
© Barbara Seppi
Rotes Sofa: Hochrangiger Theologe war zu Gast in Dorsten
Gesprächsrunde
„Kirche sollte darauf setzen, Menschen nicht allein zu lassen, auch wenn sie Entscheidungen fällen, die die Kirche nicht teilt.“ Ein hochrangiger Theologe war am Sonntag in Dorsten zu Gast.
Im Anschluss an den ökumenischen Gottesdienst am Sonntag hatten die evangelische Martin-Luther-Gemeinde und der Hospizfreundeskreis Dorsten eingeladen, sich mit den Themen Sterbehilfe, Sterbebegleitung und der Palliativmedizin zu beschäftigen.
„Plötzlich ändert sich alles“, Claudia Kiehl, die Leiterin des Ambulanten Hospizdienstes in Dorsten, fasste anschaulich zusammen, was die Diagnose einer unheilbaren, nicht mehr therapierbaren Krankheit und damit verbundene Endlichkeit des Lebens für die Betroffenen, ihre Familien und ihr gesamtes Umfeld bedeutet.
Gespräch mit Nikolaus Schneider
Seit rund 20 Jahren unterstützt in Dorsten der Hospizfreundeskreis die wichtige Arbeit der haupt- und ehrenamtlichen Helfer und die Palliativstation im St. Elisabeth-Hospital. Der Vorsitzende Lambert Lütkenhorst moderierte nun das Gespräch mit dem hochrangigen Theologen Nikolaus Schneider, der von 2010 bis 2014 Vorsitzender der Evangelischen Kirche Deutschlands war, und dem Palliativmediziner Dr. Jan Gerrit Voigt, um die Stärkung der Hospizarbeit zu untermauern.
Seitdem das Bundesverfassungsgericht eine Tür zur organisierten Sterbehilfe aufgetan hat, befindet sich die Kirche im Zwiespalt. Das verfassungsmäßige Recht auf Hilfe zum Suizid ist nicht mit dem Glauben vereinbar. Aber: „Kirche darf sich nicht in den Schmollwinkel verziehen“, sagte Nikolaus Schneider. „Wir können uns der Diskussion nicht verweigern, wir müssen die Entscheidung akzeptieren, damit die Institution Bundesverfassungsgericht keinen Schaden nimmt. Das ist eine Frage des Respekts.“
Kirche sollte Menschen nicht allein lassen
Kirche sollte darauf setzen, Menschen nicht allein zu lassen, auch wenn sie Entscheidungen fällen, die die Kirche nicht teilt. Die Besucherinnen und Besucher in der Martin-Luther-Kirche spürten: Schneider ist authentisch. Der Theologe hat seine 22-jährige Tochter an den Krebs verloren und auch seine Frau ist erkrankt, seine Betrachtungen sind nicht bloße Theorie.
In seiner Predigt zuvor hatte er lange über „verantwortliches Handeln eines jeden Einzelnen“ geredet, das sei die wahre Nachahmung Gottes. „Verlorenes suchen, Verwundetes verbinden, Verirrtes zurückbringen, Schwaches stärken und Stärke wertschätzen“
Patienten Angst vor Schmerzen nehmen
Dieser Einsatz für den Nächsten ist das, was den Palliativdienst ausmacht. Dr. Jan Gerrit Voigt erläuterte, wie die Ärzte der Dokumentationspflicht und der Transparenz nachkommen, wie sie Patienten Angst vor Schmerzen nehmen, Sicherheit geben, psychologisch auffangen und damit Lebensqualität bis zum Tode aufrecht halten. „Der Wunsch nach Suizid wird dann seltener.“
Aktuell können 80 Prozent aller vom Palliativdienst (PKD) Dorsten-Marl-Herten assistierten Menschen in ihrem Zuhause im Kreis der Familie sterben, zehn Prozent in den Hospizen. „Das ist eine gute Zahlenbilanz“, stellte Voigt fest.
Daher gelte es, weitere Strukturen schaffen und Bestehende zu unterstützen. Und auch die Angehörigen auf diesem Weg und später bei der Trauerarbeit nicht zu allein zu lassen, sei ein Teil der Aufgaben.
„Das alles kostet viel Geld und wir müssen von der Politik einfordern, dass sie die Hospizarbeit stärkt“, sagte Lütkenhorst mit Hinblick auf die neue Bundesregierung. „Dazu habe ich im Koalitionsvertrag leider nichts gelesen.“