Die Kirche hinter sich zurücklassen: Das tun heute viele Menschen. In den 60er-Jahren tat das schon Bernhard F., weil er sich als Homosexueller nicht mehr wohl in ihr fühlte. (Symbolfoto)

© Karl Fredrickson / unsplash.com

Castrop-Rauxeler wuchs katholisch auf: Sein Schwulsein, sein Ausstieg

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Die Kampagne „Out in Church“ sorgt in der katholischen Kirche für Aufsehen. In der Kirche sein und homosexuell: Geht das? Heute eher als einst. Ein schwuler Castrop-Rauxeler erzählt von früher.

Castrop-Rauxel

, 11.02.2022, 20:55 Uhr / Lesedauer: 2 min

Er wurde 1942 geboren. Seine Eltern und Großeltern lebten das Leben einer hochkatholischen Familie. Sie verehrten Priester und erst recht den Papst. In dieser Systematik kam Homosexualität nicht vor. Bis der Sohn, als er 26 Jahre alt wurde, sein Outing hinter sich brachte. Einer in der Familie hielt eng zu ihm. Von der Kirche aber löste er sich. Bis heute.

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Mitten im Zweiten Weltkrieg kam Bernhard F. (Name von der Redaktion geändert) in einer katholisch-autoritären Familie des Ruhrgebiets zur Welt. Einer, „die alle Traditionen der römisch-katholischen Kirche lebte“, sagt er heute: „Dieser Logik zufolge waren Mutter und Vater Mitglieder im Kirchenchor der Pfarrgemeinde, ich in der Knabenschola, Vater und Mutter Mitglieder im Frauen- (kfD) bzw. Männerverein (KAB), ich später Mitglied der CAJ (Christliche Arbeiterjugend).“ Später wurde er Jugendgruppenleiter auf Gemeinde- als auch auf Stadtebene.

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Er war nicht nur Messdiener, er war Obermessdiener und in der Knabenschola war er Vorsänger, ganz in der Tradition der Mutter, die im Kirchenchor Vorsängerin war. „Wie man sieht, ich war bestens integriert in den katholischen Laden“, sagt Bernhard F. heute.

Schlüsselerlebnisse in den USA

Bis zu seinem 26. Lebensjahr: Da hatte er, ursprünglich zum Betriebselektriker im Bergbau ausgebildet, sein Studium der Sozialarbeit beendet und ein studienbegleitendes Praktikum in den USA hinter sich. „Das war ein Schlüsselerlebnis.“

Er lernte im Studium eine der kirchlichen Lehre diametral entgegengesetzte psychologische Denkschule kennen. Und damit eine andere Welt. Die Devise: „Wir können es, also tun wir es“ als Lebensmotto machte er sich zu eigen. Immer und überall, nicht nur bezogen auf seine Sexualität. „Das wirkte wie Befreiung auf mich“, so Bernhard F.

Der Castrop-Rauxeler bezeichnet das, was er in der Pubertät erlebte, als „Kameradensex“: Neben der Masturbation, die von der Kirche und damit seiner Familie nicht akzeptiert war, waren das sexuelle Handlungen unter Jugendlichen. Sexualität sei für ihn stets ein vitaler Antrieb gewesen, die Kirche hingegen sah die sexuelle Handlung damals ausschließlich an den Zeugungsakt gekoppelt. „Ich erinnere mich, dass ich mir Fristen gesetzt habe – Jahr für Jahr aufs Neue –, wann das mit dem Kameradensex aufhören musste. Dass das bei mir nie aufhören würde, konnte ich mir nicht vorstellen“, sagt er heute.

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Sollte er fortan für den Rest seines Lebens als „Todsünder“ weiterleben? Diese zynische Frage stellt er auch heute. Und antwortet: „Ich konnte nicht daran denken. Und ich dachte auch nicht daran, das zu tun.“ Er ließ den „Laden“, wie er sagt, hinter sich zurück, denn: „Ich war schwul, hatte all die Jahre der Adoleszenz nicht nur gegen das sechste Gebot verstoßen, nein, ich hatte auch noch schwul dagegen verstoßen.“

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So kam, „was kommen musste: Ich habe mich nicht nur vollkommen von der katholischen Kirche losgelöst, sondern auch von der Intoleranz – nicht nur der der Kirche, sondern auch der des politischen Alltags“, sagt Bernhard F. heute: „Als Staatsbürger hätte ich leicht Politiker werden können oder Pastor, doch ich entschloss mich, Menschen in ihren Kompetenzen zu stärken und ihre Eigenverantwortung in den Fokus ihres Handelns zu stellen.“

Und was wurde aus ihm als Teil der Familie? Als er mit seinem Freund eine Lebenspartnerschaft eingehen wollte, outete er sich vor den Eltern. „Nein – die Familie hat mich nicht verstoßen, aber viele Tränen vergossen.“ Bis er den Lebenspartner schließlich auch offiziell der Familie vorstellte...

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