Die Marke Markt bröckelt

Wochenmarkt in Dortmund

Wochenmärkte werden immer kleiner. Markthändler stehen in Konkurrenz zu Discountern, Lebensmittel-Ketten und mittlerweile auch zu Online-Riesen. In Dortmund setzen Verwaltung und Politik auf ein neues Konzept.

Dortmund

, 07.02.2018, 17:44 Uhr / Lesedauer: 5 min
Niels Schulte, Sprecher der Dortmunder Markthändler, an seinem Obststand auf dem Hansaplatz.

Niels Schulte, Sprecher der Dortmunder Markthändler, an seinem Obststand auf dem Hansaplatz. © Dieter Menne Dortmund

In das akkurat und appetitlich aufgeschichtete Obst und Gemüse möchte man reinbeißen. Nebenan duften Waffeln, am Stehtisch gibt’s Kaffee. Gegenüber kann man sich zum frischen Fisch auch gleich noch einen Rezepttipp holen. Am Olivenstand treffen sich die Häppchenjäger, und kurz vor Schluss beginnt die Zeit der Schnäppchenjäger.

Der Wochenmarkt ist ein Kleinod. Ein Stückchen Heimat. Ein Gefühl. Doch die Idylle trügt – der Kampf um die Kunden wird immer härter für die Händler. Bundesweit gibt es rund 3300 Wochenmärkte. Aber in den letzten zehn Jahren sind die Märkte teilweise um bis zu 50 Prozent geschrumpft. „Es gibt einen dramatischen Rückgang von Händlern“, sagt Gerhard Johnson. Der Wirtschaftsprofessor ist Vorstandssprecher der Marktgilde und einer der wenigen, die sich dem Phänomen Wochenmarkt auch wissenschaftlich gewidmet haben.

Freie Standplätze auf fast allen Marktplätzen

„Früher standen die Händler Schlange vor den Märkten“, sagt Johnson. Wenn der Markt voll war, mussten viele wieder kehrtmachen. Heute gebe es auf bis zu 80 Prozent der Marktplätze freie Standplätze.

In Dortmund gibt es 13 Wochenmärkte, einer in der City auf dem Hansaplatz, die übrigen in den zwölf Stadtbezirken. Auch sie weisen Lücken auf, vor allem an den Markttagen in der Wochenmitte. Neben den Nachwuchssorgen der Händler sei das auch ein hausgemachtes Problem, sagt Niels Schulte, Sprecher der Dortmunder Markthändler: „Viele Markthändler kommen nur samstags, wenn es brummt.“ Um das zu verhindern, so Schulte, müsste die Stadt die Marktsatzung ändern. In Münster zum Beispiel bestehe Präsenzpflicht.

„Wir müssen uns auf unsere Stärken besinnen“, sagt Patricia Witt-Mudersbach, Chefin im „Markt-Kaffee“.

„Wir müssen uns auf unsere Stärken besinnen“, sagt Patricia Witt-Mudersbach, Chefin im „Markt-Kaffee“. © Gaby Kolle

Die Gründe für den Rückgang seien vielschichtig, sagt Wirtschaftsprofessor Johnson. Markthändler zu sein, das ist ein Knochenjob, die klassischen Händlerfamilien sterben aus. Ein Markthändler geht nicht mit 65 in den Ruhestand – viele stehen noch mit weit über 80 Jahren hinter ihrem Stand. „Und deren Kinder wollen sich den Knochenjob oft nicht antun“, weiß Johnson.

Ein typischer Markttag beginnt für die Händler bei Wind und Wetter um 2 Uhr nachts, dann Einkauf beim Großmarkt, einladen, aufbauen, verkaufen von morgens bis mittags, abbauen, einlagern und dann noch die Buchhaltung. Hinzu kommt, so Johnson: „Der Wettbewerb im Lebensmittelhandel ist brutal.“

Kunden schätzen Waren aus der Region

Laut einer Online-Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ist es 37 Prozent der Deutschen beim Einkauf von Lebensmitteln am wichtigsten, dass die Produkte aus der Region stammen. Auf regionale und frische Produkte sowie die Nähe zum Kunden setzen aber auch die Ketten, bieten regionale Produkte, haben Parkplätze vor der Tür und Millionen-Etats, um ihre Ware zu bewerben. Für Johnson ist klar, dass viele kleinere Märkte verschwinden werden.

Auch Niels Schulte sieht bislang für die Zukunft der kleinen Märkte in den Stadtbezirken schwarz. Gut laufe nur der Markt am Hansaplatz, der Nordmarkt, der Markt in Mengede und mit Abstrichen auch der in Hombruch. Und seit der Markt in Eving vom Marktplatz an der Deutschen Straße in die Evinger Mitte an der Evinger Straße verlegt wurde, sei der Zulauf auch dort besser geworden.

Auf dem Nordmarkt tobt das Leben

Während selbst der Wochenmarkt auf dem Hansaplatz mittwochs und freitags große Lücken aufweist, reiht sich am Nordmarkt Stand an Stand, tobt das Leben wie auf einem orientalischen Basar. Weil es hier so gut läuft, wurde für den Nordmarkt jetzt ein dritter Markttag eingeführt.

Für die anderen Märkte müsse man sich etwas einfallen lassen, sagt Niels Schulte. Neue Konzepte zum Beispiel. Ein solches hat die Wirtschaftsförderung der Stadt für nächstes Frühjahr angekündigt. In der Überlegung ist ein Feierabendmarkt im Brückstraßenviertel.

Kreative Lösungen gefragt

Bis vor Kurzem lag das Marktgeschehen noch allein in der Verantwortung des Ordnungsamtes, doch das sah sich bei der Suche nach kreativen Lösungen nicht zuständig oder zumindest überfordert. Die Wochenmärkte sind für die Stadt mit der gesetzlich vorgeschriebenen Kostendeckung bei aktuellen Standgebühren von 1,55 Euro pro Quadratmeter nicht mehr zu betreiben. Beim wiederholten, erfolglosen Versuch der Verwaltung, deshalb die Standgebühren zu erhöhen, hatte die Politik stattdessen immer wieder ein Marktkonzept angemahnt, auch nachdem im Jahr 2016 ein freitäglicher Feierabendmarkt mit Wein- und Imbissständen, Sitzgelegenheiten und saisonalen Angeboten nach nur zwölf Wochen gescheitert war.

Siegbert Panteleit entwickelt neue Veranstaltungsformate für Wochenmärkte, wie Feierabend- oder Regionalmärkte. „Zu den typischen Marktzeiten in der Woche arbeiten die meisten Menschen“, erklärt Panteleit die Idee. „Da müssen die Städte kreativer werden.“

Öffnungszeiten den Einkaufsgewohnheiten anpassen

Das sieht auch Niels Schulte so: „Man muss die Öffnungszeiten in den Außenbezirken verändern, die Märkte dort erst nachmittags öffnen, damit die Leute nach der Arbeit dort einkaufen können. Die Einkaufsgewohnheiten haben sich geändert. Darauf muss man reagieren.“

„Man muss auch mal was Neues ausprobieren, sagt Niels Schulte, Sprecher der Dortmunder Markthändler.

„Man muss auch mal was Neues ausprobieren, sagt Niels Schulte, Sprecher der Dortmunder Markthändler. © Dieter Menne Dortmund

In Großstadtzentren aber funktioniere ein Feierabendmarkt nicht, ist der Dortmunder Marktsprecher überzeugt. Beispiele seien Hamburg und Köln. Auch in Dortmund liege der Markt auf dem Hansaplatz zu nah am Alten Markt mit seinem breiten Gastronomieangebot. Bei den Märkten in den übrigen Stadtbezirken müsste man die Einschränkungen für den Ausschank lockern, schlägt Schulte vor: „Man muss auch mal was Neues ausprobieren.“

Märkte müssten das sein, was sie immer waren, sagt Siegbert Panteleit: nicht nur ein gut sortierter Supermarkt unter freiem Himmel, sondern auch „Orte des sozialen Austausches und der Gemeinschaft“.

Markt ist ein Treffpunkt

Solch ein Treffpunkt ist auf dem Hansaplatz das Markt-Kaffee von Patricia Witt-Mudersbach. Gefühlt ist sie schon ewig hier. Sie sagt, seit 30 Jahren. Jeden Mittwoch kommt eine bis zu 30-köpfige Gruppe des Josefinenstifts vom Ostwall beim Einkauf für seine Kochrunde auf einen Kaffee und eine Waffel vorbei. Die Seniorinnen rücken hier die Tische zusammen, „wie es für sie am besten passt“, sagt Witt-Mudersbach.

Auch Rentner Thomas Wilk kommt mit seiner Frau und Hund Basco alle paar Wochen zum Dortmunder Wochenmarkt und zum Markt-Kaffee. „Wir trinken gern unseren Kaffee hier und nehmen die ‚Dortmunder Mischung‘ mit,“ erzählt er, „früher gab es noch einen kleinen Stand mit frischem Hundefutter.“

"Glas Wein zum Fisch muss erlaubt sein"

Ein guter Wochenmarkt sei ein "gut sortierter Supermarkt unter freiem Himmel“, sagt Panteleit. Dafür sei es wichtig, einen guten Warenmix und eine hohe Aufenthaltsqualität zu schaffen. Erfolgreiche Märkte bieten das: Der Plausch beim frisch gebrühten Kaffee aus der lokalen Rösterei, vegane oder vegetarische Angebote oder die Currywurst vom örtlichen Metzger, so es ihn noch gebe – das locke auch das jüngere, ernährungsbewusste Publikum wieder auf den Wochenmarkt.

Eine weitere Chance sei es, zu gucken, welche Läden in den Innenstädten fehlten. „Das bietet Chancen für die Wochenmärkte, diese Lücken zu schließen.“ Dazu müssten aber auch Ordnungsämter bereit sein, Sondernutzungen für die Wochenmärkte zu erlauben – sei es für Textilien oder Lederwaren, oder „auch das Glas Wein zum Fisch“, sagt Panteleit.

Junge Food-Start-ups erobern die Märkte

Was die Experten freut: Junge Food-Start-ups entdecken inzwischen die Lücken auf den Märkten für sich. Panteleit beschreibt diese so: Das sind gut ausgebildete Fachleute, die sich mit ihren Produkten auskennen. Die wissen, was Zitronen mit der Mafia in Palermo zu tun hatten, die wissen, wie Leinenfischer arbeiten, wie ein Koberind aufwächst und die wissen, wie die Apfelsorte Freiherr von Berlepsch einen Raum mit seinem Duft ausfüllen kann.

„Die Menschen wollen nicht nur erstklassige Lebensmittel, sondern auch die Geschichten dazu.“ Die Geschichten können zum Gesprächsstoff beim Essen mit der Familie und Freunden werden. Das alles hänge auch vom Wissen der Markthändler ab.

Treue Stammkunden

Patricia Witt-Mudersbach freut sich über ihre treuen Stammkunden, doch die größte Schwierigkeit und Herausforderung sieht sie darin, junge Leute für den Markt zu interessieren. Auch ein Markt lebe und müsse sich verändern. „Wir müssen selbst etwas tun, um bei jungen Leuten das Bewusstsein für gesundes Essen und Einkaufen zu wecken, ihnen zu vermitteln, dass solch ein Einkaufen mit Sinn und Verstand nicht lästig ist“, sagt sie. Kunden könnten hier mit den Händlern und Inhabern sprechen und bekämen so Informationen aus erster Hand über die Waren. Witt-Mudersbach: „Wir müssen uns auf unsere Stärken besinnen.“

Das bestätigt Siegbert Panteleit. Das Wissen um die Herkunft der Ware, das persönliche Gespräch mit dem Kunden, das sei immer noch das Pfund, mit dem Markthändler gegenüber der Konkurrenz wuchern könnten. Wissen schafft Vertrauen. Das ist angesichts von immer wieder aufkeimenden Lebensmittelskandalen nicht zu unterschätzen. Als zuletzt das Pflanzenschutzmittel Fipronil in Eiern entdeckt wurde, verzeichneten Eierhändler auf den Märkten ein deutliches Umsatzplus.

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