
© Lydia Heuser
Rund 80.000 Bäume werden digital von der Stadt erfasst
Baum-Serie
Henning Mehr ist Baumkontrolleur der Stadt und erfasst den Zustand der Stadtbäume digital. Volontärin Lydia Heuser hat ihn begleitet und sich das digitale Baumkataster angeschaut.
Über 20 Meter ragen die Äste der Eiche in Richtung Himmel, der Stamm hat einen Durchmesser von über einem Meter. Baum 2101703 steht seit etwa 90 Jahren auf der Wiese vor der VHS und dem Gymnasium Petrinum.
Baumkontrolleur Henning Müller tippt die Daten in sein Tablet ein. Für die Amerikanische Roteiche erfasst er die Angaben zum Zustand das erste Mal digital; mit über der Hälfte der rund 80.000 Bäume, für die die Stadt Dorsten verantwortlich ist, haben Henning Müller und seine drei Kollegen das bereits getan. Das Ziel des Grünflächenamtes ist es, ein digitales Baumkataster zu erstellen, in dem jeder Baum, jede Grünfläche verzeichnet ist.
Jeder Baum bekommt eine Nummer
Henning Müller umkreist Baum 2101703 in ausreichend großem Abstand, um ihn in seiner Gänze sehen zu können. „Der Vitalitätszustand ist gut für einen älteren Baum, der in einem städtischen Kontext wächst“, urteilt er.
Einen ersten Mangel sieht der Baumkontrolleur dann doch. Oben in der Krone hängt ein loser Ast, verheddert in anderen Ästen und droht abzustürzen. „Der muss sofort entfernt werden“, sagt Müller. Im gleichen Baum hat er einen Totholz-Ast entdeckt, der nicht sofort, aber dennoch beizeiten herausgeschnitten werden muss. Henning Müller tippt den Arbeitsauftrag in sein Laptop, nimmt sein Fernglas zur Hilfe und sucht den Baum auf weitere Mängel ab.
Die Verkehrssicherungspflicht liegt bei der Stadt, sie hat dafür Sorge zu tragen, dass kein loser Ast auf Autos fällt oder gar Passanten trifft. Auch aus diesem Grund tragen die Baumkontrolleure penibel jeden Arbeitsschritt, jeden Mangel des Baums in die digitale Akte ein.
Fällen oder nicht?
Eins ist dem Baumexperten besonders wichtig: „Die Verkehrssicherheit geht immer vor. Dennoch fällen wir auch angeschlagene Bäume nie leichtfertig. Es ist immer ein Abwägungsprozess, ob ein Baum unter Berücksichtigung der Verkehrssicherung erhalten werden kann. Auf jeden Fall dürfen die Bürger von uns Sicherheit erwarten, soweit Mängel erkennbar und vorhersehbar sind – egal ob sie ihr Auto parken, eine Straße entlangfahren oder als Fußgänger unterwegs sind.“
Nach Krone und Stamm kontrolliert Henning Müller den Wurzelanlauf der Eiche. „Die Stammwalze geht leider zylindrisch in den Boden, sodass ich den Wurzelanlauf nicht sehen kann“, erklärt er. Ein Fehler früherer Jahrzehnte; in den 1970er-Jahren sei es nicht unüblich gewesen, die Bäume am unteren Bereich mit Erde anzuschütten.
Wollen Baumexperten heute die Standfestigkeit des Baums kontrollieren, müssen sie einen sogenannten Sondierstab nutzen und die Wurzeln erfühlen. Müller sticht mit einem langen Metallstab ins Erdreich, dorthin, wo er die Wurzeln der Eiche vermutet. Er ist erleichtert, seine Vermutung bestätigt sich: Der Baum steht fest und die Erdschicht ist nicht besonders dick.
Jeder grüne Punkt ist ein Baum
Im Grünflächenamt der Stadt hat Svenja Risthaus von ihrem PC aus Zugriff auf alle bisher digital erfassten Bäume. Jeder grüne Punkt auf der Karte steht für einen Baum. Ein Klick und die „Fallakte“ in der Datenbank öffnet sich: lateinischer Name, geschätztes Alter, wann der Baum wieder kontrolliert werden muss, sein Zustand. Alle Informationen tauchen auf dem zweiten Bildschirm von Svenja Risthaus auf. „Das Ampelsystem zeigt auf einen Blick den Kontrollfortschritt des Baums.“ Rot bedeutet, dass der Baum einen Schaden hat. Gelb zeigt an, dass er ausgelesen und die Baumpfleger beauftragt sind. Steht der Auftrag auf Grün, ist er abgearbeitet.

Svenja Risthaus verwaltet die Daten der Baumkontrolleure und überführt sie in eine interaktive Karte. © Lydia Heuser
Selbst junge Bäume sind in der Datenbank verzeichnet. „Rein rechtlich sind wir als Kommune nicht verpflichtet, Bäume, die jünger als 15 Jahre sind sind, per in Augenscheinnahme zu kontrollieren“, erklärt der Leiter des Grünflächenamts, Martin Hollstegge. Dorsten macht es trotzdem. Die Pflege in den Anfangsjahren zahle sich später aus, wenn der Baum eben keine Mängel und Zeichen von Trockenheitsstress aufweist, weil er zum Beispiel zusätzlich gewässert wurde.
Die mit der Datenbank verknüpfte Karte soll den unterschiedlichen Ämtern der Stadt als Werkzeug dienen, um auf einen Blick detaillierte Informationen zu erhalten. Das sei unter anderem für die Nachverfolgung der Pflegeintervalle der Bäume relevant.
Vermitteln zwischen den Bedürfnissen von Dorstenern und Bäumen
„Wir sehen uns als Vermittler zwischen den Bedürfnissen des Baumes und der Bürger“, erklärt Martin Hollstegge. Damit zielt er auf zweierlei ab: Zum einen auf den Natur- und Artenschutz. Muss ein Baum gefällt werden, versucht die Stadt, den Termin im Sinne der dann nicht mehr brütenden Vögel auf den Winter zu verlagern. Stirbt ein Baum, der nicht unmittelbar zur Gefahr für Passanten und Autos werden kann, erhält das Grünflächenamt den Baum, soweit es möglich ist. Beispielsweise lassen die Baumpfleger den Stamm stehen, den dann Insekten, Vögel oder Fledermäuse erobern können.
Zum Zweiten liegt dem Grünflächenamt daran, die Bäume zu pflegen, damit es den Menschen trotz steigender Temperaturen in der Stadt nicht zu heiß wird. „In unseren Städten wird es durch die Klimawandel immer heißer werden und Bäume sorgen für die Feuchthaltung der Luft“, so Hollstegge.
Weitere Folgen der Baum-Serie:
Geboren und aufgewachsen im Bergischen Land, fürs Studium ins Rheinland gezogen und schließlich das Ruhrgebiet lieben gelernt. Meine ersten journalistischen Schritte ging ich beim Remscheider General-Anzeiger als junge Studentin. Meine Wahlheimat Ruhrgebiet habe ich als freie Mitarbeiterin der WAZ schätzen gelernt. Das Ruhrgebiet erkunde ich am liebsten mit dem Rennrad oder als Reporterin.
