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Der Ukraine-Krieg bringt Dorstener Senioren schlimme Erinnerungen zurück
Angst und Sorgen
Der Ukraine-Krieg beherrscht die Nachrichten. Bei vielen alten Menschen weckt das Erinnerungen an die schlimmsten Zeiten ihres Lebens. War „Nie wieder Krieg“ ein tragischer Irrtum?
Sie haben den Zweiten Weltkrieg erlebt. Ihre Kindheitserinnerungen sind womöglich verknüpft mit Flucht und Vertreibung. Sie waren vielleicht in Kriegsgefangenschaft und haben geliebte Menschen verloren. Im Jahr 2022 weckt der Ukraine-Krieg bei vielen alten Menschen schlimme Erinnerungen.
In den Seniorenheimen ist das Thema Krieg plötzlich allgegenwärtig. Im Caritas-Seniorenzentrum St. Anna zum Beispiel auch durch Pflegepersonal aus der Ukraine. Karen Schulte, Leiterin des Sozialdienstes: „Unsere Kollegen machen sich natürlich große Sorgen um die Lage in ihrem Heimatland. Es gab auch schon einen sehr erfolgreichen Spendenaufruf. Die Sammlung von Sachspenden für Transporte in die Ukraine haben unsere Bewohner positiv begleitet.“ Die Erinnerung daran, wie es einst war, „als der Russe kam“, bringt ihnen das Leid der Menschen in der Ukraine 77 Jahre nach Kriegsende besonders nah.
Manchmal hilft nur eine Pause von den Nachrichten aus der Ukraine
Viele von ihnen können schließlich mehr als nur erahnen, wie es den Menschen im Kriegsgebiet oder auf der Flucht gerade geht. Manche können die Nachrichtenflut kaum aushalten, wünschen sich zumindest mal eine Pause.

Manchmal sind die Bilder und Nachrichten vom Krieg nicht mehr auszuhalten. © picture alliance/dpa
Karen Schulte ist in der Einrichtung für die biografischen Erzählkreise zuständig. Sie berichtet: „Ich frage zu Beginn einfach nach, ob wir über die aktuellen Ereignisse sprechen wollen oder die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich lieber eine thematische Auszeit nehmen wollen. Oft wählen sie die Ablenkung von den bedrückenden Themen.“
„Nie wieder Krieg“ - daran haben alle lange geglaubt
Zugleich ziehe es die Bewohner immer wieder zurück in ihre Zimmer, wo sie die aktuelle Nachrichtenlage im Fernsehen verfolgen, um nichts zu verpassen. Es sei mehr die Fassungslosigkeit darüber, dass der Lebenswunsch „Nie wieder Krieg“ jäh unerfüllbar geworden sei, als akute Angst vor Krieg, die die Menschen bewege, berichtet Karen Schulte. „Ja, unsere Bewohner machen sich Sorgen“, sagt Schulte, „sie haben großen Respekt vor der Kriegsgefahr, sorgen sich auch um die Wirtschaft, die Gasversorgung und die Spritpreise.“
Es sei jedoch nicht so, dass der Krieg das Alltagsleben in der Einrichtung beherrsche. Für den großen Teil der 152 Bewohnerinnen und Bewohner in den sechs Wohnbereichen seien die alltäglichen Dinge ihres Lebensumfeldes nicht in den Hintergrund gerückt. „Und wir sorgen dafür, dass sie trotz der schlechten Nachrichten freudige Momente erleben“, erklärt Karen Schulte. Zum Beispiel mit einem Schlagernachmittag in der Sonne an einem der schönen Tage in dieser Woche. Und wer Angst und Zorn nicht in der Gruppe besprechen will, darf seine Sorgen einfach mal in Einzelgesprächen mit den Betreuern „rauslassen“.
Nach Corona und Flut jetzt auch noch Krieg
Dass das Thema Krieg im Bellini-Seniorenzentrum in Hervest nicht im Mittelpunkt steht, liegt an der dortigen Bewohnerstruktur. Einrichtungsleiterin Anke Bartels-Sprenger erklärt: „Der überwiegende Teil unserer Bewohnerinnen und Bewohner ist stark dement. Die bekommen das gar nicht mehr mit und haben mit sich selbst genug zu tun. Denen zwingen wir das Thema auch nicht auf.“
Die orientierten Senioren dagegen seien selbstverständlich besorgt, suchten auch das Gespräch mit anderen und mit den Betreuern und Pflegekräften. Corona, die Flut und jetzt auch noch Krieg - gute Nachrichten sind an ihrem Lebensabend ein knappes Gut geworden. Anke Bartels-Sprenger: „Das ist zu viel für diese Generation. Manche können sich die Bilder gar nicht mehr ansehen.“
Angehörige sollten sich bewusst machen, dass vor allem ihre allein lebenden Eltern oder Großeltern gerade Gesprächsbedarf haben und es so halten, wie die Profis in den Heimen: „Wir lassen niemanden mit seinen Sorgen allein“, verspricht Karen Schulte.
Geboren und geblieben im Pott, seit 1982 in verschiedenen Redaktionen des Medienhauses Lensing tätig. Interessiert an Menschen und allem, was sie anstellen, denken und sagen.
