Was bedeutet Kirche? Im Leben von Michael Wefringhaus aus der Schutzengel-Gemeinde in Frohlinde spielt sie eine zentrale Rolle.

© Tobias Weckenbrock

Michael Wefringhaus (56): „Man wird angesprochen: Sie machen doch da mit“

rnKirchen-Skandale

Was macht die Kirche aus? Wie ist ihr Bild in der Gesellschaft und wie im Innern? Michael Wefringhaus (56) ist engagierter Laie in Frohlinde. Sein Leben ist geprägt davon. Wie sieht er die Skandale?

Frohlinde

, 08.02.2022, 05:55 Uhr / Lesedauer: 3 min

Es ist ein Treffen zweier, die sich verstehen: Der Reporter (43), der im Schatten eines Kirchturms, zugleich mitten in einer Gemeinde groß wurde. Der Protagonist (56), der als geschäftsführender Kirchenvorstand der kleinen, aber besonders rührigen Schutzengel-Gemeinde in Frohlinde vorsteht. Wir treffen uns in der Kirche. Wir sprechen über die Folgen der Skandale und Gutachten. Über Schuld, über den Umgang der Kirche selbst damit – vor allem aber über das, was es mit ihren Mitgliedern macht. Was wird die Zukunft bringen?

„Wo Menschen schreckliche Taten begangen haben, muss ihre Schuld ermittelt und verfolgt werden“, sagt Michael Wefringhaus, einer der engagierten Männer in dem Dorf, wo die Schutzengelkirche noch ein gesellschaftlicher Mittelpunkt ist. „Aber wir müssen auch positiven Erfahrungen nach vorne stellen. Ich glaube, dass es gut ist, dass unsere Gesellschaft so sensibilisiert ist wie heute, nicht wie in den 70er-Jahren, als solche Dinge, auch häusliche Gewalt, gar nicht benannt wurden. Man sprach nicht darüber. Das ist heute anders. Aber ich mit meinen 56 Jahren kann mich selbst bei allem, was ich in der Kirche erlebt habe, nicht erinnern, dass es hier Übergriffe gegeben hat. Und ich bin sicher: Man hätte das hier im Dorf mitbekommen.“

„Ich kann das ändern, was in meinem eigenen Bereich liegt“

Es ist dieser Zwiespalt, der zwischen dem Benennen der Tatsachen liegt und dem, was Kirche für Wefringhaus eigentlich ausmacht. Wie soll man das trennen? Wie kann man es überein bringen? „Ja“, sagt er nachdenklich, „man wird darauf angesprochen: ‚Sie machen doch da mit!‘ Was sage ich dann?“ Denkpause. „Dass ich das Schreckliche nicht ändern kann, sondern nur das, was in meinem eigenen Bereich liegt. Ich versuche seit jeher, das, was ich beeinflussen kann, gut zu machen, um für die Menschen Kirche und Gemeinschaft positiv erlebbar zu machen.“

Im Schaukasten an der Schutzengel-Kirche in Frohlinde

Im Schaukasten an der Schutzengel-Kirche in Frohlinde © Tobias Weckenbrock

Wefringhaus zu Out In Church

„Es ist selbstverständlich, dass wir niemanden ausschließen. Wir haben einen Regebogen im Schaukasten mit der Aufschrift ‚Bei uns sind alle willkommen‘, Kirche darf da keinen Unterschied machen. Aus diesem Korsett muss man raus. Gott liebt alle Menschen gleich! Es ist ein mutiger und richtiger Schritt, dass sich Priester und Mitarbeiter/innen im Kirchlichen Dienst dazu geäußert haben.“

Dafür mache er diese ganzen Sachen: Fastenpredigten auf die Beine stellen mit Gästen aus dem Bistum und darüber hinaus, die für eine Vesper nach Frohlinde reisen und hier 120 Menschen in die Kirche ziehen. Rorate-Messen im Advent für die absolute Ruhe und Besinnlichkeit kurz vor Weihnachten. „Was haben wir während Corona alles gemacht für die Menschen?“, sagt er. Die Sommerkirche, „als wir Woche für Woche ein halbes Jahr lang 100 Stühle und Lautsprecher und einen Altar nach draußen geschleppt und nach einer Stunde wieder in die Kirche gestellt haben“.

Für die zahlreichen positiven Rückmeldungen sei er dankbar. Sie machten Mut, weiter zu machen. „Ich glaube ja, auch deshalb geht es bei uns in Frohlinde ganz gut weiter“, sagt Wefringhaus. „Wir haben engagierte Frauen und Männer in unserer Gemeinde, hier kann man was machen. Das war für die Leute ein anderes Erleben von Gottesdienst, draußen, mittendrin im Leben. Diese Freiluftgottesdienste haben auch vorbeigehende Menschen angesprochen.“

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Nun erlebe man das Gegenteil: „Teile der Kirche, nicht die Kirche insgesamt, zu der ja auch wir dazu gehören, hat schwere Schuld auf sich geladen.“ Was tun? „Veränderungen, die man nun andenkt, wie eine Aufhebung des Pflicht-Zölibats oder kirchen- und strafrechtliche Fragen müssen weltweit in der katholischen Kirche durchdacht und durchgeführt werden. Unsere Kirche ist eben universal. Einen Sonderweg für uns in Deutschland wird es, denke ich, nicht geben.“

Alle müssen strafrechtlich verfolgt werden

Ein Problem bei der Bewältigung. Und es liege ja auch nicht allein am Pflicht-Zölibat, also der Ehelosigkeit der Priester, dass es sexuellen Missbrauch gebe. „Es gibt auch verheiratete Männer, die Kinder sexuell missbrauchen“, sagt Wefringhaus. Darum sei das Rezept, dem man zu folgen habe, eindeutig: „Leute in der Kirche, die sich schuldig gemacht haben, müssen strafrechtlich verfolgt werden, genauso wie Familienväter oder andere Menschen, die Kinder missbrauchen. Und nach einer Verurteilung müssen sie dann ihre Strafe erhalten. Da kann nicht mit zweierlei Maß gemessen werden.“

Es dürfe kein Schweigegelübde und kein Decken unter „Mitbrüdern“ geben. Auch die Kirche zu schützen, indem man versucht, Delikte unter den Teppich zu kehren, sei die falsche Motivation.

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Sein Fokus ist aber ein anderer: „Es ist schrecklich, dass viele Geistliche so schwere Schuld auf sich geladen haben. Aber es gibt Tausende Priester und Geistliche, die versuchen, Gutes zu tun und ihren Dienst in der Seelsorge mit viel Engagement und Liebe für die Menschen leisten. Sie arbeiten gleichberechtigt mit uns Laien zusammen und lassen Spielräume für ehrenamtliches Engagement. Nur so können wir auch hier einiges bewegen“, sagt Wefringhaus.

Papst Benedikt: Warum nicht um Entschuldigung bitten?

Er frage sich, ob nicht der emeritierte Papst Benedikt oder stellvertretend für ihn seine engsten Mitarbeiter einen Fehler einsehen und um Entschuldigung bitten können. „Das wäre ein wichtiges Zeichen – auch den Opfern gegenüber“, so Michael Wefringhaus. „Man kann das Schreckliche nicht ins Positive verkehren. Aber man kann auch das Positive sehen, das in unserer Kirche passiert – und an den falschen Dingen arbeiten. Ich glaube, Gott geht alle Wege mit uns!“

Durch jeden neuen Skandal ändere sich nicht seine grundsätzliche Einstellung zur Kirche: „Ohne sie wäre die Gesellschaft um einiges ärmer“, findet der Kirchenvorstand. „Was tut Kirche nicht alles Gutes für die Gesellschaft: Kindergärten, Schulen, Altenheime, Krankenhäuser.“

Man könnte Wefringhaus entgegnen: Dafür kassiert sie auch reichlich Kirchen- und anteilig Lohn- und Einkommenssteuer, ist durch Erbpacht-Verträge und Grundbesitz bis heute reich. „Das stimmt zum Teil. Aber Kirche ist für mich eben mehr – sie ist Heimat und Zuhause. Nach so etwas sehnen sich die Menschen: nach Gemeinschaft, nach Geborgenheit.“ Ganz gleich, ob viele mit der Institution Kirche ein Problem haben.“