Annika (40) aus Dortmund: „Ich möchte, dass offen über Armut geredet wird“
#ichbinarmutsbetroffen
Tausende Menschen leben in Dortmund in Armut. Annika ist eine von ihnen. Sie erzählt am Rande einer Demonstration, was das eigentlich heißt - und was ihr helfen würde.
Manchmal passiert etwas, das das eigene Leben fundamental ändert - unerwartet, unverschuldet. So war es bei Annika. Die heute 40-Jährige hat im Rettungsdienst gearbeitet, ist darin aufgegangen. Dann bricht sie in einem Krampfanfall zusammen. Wird als arbeitsunfähig eingestuft, fällt in Grundsicherung. Heute lebt sie von 389 Euro im Monat - Miete, Heiz- und Stromkosten bereits abgezogen.
„Man rechnet immer bei allem mit, das ist ein Dauerstress“, sagt Annika am Rande einer Demonstration von Menschen, die ebenfalls wenig Geld haben und sich unter #ichbinarmutsbetroffen nicht nur im Internet zusammenfinden.
Auch das soziale Stigma sei groß. „Armut wird von der Politik und in den Medien oft dargestellt, als wäre sie etwas, für das man selbst verantwortlich ist und wofür man sich schämen sollte. Das ist falsch.“ Auch andere Teilnehmende der kleinen Demonstrationen sagen, sie legen Wert darauf, dass man ihnen die Armut nicht ansieht.
Vor Gericht um weiter arbeiten zu dürfen
Seit 2012 bekommt Annika Grundsicherung. Aus dem Hartz-IV-System ist sie herausgefallen. Das System hat zum Ziel, Menschen wieder in Arbeit zu bringen - Annika ist aber arbeitsunfähig. Die Alternative, eine Rente, greift für sie ebenfalls nicht, weil sie die dafür notwendigen 60 Monate sozialversicherungspflichtiger Arbeit nicht ansammeln konnte.

Die Gruppe bei der Demonstration am Samstag ist eher klein. Armut ist immer noch eng mit Scham verbunden. © Bastian Pietsch
„Gegen die Arbeitsunfähigkeit bin ich sogar vor Gericht gezogen, weil ich das nicht wahrhaben wollte“, sagt Annika. Doch das bestätigt die Einstufung aufgrund körperlicher und geistiger Erkrankung. Irgendwann wieder arbeiten zu können, darauf hofft Annika trotzdem noch - zumindest ein bisschen.
Gemüse nicht mal mehr, wenn es im Angebot ist
Insbesondere in den zurückliegenden Monaten hat sich die Geldknappheit für Annika noch mal verschärft. „Im August bekomme ich meine Heizkostenabrechnung. Ich möchte mich jetzt schon vor dem Brief verstecken.“ Die 200 Euro, die Grundsicherungsempfänger als Entlastung in der Krise bekommen haben, habe sie dafür zur Seite gelegt. Ob das reicht, ist fraglich.
Im Supermarkt mache sich die Verteuerung bemerkbar. „Sich gesund zu ernähren, ist mit Grundsicherung oder auch Hartz IV sowieso schon unmöglich“, meint Annika. „Wenn ich jetzt einkaufen gehe hat zum Beispiel Obst und Gemüse, das ich mir früher im Angebot mal leisten konnte, den Preis, den es vorher ohne Angebot hatte. Das geht nicht mehr.“
Sie kenne Menschen, die über Wochen nur Nudeln essen, sagt Annika. Ihr haben in der Vergangenheit bereits Freunde Lebensmittel geschenkt. Einen Platz bei der Dortmunder Tafel habe sie nicht bekommen.
Wie lebensfern die Sätze mancher Sozialleistungen sind, zeigt Annika am Beispiel des Hartz-IV-Satzes. Dieser sieht etwa einen Euro pro Monat für Bildung vor. „Wer sich also ein Buch kaufen will, müsste da monatelang drauf sparen.“
Eine einfache Lösung
„Ich möchte, dass offen über Armut geredet wird“, sagt Annika. „Wir verstellen uns oft und werden von der Politik auch nicht gesehen.“ Deshalb sei sie am Samstag (9.7.) zu der Demo an die Katharinentreppe gekommen. Geschichten wie ihre finden sich auf Twitter unter dem #ichbinarmutsbetroffen zuhauf.
Was würde Annika helfen? „Der Grundsicherungssatz müsste gehoben werden.“ Es ist naheliegend, dass es Menschen, die wenig Geld haben, am meisten helfen würde, mehr Geld zu haben. Nicht viel Geld, aber eben genug für ein Leben, das Menschen die nie Armut erlebt haben, „normal“ nennen würden.