung
Die Leiterin einer Fabido-Kita berichtet im Gespräch: „Wir kennen den Druck schon, unter dem Eltern stehen. Den spüren wir. Klar, dann kommen Kinder auch krank in die Kita. Aber wenn Kinder wirklich krank sind, rufen wir die Eltern an, dass sie ihr Kind abholen.“
Es ist ganz offensichtlich ein Problem, mit dem sehr viele, wenn nicht alle Kitas in Dortmund zu kämpfen haben. Auch Johanna Lensing-Wolff* spricht das Thema vor allem in Bezug auf den U3 Bereich sehr klar an. Sie ist Geschäftsführerin der Trägergesellschaft für die Montessori-Kita „Barbara House“ und sagt: „Die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, die junge Eltern stark prägen, haben einen großen Anteil daran, dass die tatsächliche Belastung einer U3-Betreuung für Kinder, Eltern und Arbeitgeber total unterschätzt wird.“
Im Vergleich zu früher sei es für Eltern schwieriger geworden, sagt sie, und spricht gerade in Bezug auf die U3-Betreuung von einem echten Dilemma: der Wunsch oder auch die Notwendigkeit, früh in den Beruf zurückzugehen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite der Anspruch an sich selbst, die perfekte Mutter, der perfekte Vater sein zu wollen. „Dieses Anspruchsdenken bringt oft eine extreme Belastung junger Eltern mit sich.“
Wenn das Kleinkind dann auch noch krank werde, sei das Dilemma da. Im Idealfall sollten die Eltern dann ja nicht nur die Interessen des Kindes und ihre eigenen berücksichtigen, sondern auch noch das Wohl der anderen Kinder und das der Erzieherinnen in der Kita im Blick haben. „Je nach familiärer und beruflicher Situation gelingt das manchen Eltern besser als anderen. Ein verständiger Arbeitgeber kann hier viel Druck rausnehmen, wobei durch die viele Abwesenheit von Mitarbeitern beim Arbeitgeber die nächste Not, das nächste Dilemma entstehen kann.“
Die 48-Stunden-Regel
Bei den allermeisten, sicherlich mehr als 95 Prozent der Eltern, stoße man dabei auf großes Verständnis, aber eben nicht bei allen, sagt Johanna Lensing-Wolff. „Wenn beispielsweise ein Kind Fieber entwickelt und spuckt, dann bitten wir die Eltern, ihr Kind abzuholen und 48 Stunden nicht in die Kita zu bringen.“
In solchen Situationen müsse man letztlich im Interesse aller konsequent bleiben: „Unsere 48-Stunden-Regel dient dazu, weitere Ansteckungen im Fall eines Magen-Darm-Virus zu verhindern. Es wird leider immer mal wieder versucht, diese Regel zu missachten“, sagt Johanna Lensing-Wolff.
Aus Sicht der Eltern sei das verständlich, da dann gleich wieder Kinderkrankentage benötigt würden: „Hier entsteht wieder das Dilemma zwischen Interesse der Einrichtung, Erzieher und weitere Kinder zu schützen, und dem Arbeitsdruck der Eltern, mit den Kinderkrankentagen sorgsam umzugehen.
„Für die Kinder ist ein Kita-Tag wie ein Arbeitstag für uns.“
Die Erzieherin Julienne Godehardt aus dem Familienzentrum Hokido e.V. an der TU schließt sich dieser Einschätzung grundsätzlich an: „Wir haben verständige Eltern, aber wir haben natürlich auch Eltern, die ihre Kinder kränkelnd in die Kita bringen. Das haben wir in jeder Einrichtung. Dann sprechen wir die Eltern an und versuchen denen zu erklären, was Sache ist. Wir appellieren dann an die Eltern. Auch aus der Sicht des Kindes. Man kennt das auch als erwachsene Person von sich selber. Wenn man krank ist, dann fühlt man sich auf der Arbeit auch nicht wohl. Und für die Kinder ist ein Kita-Tag wie ein Arbeitstag für uns.“
Und dann bestehe eben die Gefahr, dass ein krankes Kind andere Kinder oder auch die Fachkräfte anstecke: „Und wenn wir als Fachkräfte alle ausfallen, dann haben die Eltern gar keine Betreuungsmöglichkeiten mehr.“
Petra Kern, die das Familienzentrum Emscherwichtel in Mengede leitet, sagt: 90 Prozent der Eltern seien in solchen Fragen einsichtig, aber eben nicht alle: „Wir sind da ganz hart. Wir rufen die Eltern an und wir lassen die Kinder auch abholen, wenn wir merken, dass ein Kind krank ist“. Man setze dabei immer auf gute, ruhige Gespräche: „Wir sagen ganz offen: Leute, wenn ihr uns die kranken Kinder schickt, haben wir irgendwann ein Problem. Dann ist irgendwann der Laden ganz dicht und dann könnt ihr auch nicht arbeiten gehen, dann bleibt doch lieber den einen Tag zu Hause.“
„Alle stehen unter Druck“
Auch eine weitere Kita-Leiterin aus dem Dortmunder Süden bestätigt, dass es ein großes Problem mit Eltern gibt, die ihre Kinder auch dann zur Kita schicken, wenn sie nicht wirklich fit sind: „Ich glaube, die Erfahrung machen wir mittlerweile alle, weil halt alle unter Druck stehen, dass sie arbeiten gehen müssen. Sie lassen nach einer Erkrankung ihre Kinder halt nicht mehr so ganz gesund werden, wie das früher der Fall war. Und sobald es eben geht, werden die dann wieder in die Kita geschickt.“ Mit den entsprechenden Folgen nicht nur für das eigene Kind, sondern auch für andere Kinder und Beschäftigte in der Kita.
Das sehen übrigens nicht nur die Kita-Verantwortlichen so, sondern auch Eltern. Viele Eltern, die sich an unserer Umfrage beteiligt haben, üben zwar Kritik an geschlossenen Gruppen, Notbetreuung und reduzierten Betreuungszeiten, überschütten aber oft zugleich die Erzieherinnen und Erzieher mit Lob.
Und dabei sehen sie zuweilen durchaus, dass einige Eltern selbst mitverantwortlich sind, wenn der Haussegen in einer Kita schief hängt. Ein Elternteil, das leider seinen Namen nicht genannt hat, merkte in unserer Umfrage an: „Die armen Erzieherinnen müssen die genervten Eltern ertragen. (…) Wir dürfen unsere Erzieher nicht verbrennen.“
Alle erschienenen Teile unserer Serie „Der große Kita-Check“ finden Sie hier: rn.de/kita-check
*Transparenz-Hinweis: Johanna Lensing-Wolff ist mit Lambert Lensing-Wolff verheiratet, dem Verleger und Geschäftsführer der Ruhr Nachrichten.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 12. April 2025.
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