
Gerade mal 33,05 Prozent Auslastung hatte das Schauspiel bisher in der Spielzeit 21/22. Das Bild zeigt eine Szene aus „Das Spiel ist aus“ von Jean-Paul Sartre. © Birgit Hupfeld
Dortmunder Schauspiel laufen die Zuschauer weg – drei von vier Plätzen leer
Theater
Das Dortmunder Schauspiel unter Intendantin Julia Wissert ist in der Gunst der Zuschauer abgestürzt. Ein Grund ist Corona. Das ist es aber nicht allein. Die Politik fordert Konsequenzen.
In einem YouTube-Video vom Oktober vergangenen Jahres erklärt die Dortmunder Schauspielintendantin Julia Wissert, worauf sie sich besonders freut: „Endlich wieder vor einem komplett ausverkauften Saal spielen zu können.“
Dass dieser Wunsch bislang nicht in Erfüllung gegangen ist, zeigen die neuesten Zahlen, die das Theater Dortmund nach den ersten neun Monaten der aktuellen Spielzeit dem Ausschuss für Kultur, Sport und Freizeit zur nächsten Sitzung am 31. Mai vorlegt. Im Gegenteil: Unter Julia Wissert, die im Sommer 2020 die Intendanz übernommen hat, laufen dem Schauspiel die Zuschauer weg.
Gerade mal 33,05 Prozent Auslastung inklusive Freikarten hatte das Schauspiel bisher in der Spielzeit 21/22. Rund jede fünfte Karte war eine Freikarte, darunter fallen allerdings auch Karten für das jeweilige Team. Rechnet man diese Freikarten heraus, schrumpft die Auslastung sogar auf 27,44 Prozent. Im Vergleich zu den anderen Theatersparten ist das ein sehr schlechtes Ergebnis.
Kinder- und Jugendtheater mit mehr Einnahmen als Schauspiel
Wie dem Schauspiel hat die Corona-Pandemie auch dem übrigen Theater zugesetzt, doch die Oper hatte noch eine Auslastung von 48,13 Prozent, das Ballett von 60,99 Prozent und das Kinder- und Jugendtheater (KJT) von 70,63 Prozent. Das KJT hatte sogar mehr Einnahmen als das Schauspiel, trotz geringerer Zuschauer-Kapazität und im Schnitt nur halb so hoher Eintrittspreise.
Diese Zahlen rufen die Politik auf den Plan. „Es ist an der Zeit zu schauen, warum es das Schauspiel nicht mehr schafft, eine Besucherquote von mindestens 50 Prozent zu erreichen“, sagt die kulturpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion und Bürgermeisterin, Ute Mais.
Unter dem ehemaligen und mittlerweile verstorbenen Intendanten Michael Gruner habe Dortmund noch ein gut besuchtes Schauspielhaus vorweisen können, so Mais, unter seinem Nachfolger Kay Voges seien die Besucher zwar weniger geworden, aber das Theater habe mit seinen Aufführungen eine Strahlkraft weit über die Grenzen Dortmunds hinaus gehabt.
Politik fordert Publikumsmagneten
Die Bürgermeisterin: „Jetzt haben wir weder das eine, noch das andere. Wenn Kultur nicht mehr genug Menschen erreicht und man Häuser mit Freikarten füllt, muss man mal intensiver die Frage beleuchten, was Kultur kosten sollte.“
Angesichts leerer Schauspielsäle sieht Mais ein weiteres Problem: „Während volle Theater-Vorstellungen sich einer stetig hohen Nachfrage erfreuen, haben halbleere Säle den Nachteil, dass kaum jemand über die Vorstellungen spricht oder sich nicht motiviert fühlt, ins Theater zu gehen.“

Julia Wissert hat für die neue Spielzeit auch Klassiker und Populäres angekündigt. © dpa
Ihre Fraktion, so Mais, wünsche sich ein Programm, das – bei aller Kulturfreiheit der Intendanz – auch Stücke aufführe, die Publikumsmagneten werden: „Unser Anspruch für das Schauspiel muss doch sein, dass wir Menschen aus den umliegenden Städten nach Dortmund ziehen, weil hier das Theater einen erstklassigen Ruf hat.“
Ehinger: Zahlen stammen aus der Hochzeit der Pandemie
Kultur sei schon immer von Subventionen abhängig gewesen, räumt Mais ein, sagt aber mit einem Seitenhieb auf Wisserts Bemühen, auch andere Menschen als das Bildungsbürgertum ins Theater zu bringen, Dortmund habe immer den Anspruch gehabt, als Großstadt seinen Bürgern das „komplette Kulturprogramm“ anzubieten.
Vor dem Hintergrund, dass Dortmund 2010 Teil der Kulturhauptstadt Ruhrgebiet gewesen sei, erwarte man „entsprechende Ideen anstelle einer Auslastungsprognose von durchschnittlich 41 Prozent für die Spielzeit 2022/23“, fordert Mais.
Tobias Ehinger, Geschäftsführender Direktor des Theater Dortmund, erklärt dazu auf Anfrage, die Zahlen bezögen sich vor allem auf den Winter, die Hochzeit der Pandemie, in der das Theater insgesamt viel weniger Einnahmen und Zuschauer gehabt habe als vor Corona.
Wissert kündigt auch Klassisches und Populäres an
Die absoluten Zahlen des Schauspiels sind laut Ehinger nicht so signifikant. Man müsse die Differenz zu anderen Sparten sehen. In Deutschland lägen die am besten ausgelasteten Theater bei einer Quote von 50 Prozent.
Auch wenn im Vergleich dazu die Zahlen des Dortmunder Schauspiels aus den ersten drei Quartalen der aktuellen Spielzeit noch mal fast halbiert sind, sei es „der falsche Zeitpunkt, das frei zu bewerten“, sagt Ehinger mit Verweis auf eine Gemengelage. Es habe eine Rolle gespielt, dass Julia Wissert, die sich einen neuen Kurs vorgenommen hatte, die Intendanz in der Pandemie übernehmen musste. Diesen Kurs habe sie in der Pandemie nicht durchziehen können.
Wissert hat bereits auf die Abstimmung mit den Füßen reagiert. Bei der Vorstellung der Spielzeit 2022/23 unter dem Motto „Post-Wut“ kündigte sie auch klassische und populäre Elemente an – neben bekannten Stücken wie Büchners „Woyzeck“ und Shakespeares „Was ihr wollt“ Uraufführungen renommierter Regisseure wie Bonn Park und Sanja Mitrović.
„Es war ein Wunsch unseres Publikums, schöne Geschichten auf der Bühne zu sehen“, erklärte Wissert. Und in Zeiten, in denen die Auslastung nicht gut sei, müsse man solche Wünsche ernst nehmen.
Stellvertretende Leiterin der Dortmunder Stadtredaktion - Seit April 1983 Redakteurin in der Dortmunder Stadtredaktion der Ruhr Nachrichten. Dort zuständig unter anderem für Kommunalpolitik. 1981 Magisterabschluss an der Universität Bochum (Anglistik, Amerikanistik, Romanistik).
