Betrug im Namen der Gesundheit - 800 Fälle
Falsche Abrechnungen
Am Ende bezahlt der Patient die Rechnung - in Form höherer Beitragssätze für seine Krankenversicherung. Es geht um Betrug im Gesundheitswesen. Allein die Ermittler der Krankenkasse AOK Nordwest in Dortmund verfolgen über 800 Fälle.

Verlockung Abrechnungsbetrug: Von schwarzen Schafen im Gesundheitssystem holte allein die Krankenkasse AOK in den vergangenen zwei Jahren 3,4 Millionen Euro Schadensersatz zurück.
Krankenkassen ermitteln gegen Ärzte, Apotheker, Kliniken und Pflegedienste. Der Grund: Betrug im Gesundheitswesen. In den letzten zwei Jahren erstritt die Allgemeine Ortskrankenkasse 3,4 Millionen Euro Schadensersatz.
So deckten die AOK-Ermittler in dieser Region zum Beispiel einen Fall auf, bei dem ein Apotheker unbenutzte Produkte der künstlichen Ernährung von verstorbenen Patienten zurücknahm und diese ein zweites Mal mit der Krankenkasse abrechnete. Im laufenden Ermittlungsverfahren konnte die AOK eine Schadensregulierung für alle Krankenkassen in Höhe von 1,2 Millionen Euro erzielen.
Etliche Fälle in Dortmund
Die meisten Krankenkassen legen ihre Jahresbilanz den Aufsichtsgremien erst in der nächsten Woche vor, aber es zeichnet sich bei allen ab, dass es in Fällen von Abrechnungsbetrug schwarze Schafe aus allen Bereichen der Gesundheitsversorgung gibt – gleich ob Arzt, Klinik, Apotheker, Pflegedienst oder Physiotherapie.
Etliche Fälle spielen in Dortmund, das bestreiten weder Krankenkassen noch die Kassenärztliche Vereinigung. Nur Ross und Reiter nennen sie nicht. Mit Schweigen reagiert die Apothekerkammer Westfalen-Lippe.
Kein Informationen
Auf eine Anfrage der Redaktion, inwieweit auch Dortmunder Apotheker in den Fokus zu möglichen Betrügereien gerückt seien, kam die schriftliche Antwort von Sprecher Sebastian Sokolowski: „Leider muss ich Sie da enttäuschen: Dazu haben wir als Kammer keine Informationen.“
Bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Westfalen-Lippe gibt es die „Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen“. KV-Vorsitzender Dr. Wolfgang-Axel Dryden zog auf der Vertreterversammlung Anfang März Bilanz der letzten zwei Jahre: Es gingen 53 Vorgänge neu ein, während aus den Jahren zuvor noch 33 Fälle anhängig waren. Dryden sagte: „Die neuen Vorgänge beruhen überwiegend auf anonymen Eingaben, Hinweisen aus dem Haus oder von Krankenkassen.“
Luftrezepte
Schwerpunktmäßig gehe es um Falschabrechnung und Abrechnungsbetrug (34 Fälle). Auch um unzulässige Kooperationen von Ärzten (7) und ungenehmigte Filialpraxen (6). Von 55 erledigten Altfällen waren 20 schwerwiegend. In elf davon ermittelt noch der Staatsanwalt, es gab sechs Disziplinarverfahren, 13 Honorarrückforderungen. Letztere beliefen sich auf 322.246,23 Euro.
„Luftrezepte“ – also solche, bei denen Arzneimittel zwar abgerechnet, aber nie geliefert wurden –, erfundene Behandlungen und manipulierte Rechnungen sind es, die bei den Kassen Alarm auslösen. Seit zwölf Jahren geht die AOK mit einer eigenen Ermittlungsgruppe Hinweisen auf Fehlverhalten nach. Allein in den beiden letzten Jahren gingen 488 neue Hinweise ein.
Mehrere Patienten zeitgleich abgerechnet
In mehreren Fällen konnte Pflegediensten nachgewiesen werden, dass sie Leistungen abgerechnet haben, die von einzelnen Pflegefachkräften zeitgleich bei mehreren Patienten und an unterschiedlichen Orten erbracht wurden. Zwei Pflegedienste haben daraufhin jeweils über 100.000 Euro an die Kasse zurückgezahlt. In einem Fall erstritt die AOK – auch noch für andere Kassen mit – 600.000 Euro von nur einem Dienst.
Die Krankenkassen mahnen das Anti-Korruptionsgesetz an. Es sieht vor, dass Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen im Strafgesetzbuch verankert werden. Es wurde noch immer nicht von der Bundesregierung verabschiedet.