Die Dortmunder Schauspiel-Intendantin Julia Wissert: Die Ausrichtung ihres Spielplans stößt in der Politik auf Kritik, aber auch auf Zuspruch.

Die Dortmunder Schauspiel-Intendantin Julia Wissert: Die Ausrichtung ihres Spielplans stößt in der Politik auf Kritik, aber auch auf Zuspruch. © dpa

Ärger ums Schauspiel Dortmund: „Wir kannten das Risiko“

rnTheater Dortmund

Zwei von drei Sitzen bleiben leer: Die wenigen Zuschauer im Schauspiel waren nun Thema im Kulturausschuss. Es gab Zuspruch für Intendantin Julia Wissert, aber auch Kritik – und Forderungen.

Dortmund

, 02.06.2022, 06:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Mit großer Mehrheit war Julia Wissert 2019 vom Rat zur neuen Dortmunder Schauspiel-Intendantin gekürt worden. Genau drei Jahre später gibt es Diskussionen um ihren Kurs, nachdem die Zuschauerzahlen beim Schauspiel während der Pandemie deutlich stärker eingebrochen sind als in den anderen vier Sparten des Theaters Dortmund.

In den ersten neun Monaten der aktuellen Spielzeit hatte das Schauspiel eine Auslastung von nur 27,44 Prozent. Bei der Oper dagegen sind es 48 Prozent, beim Ballett 61 Prozent und beim Kinder- und Jugendtheater fast 71 Prozent.

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Ute Mais, kulturpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, sprach von „alarmierenden Zeichen“. Man sei nicht glücklich mit der Intendanz. Ihre Fraktion habe mit Julia Wissert gesprochen und ihr nahegelegt, auch auf die klassische Sparte zu setzen. Eine „gewisse Bodenständigkeit“ sei wichtig, die werde auch nachgefragt. Mais: „Es ist fünf nach zwölf.“

Raum für diverse und queere Realitäten

Julia Wissert ist angetreten, das Schauspielhaus von innen und nach außen zu einem offenen, diversen und vielschichtigen Ort zu machen, mit Stückentwicklungen, vielfältigen Aktionen sowie Kunstformen und Raum für diverse und queere Realitäten. Das trifft aber offensichtlich bislang nicht den Geschmack des breiten Publikums.

Barbara Brunsing, kulturpolitische Sprecherin der Grünen und wie Ute Mais Bürgermeisterin, warb um mehr Zeit für die Intendantin. Ansprüche an die Intendanz dürfe man haben, doch Julia Wissert habe sie in schwierigen Zeiten übernommen. Man solle die Besucherzahlen über einen längeren Zeitraum ermitteln und auch andere Formate wie die digitalen mitberücksichtigen. Brunsing: „Die Theaterlandschaft ist im Umbruch. Man sollte Julia Wissert die Chance geben, ihre Ideen zu entwickeln und uns dabei mitzunehmen.“

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So sah es auch Silvya Ixkes-Henkemeier (SPD): „Die SPD-Fraktion möchte Frau Wissert definitiv motivieren, einfach auf ihrem Weg weiterzumachen.“ Auch wenn man Zahlen im Blick behalten müsse, solle Politik sich aus der Programmgestaltung heraushalten: „Ein künstlerisches Programm soll künstlerisch bleiben.“

Kulturdezernent sieht „legitime Botschaften“

Kulturdezernent und Stadtdirektor Jörg Stüdemann sah in der Kritik an den geringen Auslastungszahlen „legitime Botschaften“, die Sorge könne er nachvollziehen, bat aber um „ein bisschen Fairplay“ für die junge Intendantin. „Alle wollen gute Besucherzahlen haben. Es gibt keine Ambitionen, ein Haus leer zu spielen.“

Für das Schauspiel gebe es kein Vorbild. Auch Wisserts Vorgänger Kay Voges habe anfangs viel Kritik einstecken müssen. Stüdemann: „Wenn Profile sich verändern, kann es dazu führen, dass sich das Publikum verunsichert fühlt.“ Als Intendanz müsse man die Chance haben, sich über eine gewisse Zeit zu erproben.

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„Wir kannten das Risiko, als wir Frau Wissert ausgewählt haben“, sagte Stüdemann. Das finanzielle Risiko habe bei 100.000 bis 200.000 Euro gelegen. Die Situation des Theaters Dortmund insgesamt sei wegen Corona „dramatisch“. In der Spielzeit vor Corona habe das 5-Sparten-Haus Einnahmen und begleitete Einnahmen von 5,5 Millionen Euro gehabt. Und selbst bei der ohnehin schon abgesenkten Planzahl von 3 Millionen Euro für die laufende Spielzeit lande man nach der Prognose am Ende nur bei 1,5 Millionen Euro für Musiktheater, Ballett, Schauspiel, Kinder- und Jugendtheater sowie Konzertwesen.

Schauspiel mit dem kleinsten Teil an Einnahmeverlusten

Das Schauspiel mache dabei nur den kleinsten Teil aus, so der Kulturdezernent. Die größten Einschläge bei den Zuschauerzahlen gebe es dort, wo das Publikum älter sei, weil sich die Leute aus Angst vor Infektionen nicht ins Theater trauten.

Nicht um die Einnahmen beim Schauspiel müsse man sich Gedanken machen, sondern wie das Theater insgesamt die verloren gegangenen Einnahmen kompensieren könne.

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Für das Schauspiel laute die Frage: „Was kann man verbessern, um eine Resonanz zu erreichen auf das Profil, was sich Julia Wissert ausgedacht hat“, sagte Stüdemann. Sie werde sich sicherlich entsprechende Gedanken zusammen mit ihren Leuten machen.

Pohlmann (CDU): Publikum nicht abschrecken

„Wir erwarten eine höhere Auslastung, nicht mehr Einnahmen“, stellte Joachim Pohlmann (CDU) klar. Er selbst gehörte zur Findungskommission, die Julia Wissert ausgewählt hat. Ihr Programm sei durchaus interessant, sagte Pohlmann. Aber sie dürfe das interessierte Publikum, das sie von Voges übernommen habe, „nicht abschrecken, sie muss es mitnehmen. Das Publikum besteht nicht nur aus queeren und diversen Leuten, sondern auch aus weißen Männern.“

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Was die CDU-Fraktion zusätzlich beunruhigt: Auch für die kommende Spielzeit 2022/23 ist die Auslastung für das Schauspiel nur mit 41 Prozent geplant. Dabei geht das Theater bei der Einnahmeplanung davon aus, dass keine Einschränkungen bei den Platzkapazitäten bestehen.

„Die Prognose wird zu niedrig angesetzt“, kritisiert Pohlmann. „Unsere Sorge ist, dass wir bei zunehmend schlechteren Finanzen etwas tun müssen.“